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Antikriegstag 1979 im Bonner Hofgarten mit Martin Niemoeller
Pazifist und Prediger: Vor 30 Jahren starb Martin Niemöller
Preußisch, provokativ, prophetisch: Nur wenige Gestalten des Protestantismus haben im vergangenen Jahrhundert die Menschen so bewegt wie Martin Niemöller. Der U-Boot-Kommandant, Pastor, Gefangene Hitlers und Pazifist starb vor 30 Jahren in Wiesbaden.
06.03.2014
epd
Dieter Schneberger

Die Nachricht von Martin Niemöllers Tod am 6. März 1984 kommt nicht überraschend. Schon seit Monaten muss der 92-Jährige das Bett hüten. Als die Stunde des Abschieds gekommen ist, verbeugt sich ein "schwieriges Land vor seinem schwierigen Sohn", wie der "Wiesbadener Kurier" titelt. Selbst Bundesratspräsident Franz Josef Strauß (CSU) sendet ein Beileidsschreiben an seine Witwe.

Beigesetzt wird der Widerstandskämpfer, erste hessen-nassauische Kirchenpräsident und Mitbegründer der Friedensbewegung im engsten Familienkreis in seiner westfälischen Heimat Lotte-Wersen. An der offiziellen Trauerfeier in der Wiesbadener Lutherkirche nehmen mehr als 1.000 Wegbegleiter und Gäste teil. Anschließend ziehen mehrere Hundert Anhänger der Friedensbewegung in einem Schweigemarsch durch die Wiesbadener Innenstadt. 

"Was würde Jesus dazu sagen?"

Niemöller verkörperte wie kein Zweiter das vergangene Jahrhundert mit all seinen Sprüngen, Brüchen und Widersprüchen. Preußisch bis zur Halskrause, kaisertreu, militaristisch, deutschnational, provokativ, versöhnungsbereit, revolutionär und zuletzt mit seiner Verdammung des "schnöden Mammons" auch ein wenig prophetisch.

###mehr-info### Mit seinen Wendungen stieß er die Autoritäten immer wieder vor den Kopf. Andererseits lehrte er die junge Generation Demokratiebewusstsein und Kritikfähigkeit.

Niemöllers Kompass ist seit seinem neunten Lebensjahr die Frage "Was würde Jesus dazu sagen?". Dabei lernt er schon früh Zucht und Ordnung, Vaterlandsliebe und Obrigkeitshörigkeit. Geboren wird er am 14. Januar 1892 in Lippstadt als Sohn des kaisertreuen lutherischen Pfarrers Heinrich Niemöller und seiner Frau Paula. Nach dem Abitur tritt er als Seekadett in die Kaiserliche Marine ein. Im Ersten Weltkrieg bringt er es bis zum U-Boot-Kommandanten.

Weil Niemöller der Weimarer Republik nicht als Soldat dienen will, beteiligt er sich am Kampf gegen die Kommunisten und arbeitet als Knecht. 1920 beginnt er in Münster Theologie zu studieren. "Dadurch kann ich meinem Volk besser dienen", glaubt er, "als wenn ich still und zurückgezogen einen Hof bewirtschaftet hätte".

Als Pfarrer und Geschäftsführer der Inneren Mission in Westfalen sympathisiert Niemöller Ende der 1920er Jahre mit den Nationalsozialisten. Doch deren kirchenfeindliche Einstellungen lassen ihn bald auf Distanz gehen. 1931 wird er Gemeindepfarrer in Berlin-Dahlem. Dort gründet er zusammen mit Gleichgesinnten den "Pfarrernotbund", Vorläufer der "Bekennenden Kirche".

Konflikt bei der "Stuttgarter Schulderklärung"

Ab 1933 opponiert Niemöller gegen den "Arierparagraphen" in der Kirche, der für Pfarrer und Kirchenbeamte jüdischer Herkunft die Entlassung bedeutet. 1934 erhält er Predigtverbot, das er jedoch ignoriert. Die Gestapo bespitzelt und verhört ihn, es laufen rund 40 Verfahren gegen Niemöller. Am 1. Juli 1937 wird er verhaftet und zu sieben Monaten Festungshaft verurteilt, am 2. März 1938 als "persönlicher Gefangener des Führers" ins Konzentrationslager Sachsenhausen und später nach Dachau verschleppt, wo er bis Kriegsende einsitzt.

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Die Befürchtungen des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann, die Nazis hätten Niemöller im Lager zu einem "speichelnden Idioten" gemacht, erweisen sich als unbegründet. Seelisch und körperlich ungebrochen beteiligt er sich am Aufbau eines neuen, demokratischen Deutschlands - und sitzt bereits wenige Wochen nach seiner Befreiung wieder zwischen allen Stühlen.

Grund ist die "Stuttgarter Schulderklärung" vom Oktober 1945, mit der die evangelische Kirche ihre Mitschuld am Nationalsozialismus bekennt. Vielen Kirchenvertretern geht eine auf Drängen Niemöllers aufgenommene Passage zu weit: "Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden ...".

Teestunde mit Ho Tschi Minh

Ein Sturm der Entrüstung erhebt sich, als Niemöller im Januar 1952 auf Einladung der russisch-orthodoxen Kirche nach Moskau fährt. Er wird als "Vaterlandsverräter" und "Störer des konfessionellen Friedens" beschimpft. 1959 sorgt er erneut für einen Eklat, als er in Kassel Eltern davor warnt, ihre Söhne zur Bundeswehr zu schicken und sie zum "Verbrecher" ausbilden zu lassen. Verteidigungsminister Strauß erstattet Strafanzeige, die Staatsanwaltschaft verzichtet jedoch auf eine Anklage.  

Der charismatische Redner wendet sich unnachgiebig gegen die Wiederbewaffnung und die Atomkraft. Bei Kundgebungen, Ostermärschen und Mahnwachen steht Niemöller in der ersten Reihe. 1961 wird er zu einem der sechs Präsidenten des Weltkirchenrats gewählt und reist in viele Länder des kommunistischen Machtbereichs: Die DDR, Ungarn, Polen, aber auch nach Nord-Vietnam, wo er mit Ho Tschi Minh Tee trinkt.

Niemöller legt Ende 1964 sein Amt als Kirchenpräsident nieder und widmet sich fortan intensiver denn je seinem Thema der letzten Jahre - dem Engagement für den Frieden. 1967 wird er Ehrenpräsident des Weltfriedensrats und 1976 Ehrenpräsident der Deutschen Friedensgesellschaft. Noch zu seinen Lebzeiten wird 1980 in Wiesbaden die Martin-Niemöller-Stiftung gegründet, die bis heute sein Erbe pflegt.