Martin Luther und seine Mitarbeitenden
© Rainer Salzmann / Wartburg-Stiftung
Das Bibel-Kollegium: Martin Luther und seine Mitarbeitenden. Dass Martin Luther die Bibel in einem Team übersetzt hat, sich aber die jeweils abschließende Entscheidung über Formulierungen vorbehalten hat, erfährt evangelisch.de-Portalleiter Markus Bechtold in der Ausstellung.
Zwischen Geniestreich und Teamwork
Wie Martin Luther die Bibel übersetzte
"Von der Macht der Worte" erzählt die Ausstellung "Luther übersetzt" auf der Wartburg und zeigt, wie sich Sprache im Laufe der Zeit in der Heiligen Schrift wandelt und wie kraftvoll diese Worte bis heute wirken.

Übersetzung ist weit mehr als die Übertragung von Wörtern aus einer Sprache in eine andere. Besser wortwörtlich oder lieber dem Sinn nach übersetzen? Für wen übersetzt man, was bedeutet der Text und wie verstehen die Leser:innen ihn dann tatsächlich?

Wer schon einmal versucht hat, einen fremdsprachigen Text leicht verständlich ins Deutsche zu übertragen, kann ansatzweise nachempfinden, wie anspruchsvoll eine solche Aufgabe ist und vor welcher Herausforderung Martin Luther stand. Zu seinem Schutz war Luther auf die Wartburg "entführt" worden und in den zehn Monaten, die er dort verbrachte, schrieb er Weltgeschichte. Genauer gesagt in elf Wochen, im Winter 1521/22, in dem er das Neue Testament vom Griechischen ins Deutsche übersetzte.

Die Sonderausstellung "Luther übersetzt. Von der Macht der Worte" stellt dar, was Martin Luthers Übersetzung des Neuen Testaments war und ist: die literarische und theologische Übersetzungsleistung eines Einzelnen und die anschließende fundierte Überarbeitung durch Gruppen von Spezialisten. Der Weg von der ersten Übersetzung zur Veröffentlichung und der Bearbeitung immer wiederkehrender Neuauflagen ist mühsam und hat nur teilweise mit der romantisch verklärten Vorstellung eines einzelnen Gelehrten in seiner Schreibstube auf der Wartburg zu tun, geplagt von Ungewissheit, Einsamkeit und dem täglichen Zwiegespräch mit sich selbst.

Im Hof auf der Wartburg.

Die Ausstellung gibt ein Gespür dafür, wie sich Sprache im Laufe der Zeit verändert und welche Macht Worte in Vergangenheit und Gegenwart hatten und immer noch haben. Übersetzen ist intensive Arbeit. Und Übersetzer:innen stehen heute vor ähnlichen Herausforderungen wie Martin Luther im 16. Jahrhundert. Wie verbindet man Texttreue mit Verständlichkeit? Die damalige Erfindung des Buchdrucks lässt sich in ihrer gesellschaftsverändernden Wucht mit der digitalen Revolution unserer Zeit vergleichen. Die Ausstellung erzählt von diesen Parallelen und von Martin Luthers Medien- und Sprachrevolution, die bis heute auf uns Einfluss ausübt.

"Geist, Feder, Tinte, Papier", zählt Kuratorin Grit Jacobs auf. Das waren die Arbeitsmittel des Martin Luther. Wie aber inszeniert man seine Gedanken und den Prozess seiner Arbeit für ein Publikum auf der Wartburg? Wie beeinfluss(t)en politische und gesellschaftliche Diskurse die Bibel-Übersetzung, wie stellte man sich sprachlichen Hürden und welche Kontroversen gab es um die "richtige" Übersetzung der Heiligen Schrift? Anders als einige bereits zuvor in Deutsch erschienene Bibeln legte Martin Luther Wert auf Verständlichkeit des Textes, in theologischer wie auch rein lebenspraktischer Hinsicht. Durch seine große Popularität und die Nutzung im Gottesdienst trug das Werk entscheidend zur Vereinheitlichung einzelner Dialekte zu einer einheitlichen deutschen Sprache bei.

Blick in den Ausstellungsraum: verschiedene Bibelübersetzungen vom 13. Jahrhundert bis in die Gegenwart.

Die Ausstellung ist nicht bildgewaltig. Das muss sie auch nicht sein. Vielmehr geht es um geistige Prozesse, würde man heute sagen, um das Denken. Alles dreht sich um die gefundene Übersetzung und das geschriebene Wort. Dafür gibt es viel zu lesen. Wer auf die Zeitreise vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart geht, den erwarten illuminierte Handschriften, seltene Bibelausgaben, außergewöhnliche Bild- und Tondokumente, Filme und moderne Animationen.

An den Wänden gibt es unterschiedliche Übersetzungen ein und derselben Bibelstelle. Sie verdeutlichen das jahrhundertelange Ringen um die jeweils als korrekt gesehene Übertragung. Auch abseits der Lutherbibel sind zahlreiche Übersetzungen der biblischen Bücher entstanden, die sich je nach Zielgruppe entweder form- und wortgetreuer am Ursprungstext orientieren oder die biblischen Texte freier und verständlicher wiedergeben.

