Jesu Verzweiflung am Kreuz und die Frage "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?" sei nichts Vergangenes, sagte der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm beim ökumenischen Eröffnungsgottesdienst mit seinem katholischen Kollegen Kardinal Reinhard Marx am Samstag im Passionstheater laut Redemanuskript. Dieser Schrei halle einem auch entgegen aus den Ruinen der Geburtsklinik in Mariupol, aus den Luftschutzkellern in Charkiw und aus den Häusern der Mütter russischer Soldaten, die die Todesnachricht ihrer gefallenen Söhne bekommen haben.
Durch die Passionsspiele in dem kleinen oberbayerischen Ort in den Bergen komme das Leid so vieler, das von der Weltöffentlichkeit häufig kaum beachtet werde, zurück ins Bewusstsein. Da seien die Opfer des Klimawandels in Ostafrika oder diejenigen, die - wie damals Jesus - noch heute wegen ihres Glaubens oder wegen ihrer politischen Überzeugungen verfolgt werden, sagte Bedford-Strohm, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Auch erwähnte er die Opfer antisemitischer oder rassistischer Hetze ebenso wie alle, die nach zwei Jahren Pandemie erschöpft ihren Lebensmut verloren haben.
"Sie alle sind da, hier an diesem Ort, an dem jetzt gleich die Geschichte vom Leiden Jesu dargestellt wird und an dem darin die Geschichten aus unserem eigenen Leben erzählt werden", sagte Bedford-Strohm. Die Passionsgeschichte sei "alt und doch so aktuell" - und sie könne helfen, inneren Frieden zu finden.
Der ökumenische Eröffnungsgottesdienst fand kurz vor der Premiere des internationalen Großereignisses statt, das alle zehn Jahre veranstaltet wird und die Geschichte vom Leiden, Sterben und der Auferstehung Jesu erzählt.
Aufgrund der Corona-Pandemie musste die Passion zuletzt um zwei Jahre verschoben werden. Mitgestaltet wurde der Gottesdienst auch vom anglikanischen Erzbischof Thabo Makgoba aus Südafrika. Zum Friedensgruß stimmte der Chor der Passionsspiele laut Ankündigung das israelische Lied "Shalom alechem" an, das die Sehnsucht nach Frieden zum Ausdruck bringt.
Rund um die Passionsspiele, die bis zum 2. Oktober stattfinden, bieten die Kirchen in Oberammergau ein Rahmenprogramm an. So gibt es Gottesdienste in der evangelisch-lutherischen Kreuzkirche und in der katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul. Im Gemeindehaus der Kreuzkirche, das in unmittelbarer Nähe zum Passionstheater steht, besteht in den Spielpausen die Möglichkeit zu Gespräch und Begegnung.