Dass Politiker mittlerweile quer durch fast alle Lager nach mehr Abschiebungen und einer härteren Gangart gegenüber Flüchtlingen rufen, spüren auch die Kirchengemeinden. Immer häufiger sind sie mit Bitten konfrontiert, von Abschiebung bedrohte Menschen ins Kirchenasyl aufzunehmen.
Michael Landoll, Pastor der Baptisten-Gemeinde in Kusel, ist unter Flüchtlingshelfern bekannt dafür, dass seine Gemeinde seit Jahren fast durchgehend Schutzsuchende beherbergt. "Ich sage jede Woche drei bis fünf Kirchenasyle ab", berichtet er über die aktuelle Situation. "Wir kommen auch an unsere Grenzen."
In Rheinland-Pfalz führten mehrere demonstrative Einschüchterungsversuche mit Strafanzeigen gegen Pfarrer und Polizeieinsätzen dazu, dass es zeitweise kaum noch Kirchenasyle gab. Ein neues Netzwerk engagierter Kirchenleute will dazu beitragen, dass sich wieder mehr Gemeinden den Schritt zutrauen. Experten wie die evangelische Pfarrerin Sandra Menzel aus Büchenbeuren im Hunsrück stehen mit Rat und Tat zur Seite. "Ich bin kirchenasylerfahren bis hin zur Hausdurchsuchung im Pfarrhaus", stellt sie sich beim ersten Treffen des Netzwerks vor.
Kirchentür aufbrechen ist eine hohe Hürde
Bereits mittelalterliche Herrscher respektierten es, wenn Kirchen in ihren Räumen verfolgte Schutzsuchende aufnahmen. Darauf berufen sich Gemeinden bis heute, wenn sie von Abschiebung bedrohte Asylbewerber beherbergen. Ein Sonderrecht für die Kirchen, wie manche Politiker und Ausländeramts-Chefs argwöhnen, entsteht daraus nicht. Denn die Polizei darf grundsätzlich jederzeit auf das Gelände kommen und die Gesuchten notfalls unter Zwang zum Abschiebeflieger eskortieren. Allerdings tun sich Behörden bis heute schwer, ein Kirchenasyl zu beenden. "Wenn die Polizei eine Kirchentür aufbrechen muss, ist das eine höhere Hürde als bei einer Ferienwohnung", sagt Menzel.
Vielfach verhilft das Kirchenasyl den Betroffenen zu einem dauerhaften Aufenthalt, denn vor allem eine Gruppe von Flüchtlingen sucht Rettung im Kirchenasyl. In seiner rheinischen Landeskirche gehe es mit einer einzigen Ausnahme bei allen 110 derzeit laufenden Kirchenasylen um sogenannte Dublin-Fälle, sagt Matthias Schwab vom Düsseldorfer Landeskirchenamt. Für diese Asylbewerber sind eigentlich andere EU-Staaten zuständig, in denen aber Mindeststandards nicht eingehalten werden. Durch ein Kirchenasyl gelingt es in vielen Fällen, eine Frist zu überschreiten, nach deren Ablauf Deutschland die Zuständigkeit für die Asylverfahren übernimmt.
Bereits vor Jahren hatten sich Staat und Kirchen auf Regeln zum Ablauf der Kirchenasyle geeinigt. Die Aufnahme von Flüchtlingen muss demnach den Behörden gemeldet werden, Unterstützer erstellen ein Fall-Dossier, und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge soll die vorgelegten Fälle nochmals prüfen. Mittlerweile, klagt Schwab, werde das Prozedere kaum noch eingehalten: "80 Prozent der Dossiers werden überhaupt nicht mehr beantwortet." Das sei nicht unbedingt schlecht, denn irgendwann seien die Fristen abgelaufen, und die Betroffenen könnten vorerst in Deutschland bleiben.
Wenn die oft umfangreichen Fallschilderungen jedoch geprüft würden, erfolge inzwischen fast ausnahmslos eine Ablehnung. Dennoch sei es richtig, wenn die Kirchengemeinde sich weiter an alle Regeln halte, mahnt Schwab. Denn dann sei eine Strafverfolgung wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt nahezu ausgeschlossen.
Wer hilft bei Krankheit?
Bevor eine Kirchengemeinde sich dafür entscheidet, ein Kirchenasyl anzubieten, müssen aber noch andere grundsätzliche Dinge geklärt werden. "Es ist eine organisatorische und finanzielle Belastung", sagt Uli Sextro, Flüchtlings-Referent bei der Diakonie in Rheinland-Pfalz. Wichtig sei beispielsweise, dass eine Gemeinde Kontakte zu Ärzten in der Region besitze, die bei Bagatellproblemen "auf dem kleinen Dienstweg" helfen oder Rezepte für chronisch Kranke ausstellen. Die Schutzsuchenden müssten wissen, dass sie in medizinischen Notfällen Hilfe bekommen können.
Was passieren kann, wenn den Flüchtlingen das nicht klar ist, erlebte Schwab bei einem Kirchenasyl in seiner eigenen Düsseldorfer Gemeinde. Der dort untergebrachte Mann litt unter höllischen Zahnschmerzen, traute sich jedoch nicht, das Problem anzusprechen: "Schließlich hat er sich mit der Kombizange drei Zähne selbst gezogen."