Dobrowolny sagte dem Evangelischen Pressedienst in Bad Neuenahr, neun Altenheime seien im Ahrtal damals evakuiert worden. Keiner habe realisiert, wie sich die traumatischen Erfahrungen auf die Menschen auswirkten und die Pflegekräfte entsprechend hätten vorbereitet werden müssen.
Aus der Not heraus hat die Diplom-Theologin in den vergangenen zehn Monaten eine Trauma- und Trauerkoordination im Ahrtal aufgebaut. Was die Menschen im Ahrtal erlebt hätten, sei eine Ohnmacht und ein "Abbruch von Leben in geballter Form", betonte Dobrowolny. Im Gegensatz zu den Jüngeren fehle der älteren Generation die langfristige Aufbauperspektive. "Die Hochbetagten werden kein schönes neues Tal mehr erleben. Wir müssen ihnen helfen, wieder ins Leben zurückzufinden", erklärte die Vorsitzende des Hospiz-Vereins.
Das mittlerweile sechsköpfige Koordinationsteam bietet für Beschäftigte in den Altenpflegeeinrichtungen Fortbildungen zum traumasensiblen Arbeiten sowie Supervision an. Bei Zeichen von Depressionen werden die Betroffenen an Fachleute vermittelt. Kooperationspartner sind bislang 23 stationäre Einrichtungen und ambulante Pflegedienste in der Region.
Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin des Hospiz-Vereins lädt zudem regelmäßig zu kleinen Gesprächsgruppen für Betroffene ein. Seit Juli gibt es ein Ausflugsangebot für flutbetroffene Senior:innen, die noch in ihren eigenen vier Wänden leben. Das vorerst auf zwei Jahre angelegte Gesamtprojekt wird vom Deutschen Hospiz- und Palliativverband, der Hospiz- und Palliativstiftung sowie den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel und dem Verein "Apotheker Helfen" finanziert.
Die Trauma- und Trauerarbeit im Ahrtal befindet sich laut Dobrowolny im stetigen Prozess. "Wir gehen nach dem Motto vor: Was erleben wir akut, welche niedrigschwelligen Angebote werden benötigt?" So wurde in den ersten Wochen nach der Flut vor allem praktische Hilfe geleistet: Waschmaschinen wurden in einem Zelt aufgestellt, Toiletten- und Dusch-Container organisiert. "Die Menschen brauchten in so einer Situation Sicherheit."
Die Senior:innen im Tal gingen unterschiedlich mit dem Erlebten um. Es gebe jene mit "ungeheurer Resilienz", die die Flutnacht und das Chaos danach gut verarbeiten könnten. Andere verließen nicht mehr ihre Wohnungen.
Heimbewohner treibe mehr die Sorge um ihre Kinder um, die in der Flut ihr Hab und Gut verloren hätten, es belaste sie sehr, dass sie ihnen nicht helfen könnten. Bei einer 93-jährigen Frau seien beispielsweise durch die Evakuierung Kriegserlebnisse wieder wach gerufen worden. "Wichtig ist hier ein zugewandtes Gespräch", rät die Expertin. "Die größte Angst am Lebensende ist nicht die Angst vor dem Tod, sondern alleingelassen zu werden", erzählt sie aus ihrer Hospizarbeit-Erfahrung.