Vom Flussüberqueren und Brückenbauen

Für den Prozess der Übersetzung werden von den Ausstellungsmacher:innen zwei Metaphern aufgegriffen: die der Flussüberquerung und die des Brückenbauens. Bei der "Flussüberquerung" werde mit Hilfe eines "Bootes" die Botschaft durch Übersetzende von der Ausgangsprache in die Zielsprache übertragen. Die Metapher des "Brückenbauens" berücksichtigt hingegen nicht allein den Ausgangstext und seine Entsprechung in der Zielsprache, sondern versucht sinngemäß zwischen Autor:in und den Lesenden zu vermitteln. "Wie wird der Name Gottes angemessen übertragen? Darf er überhaupt übersetzt werden?" ist nur ein Beispiel zur Bibelstelle Ex 20,2: "Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe" (Lutherbibel 2017). Von diesen Prozessen zeugen die historischen Objekte, wie seltene Bibelausgaben und Handschriften sowie originale Protokolle von Bibelrevisionen bis ins Jahr 2017 hinein aus deutschen Museen und Archiven.

Drei Schreibutensilien im Wandel der Zeit.

Trotz aller Forschung könne die Ausstellung aber nicht jede Frage beantworten, sagt Burghauptfrau Franziska Nentwig den versammelten Journalist:innen. Zwar sei bekannt, dass Luthers Weggefährte Philipp Melanchton 1521 die Übersetzung Luthers vor Drucklegung noch einmal redigiert habe. Man wisse aber bis heute nichts über den Umfang der Überarbeitungen. Sicher sei, dass Martin Luther die Bibel in einem Team übersetzt habe, sich aber die jeweils abschließende Entscheidung über Formulierungen vorbehalten hat. 

Die Ausstellung ziehe historische, sprachwissenschaftliche und theologische Parallelen bis in die Gegenwart, erzählt Kuratorin Grit Jacobs. "Die Bibelübersetzung war ein theologischer Meilenstein der Sprachgeschichte, ist bis heute relevant" und auch in Zukunft werde die Übertragung weiter überarbeitet werden, sagt Jacobs und geht von einem 1539 gedruckten persönlichen Bibelexemplar Luthers weiter zu einer digitalen Ausgabe der Lutherbibel 2017 auf einem Tablet. Schräg gegenüber findet sich ein Verweis auf das Übersetzungsprojekt im Internet der offenen Wiki-Bibel. Die Bibel sei ein lebendiges Werk, fügt Jacobs hinzu. 

Das ist die Lutherstube auf der Wartburg im thüringischen Eisenach.

Den Ausstellungsmacher:innen gelingt es, trotz des abstrakten Themas die Sinne anzusprechen, das Konzept lädt zum Sehen, Hören, Berühren und Mitmachen ein. Die Ausstellung ist in Teilen in die historischen Lutherorte auf der Wartburg sowie klug in Form einzelner Exponate in die bestehende Dauerausstellung eingewoben. Auch die Wartburg als der authentische Ort der Bibelübersetzung wird inszeniert. Gezeigt wird die Entwicklung der Burg hin zum Verehrungsort für den Reformator. In der berühmten Lutherstube raschelt, räuspert und hüstelt es. Wie von Zauberhand blättern sich die Seiten der Bibel um. Sonst ist es still. Besucher:innen sollen sich selbst ein Bild vom Arbeitsort des Übersetzers machen können. 

evangelisch.de-Portalleiter Markus Bechtold hört sich "Die Weihnachtsgeschichte in vielerlei Mundart" seiner Redaktion an.

Im mittelalterlichen Gewölbekeller gibt es als einen zweiten Teil die Übersetzer-Werkstatt, in der Besucher:innen selbst die Macht der Worte ergründen können und so die Herausforderungen von Sprache und Übersetzung kennenlernen. Zu Luthers Zeit gab es viele regionale und gruppenspezifische Unterschiede im geschriebenen und gesprochenen Wort. Auch heute noch gibt es im Deutschen zahlreiche Dialekte oder Mundarten. An einer der Stationen der Übersetzer-Werkstatt erzählt evangelisch.de die Weihnachtsgeschichte auf BerlinerischKölschRuhrdeutsch, Nordhessisch (Böhner Platt) Frankfurterisch, UnterfränkischOberbayerisch, Schwäbisch, in Holsteiner Platt und in schweizerischem Züridütsch. So können Besucher:innen der Ausstellung hören, wie unterschiedlich das Deutsche klingen kann.

Das Übersetzen lässt sich in Spielen und Rätseln ausprobieren. So kann mit der Dekodierscheibe vom Griechischen ins Deutsche übersetzt werden, mit der "Wortarchäologie" vergessene Sprach-Schätze zu Tage gefördert werden. Besucher:innen können die Braille-Schrift, eine Blindenschrift, kennenlernen, Bibelstellen mit Emojis übersetzen oder einem digitalen Martin Luther im Arcade-Klassiker helfen, die richtigen Worte zu treffen. Auch lässt sich eine von Schüler:innen entworfene Geräusch-Kollage zu einer Bibelpassage hören.

Während heute durch digitale Kommunikationsmittel der Zugang zu Wissen und Informationen oft nur einen Klick entfernt ist, beleuchtet die in einem weiteren Ausstellungsbereich eingerichtete Druckwerkstatt die Parallelen zwischen Gestern und Heute und macht den rasanten Wandel der Technik deutlich. Ohne die Erfindung des Buchdrucks wäre der Erfolg der Lutherbibel nicht denkbar gewesen. Martin Luther wusste die damalige Medienrevolution gekonnt für sich und sein Anliegen zu nutzen. Wie das Drucken funktionierte, veranschaulicht ein authentische Druckerpresse.

Wer bis zum 6. November 2022 die Sonderausstellung besucht, lernt den Reformator Martin Luther und seine Übersetzungsleistung neu kennen. 


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