Wer den Text der rheinland-pfälzischen Landesverfassung von 1947 in die Hand nimmt, erkennt sofort: Geschrieben wurde er von frommen Menschen. Gleich in der Präambel steht bis heute die im Ländervergleich ungewöhnliche Formulierung, das Volk habe sich seine Verfassung im "Bewußtsein der Verantwortung vor Gott, dem Urgrund des Rechts und Schöpfer aller menschlichen Gemeinschaft" gegeben.
Nach dem Horror der NS-Herrschaft seien gerade in der CDU viele Politiker überzeugt gewesen, dass das Land "rechristianisiert" werden müsse, berichtet Michael Kißener, Professor für Zeitgeschichte an der Mainzer Gutenberg-Universität. Viele hätten geglaubt, der Nationalsozialismus habe sich nur deswegen durchsetzen können, weil die Menschen von Gott abgefallen seien. Und selbst die laizistisch geprägten französischen Besatzungsbehörden hätten in der katholischen Kirche eine für den Neuanfang unverzichtbare Kraft gesehen.
Persönlichkeiten wie der Jurist Adolf Süsterhenn, zentrale Figur in den Anfangsjahren des Landes, oder der langjährige Ministerpräsident Peter Altmeier (beide CDU) berieten alle wichtigen Fragen der Nachkriegsordnung mit katholischen Würdenträgern. Später wurde der stockkonservative katholische Verfassungsvater Süsterhenn auch Präsident des Verfassungsgerichtshofes und konnte mit seiner Rechtsprechung die Auslegung der Verfassungsartikel beeinflussen.
Evangelische Kirche hielt sich vorerst zurück
Die evangelische Kirche hielt sich zunächst mit direkter Einflussnahme auf die Politik im Land der Rüben und Reben zurück - auch aufgrund der eigenen problematischen Geschichte. "Die katholische Kirche wurde als die Siegerin in Trümmern und als moralische Instanz empfunden", sagt Kißeners Historiker-Kollege Markus Raasch: "Die evangelische Kirche war durch die Deutschen Christen viel stärker verstrickt in den Nationalsozialismus."
Dennoch wurden auch unverdächtige Protestanten wie der hessen-nassauische Kirchenpräsident Martin Niemöller durchaus nach ihrer Meinung gefragt und in Entscheidungen einbezogen. Und von Anfang an gab es auch immer profilierte evangelische Christen wie den langjährigen Landwirtschafts- und Weinbauminister Oskar Stübinger (CDU) in der rheinland-pfälzischen Landesregierung.
"Rheinhessischer Schulkampf"
Der große Einfluss der Kirchen barg von Anfang an aber auch Sprengstoff. Bereits bei den Verfassungsberatungen kam es zum offenen Streit um die insbesondere von den Sozialdemokraten bekämpften "Schulartikel", die der Bevölkerung bei der Volksabstimmung im Mai 1947 getrennt von den übrigen Regeln vorgelegt wurden und nur eine knappe Mehrheit fanden. Denn sie sahen auch im staatlichen Schulwesen überall dort, wo die Eltern es wollten, sogenannte Bekenntnisschulen vor, in denen Kinder getrennt nach Konfession unterrichtet werden sollten. Solche Schulen hatte es in den Jahren vor der Hitler-Diktatur vor allem in der ehemals preußischen Rhein-Provinz gegeben.
Ein Hirtenbrief des katholischen Mainzer Bischofs Albert Stohr löste 1952 schließlich eine Kette von Ereignissen aus, die als "rheinhessischer Schulkampf" in die Geschichte eingingen. Stohr forderte nun auch für sein Kirchengebiet die Einrichtung von Bekenntnisschulen, die es in den zuvor hessischen Landesteilen in der Form nicht gegeben hatte. Mit massivem Druck auf Gemeindemitglieder und die Politik versuchte er, die Forderung durchzudrücken, wie die Historikerin Eva Rödel vor einigen Jahren umfangreich dokumentierte.
Aufruhr in vormals friedlichen Dörfern und eine schwere Regierungskrise in Mainz waren die Folgen, als das Land vor dem Bischof einknickte. In Rheinhessen und Teilen der Westerwaldregion wurden daraufhin Forderungen laut, sich Hessen anzuschließen. Ministerpräsident Altmeier stellte fest, "dass die Angelegenheit mit dazu benutzt wird, das Land aufzulösen".
