Auf dem Weg in die Altstadt von Wittenberg zeigt der Busfahrer Besuchern stolz das Haus, in dem der sachsen-anhaltische Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) wohnt. Wittenberg ist in seinen Augen bedeutender als die Landeshauptstadt Magdeburg. Fünf Jahre nach dem Reformationsjubiläum bemühen sich viele Menschen in der Universitätsstadt an der Elbe, Wittenberg nicht nur als "Lutherstadt" zu präsentieren.
Ob Event-Führungen rund um die Pest oder das Brauwesen oder ein Abend unter dem Titel "Erotisches zur Nacht" mit 5-Gänge-Menü rund um "kulinarische Verführung" - die Stadtverwaltung spricht unterschiedlichste Besucherinteressen an.
Doch Martin Luther, der 1517 in der Schlosskirche Wittenberg seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel der Kirche veröffentlichte und die Reformation in Gang setzte, steht für viele Touristen noch immer im Zentrum. Auf der Flaniermeile in der Altstadt bieten Souvenir-Läden T-Shirts in Gelb, Grün und Lila mit schwarzem Luther-Konterfei an, das an den Revolutionär Che Guevara erinnert - nur trägt Luther statt des roten Sterns ein Herz am Barett.
Katharina von Bora, die Ehefrau des Reformators, wird bei einer Führung zu den Luther-Stätten als früh emanzipierte Frau präsentiert, die unter dem Eindruck der Reformationsideen aus dem Kloster floh. Sie gilt als kluge Wirtschafterin eines riesigen Haushalts.
Von der Nonne zur Managerin
Im Hof des Lutherhauses probieren Besucher Früchtebrot als "Gruß aus Käthes Küche". Vor dem Haus steht ein Katharina-von-Bora Denkmal. Mittlerweile äußerten Wittenberg-Touristen wachsendes Interesse an ihr und ihrem Haushaltsmanagement, erzählt Stadtführerin Bettina Brett. Aber: "Ohne Heirat ging es nicht", sagt sie und betont, es sei keine Liebesheirat gewesen: "Man respektierte sich."
Eine entlaufene Nonne, die keine Mitgift mitbrachte: Katharina von Bora habe nicht den damaligen Erwartungen entsprochen, erklärt Brett den Besucherinnen und Besuchern. Luthers spätere Ehefrau sei 1523 in einem "risikoreichen Unterfangen" aus dem Kloster geschmuggelt worden. Die Legende, der zufolge die damalige Ordensfrau das Kloster in Fischfässern versteckt verließ, sei allerdings nicht belegt.
Drucken wie Cranach
An Buchdrucken aus der Lutherzeit vorbei geht es zu Holz-Modellen, die den Alltag der Familie zeigen. Rund um den Esstisch sind zahlreiche kleine Holzfiguren angeordnet: Die Eheleute aßen nicht allein mit ihren Kindern zu Abend, sondern mit einer ganzen Schar von Bediensteten. Die Stadtführerin beschreibt Katharina von Bora in diesem Zusammenhang als Managerin eines Familienunternehmens, die sich auch mit der Frau des Reformators und Luther-Freundes Philipp Melanchthon austauschte.
Unweit des Lutherhauses liegt das Wittenberger Cranach-Haus, wo Lucas Cranach der Ältere (1472-1553) seine Malerstube hatte und seine Druckerei betrieb. Den Besucherinnen und Besuchern wird noch heute eine historische Druckerpresse vorgeführt. Statt eines Holzblocks verwendet der Drucker Andreas Metschke eine Linoleum-Platte. Das moderne Material halte länger, erklärt der Mann, der für die Touristenvorführung ein altertümliches Hemd und eine Kopfbedeckung aus grobem Leinen trägt.
Verbreitung der Reformation
Mit zwei faustgroßen Ballen bringt er tiefschwarze, cremige Farbe auf den Druckstock auf und legt Papier ein. Anschließend darf ein Besucher mit viel Kraft den Hebel umlegen, der sich mit einem lauten Quietschen senkt und so den eigentlichen Druck anfertigt. Im benachbarten Cranach-Hof tummeln sich derweil Kinder um eine Cranach-Statue aus Bronze mit reliefartig gefasstem Luther-Porträt, das sie mit Bleistift auf Papier durchpausen.
Die Cranachs haben durch Drucke und Illustrationen von Luthers Schriften und dessen Bibelübersetzung sowie durch Porträts zur Verbreitung der Reformation beigetragen, wie Marlies Schmidt erklärt, die stellvertretende Direktorin der Cranach-Stiftung. Wahrscheinlich sei dort auch das "Septembertestament" von 1522 gedruckt worden, die erste Ausgabe von Luthers Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche.
Marlies Schmidt beschreibt die Cranachs als modernes Familienunternehmen, das seine Wirtschaftsaktivitäten diversifizierte und zu den Mächtigen der Stadt gehörte. Lucas Cranach der Ältere habe auch einen Weinausschank, eine Apotheke und Immobilienhandel betrieben. "Außerdem waren Cranach der Ältere und später auch Cranach der Jüngere Mitglieder des Rates und Bürgermeister."
Wer in Wittenberg nicht nur alte Bilder und Drucke anschauen möchte, sondern sich mithilfe einer spektakulären Animation 500 Jahre zurückversetzen will, geht in das 360-Grad-Panorama "Luther 1517" des Künstlers Yadegar Asisi: Mit zahllosen Figuren und Musik werden die Besucher förmlich in die Lutherzeit eingehüllt.