Halblange blonde Haare sind für einen Engel schon mal nicht schlecht. Im Hörsaal würde der Architekturstudent Michael Hollatz mit seiner Frisur zwar nicht wie ein Himmelsbote wirken. Aber für die 42. Oberammergauer Passionsspiele vom 14. Mai bis 2. Oktober schlüpft er in das Kostüm des Engels, der den Frauen am Grab die Auferstehung Jesu verkündet. "Das fühlt sich ganz cool an, aber ich habe nicht das Gefühl zu fliegen", sagt der 26-Jährige trocken.
Warum er seine Freizeit einen Sommer lang dem fast 400 Jahre alten "Spiel vom Leiden, Sterben und Auferstehen von unserem Herrn Jesus Christus" widmet, liegt für ihn auf der Hand: "Das ist mal was anderes - außerdem machen alle Freunde im Dorf mit."
Für die jungen Oberammergauer wie Hollatz ist die Motivation zur Passion also klar. Ob sich das Interesse aber auch auf ein junges Publikum übertragen lässt, testen Spielleiter Christian Stückl und seine Crew dieses Jahr mit den ersten Jugendtagen in der Geschichte der Spiele. 8.000 junge Menschen zwischen 16 und 28 Jahren sind Anfang Mai, am Wochenende vor der Premiere, eingeladen, sich die beiden Generalproben des fünfstündigen Stücks anzusehen. Das Interesse ist groß: 5.700 Tickets sind bereits verkauft, vor allem an Jugendgruppen aus dem Umfeld der Kirchen.
Auch Richard Graupner aus dem oberbayerischen Großkarolinenfeld macht sich mit 20 Jugendlichen auf den Weg. Die Karten kosten je nach Sitzplatz zwischen 8 und 24 Euro, das mache die Fahrt auch für Leute mit kleinem Geldbeutel attraktiv, sagt der Pfarrer. Und nach der sozialen Durststrecke der Corona-Pandemie sei der Passions-Trip für die jungen Leute eine willkommene Gelegenheit, wieder an gewohnte Kreise anzuknüpfen. "Es sind ja durch Corona alle Treffs weggebrochen", sagt Graupner.
Kultur kann Zugang zu Jesus vermitteln
Der 40-Jährige hat die Passion schon 2010 gesehen: "Das ist viel subtiler und eindrücklicher als Mel Gibsons Kinofilm 'The Passion'", sagt er. Durch die mehrstündige Spieldauer wachse man in das Stück hinein, erlebe die Spannung der Geschichte am eigenen Leib. Der Zugang zum Glauben, findet der in Ostdeutschland aufgewachsene Theologe, müsse immer über die Person Jesus geschehen. "Das ist es, was Kultur kann: einen Zugang vermitteln."
Ein Revival des Theaters bei jungen Leuten sieht auch Rochus Rückl. Der 25-Jährige Oberammergauer spielt ab Mai den zweitjüngsten Jesus der Passionsgeschichte. Sein letzter Kinobesuch liegt vier Jahre zurück: "Heute hat doch jeder Netflix, jeder kann sich alles streamen", sagt er. Das Theater hingegen sei "der Ursprung" und auch bei jungen Leuten wieder "in". Als Teenager hat Rückl bei der Passion 2010 im Volk mitgespielt, danach folgten Rollen in der "Pest" und dem "Wilhelm Tell" bei den Oberammergauer Kultursommern.
Dass er einmal den Jesus spielen würde, hätte er sich nicht träumen lassen. Als Lieblingsszene nennt der junge Mann mit den schwarzen Locken die Vertreibung der Händler aus dem Tempel. "Da wird Jesus total aufbrausend, da geht es total ab", sagt Rochus Rückl. Sonst sei die Hauptfigur oft in sich gekehrt, doch in dieser Szene "ist Jesus wirklich Mensch, schimpft wie jeder andere auch und lässt seinen Gefühlen freien Lauf".
Günstige Preise für junges Publikum
Die "Message von Jesus" sei jedenfalls auch für Jugendliche interessant, findet der Luft- und Raumfahrttechniker Rückl: "Was Jesus sagt, kann jeder für sein Leben anwenden - dafür muss man kein Christ sein." Da die Passionsspiele bislang vor allem ein älteres Publikum anzögen, wolle man mit den Jugendtagen zeigen, dass die Inszenierung "auch was für junge Leute ist, zu erschwinglichen Preisen". Statt der im Schnitt 500 Euro für ein Arrangement mit einer Übernachtung kostet das gleiche Paket am Vorpremieren-Wochenende nur rund 50 Euro.
Das hat auch Pfarrer Christian Utpatel von der Selbstständigen Evangelisch-Lutherischen Petrusgemeinde im hessischen Homberg/Efze überzeugt. "Die Passionsspiele waren ja bislang gefühlt nur was für reiche, alte amerikanische Touristen", sagt Utpatel. Durch die Jugendtage könne eine neue Generation erreicht und die Bekanntheit im Inland gesteigert werden. "Denn eigentlich sind Passionsspiele, genau wie Krippenspiele, die älteste Form von Religionspädagogik", findet der Pfarrer.
Jugendtage mit besonderem Programm
Fünfeinhalb Stunden Busfahrt nehmen sieben Jugendliche für den Wochenendausflug von Hessen nach Oberbayern auf sich. Hinter die Kulissen schauen, mit Darstellern diskutieren, anderen Jugendlichen begegnen - das Begleitprogramm der Jugendtage mache den Reiz für die jungen Leute aus. "Nur zur Passion hätte ich die nicht gekriegt", gesteht der Pfarrer.
Dass die Passionsspiele auch künftig ihr Publikum finden, davon ist Peter Stückl, Vater von Spielleiter Christian Stückl, überzeugt. Der 79-Jährige macht seit 1950 mit, vom Judas bis zum Hohen Priester Kaiphas hat er alles gespielt. Der Gastwirt weiß, dass Oberammergau immer wieder aufs Neue junge Menschen begeistern muss - die Tradition muss weitergehen, das Pestgelübde der Oberammergauer von 1633, alle zehn Jahre die Passion aufzuführen, hat schließlich kein Verfallsdatum. Neues Interesse anzufachen sei die Chance der ersten Jugendtage: "Die Geschichte von Jesus ist bekannt - und für Jugendliche auch spannend, wenn der ganze katholische Zirkus mit Weihrauch und Zeremonie mal wegbleibt."