Trotzdem blieben die Verbindungen zwischen den CDU-geführten Landesregierungen und den katholischen Bischöfen noch lange sehr eng. "Helmut Kohl hat später immer wieder gewitzelt, dass ja in den 1950er und 1960er Jahren kein CDU-Parteitag stattfinden konnte, ohne dass mindestens zwei Priester mit Weihwasser-Kessel und Weihrauch vor dem Ministerpräsidenten in den Saal einzogen", erzählt Kißener.
Der spätere Bundeskanzler, der sich lebenslang der katholischen Kirche verbunden fühlte, sei schließlich derjenige gewesen, der als junger Mainzer Landespolitiker und ab 1969 als Regierungschef das nach dem Krieg begründete Machtgeflecht zwischen Politik und Kirche aufgekündigt habe, sagt Markus Raasch: "Er war gerade zum Fraktionsvorsitzenden gewählt worden, als er erklärte: 'Wir sind keine Kirchenpartei'." Für Kirchen und Staat an Rhein und Mosel bedeutete dies den Aufbruch in die Moderne.
"Kirchen haben Rheinland-Pfalz vorangebracht"
Die drei evangelischen Landeskirchen in Rheinland-Pfalz haben nach Einschätzung ihres Beauftragten am Sitz der Mainzer Landesregierung, Wolfgang Schumacher, zu einer guten Entwicklung des Bundeslandes in seiner 75-jährigen Geschichte beigetragen. Der "gemeinsame Aufbruch" der pfälzischen, rheinischen und hessen-nassauischen Landeskirche aus ihrer Schuldgeschichte der NS-Zeit habe sich auch positiv auf das Land und das Zusammenwachsen seiner Landesteile ausgewirkt, sagte der Leiter des evangelischen Büros in Mainz. So hätten die international vernetzten evangelischen Hilfswerke den Menschen in der Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg in großer Not geholfen und damit auch Strukturen für eine Sozialpolitik in dem Bundesland gelegt.
Seit der Gründung des Landes im Jahr 1947 sei das Verhältnis der evangelischen Kirchen und der Landesregierung durch ein offenes und vertrauensvolles Miteinander geprägt, so Schumacher, der aus der pfälzischen Landeskirche stammt. "Bei allen gesellschaftlichen Fragen werden die Kirchen mit einbezogen", sagte der Kirchendiplomat aus Kaiserslautern. Als Beispiele nannte er die Themen Soziales, Bildung, Integration und Flüchtlinge.
Trotz ihres gesellschaftlich schwindenden Einflusses werde das Wort der beiden großen christlichen Kirchen in der Landespolitik gehört, versicherte Schumacher. Besonders deren diakonisches Engagement für arme, alte, kranke und beeinträchtigte Menschen sowie für Flüchtlinge und Migranten werde wertgeschätzt. Die Kirchen seien ein wichtiger Akteur etwa beim staatlich organisierten Religionsunterricht oder in der Schulseelsorge. In allen wichtigen Landesbeiräten seien sie mit ihrer Expertise vertreten.
In der Sache, etwa bei der staatlichen Refinanzierung von Kindertagesstätten in kirchlicher Trägerschaft, werde aber auch hart gerungen, sagte Schumacher. Wenn die Kirchen wichtige staatliche Aufgaben wie die Kita-Arbeit oder soziale Angebote übernähmen, sei der Staat zur finanziellen Kompensation grundgesetzlich verpflichtet.
Das 75. Landesjubiläum in diesem Jahr wollten die evangelischen Kirchen mitfeiern, sagte Schumacher. Beteiligt seien die Kirchen beim Rheinland-Pfalz-Tag vom 20. bis 22. Mai in Mainz, der von der pfälzischen und hessen-nassauischen Kirche sowie der Diakonie in Rheinland-Pfalz mitgestaltet werde. Am 21. Mai um 10 Uhr gebe es einen ökumenischen Gottesdienst im Mainzer Dom mit der pfälzischen Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst (Predigt) und dem Mainzer Bischof Peter Kohlgraf.