Am Alten Markt in Bad Neuenahr kurvt ein Handwerker-Lieferwagen nach dem anderen um die Ecke. Das Quietschen einer Kreissäge schallt über die Straße. Mitten auf dem Platz hat ein Sanitätshaus in einem Bus ein provisorisches Geschäftslokal aufgemacht. Am Rande des geschäftigen Treibens: ein weißer Transporter, der mit seiner ausgefahrenen Markise und zwei prall gefüllten Obstkörben an einen Marktstand erinnert. Doch das Zugreifen ist hier kostenlos. Der katholische Diakon Christoph Storb und der evangelische Seelsorger Hans-Lothar Hölscher gehen immer wieder auf Passantinnen und Passanten zu, bieten Bananen, Äpfel oder Mandarinen an - und kommen dabei ins Gespräch.
Dietfried Lorenz ist einer der Passanten, der an diesem grauen Novembertag beim Team von „kirche:mobil!“, einem Projekt der katholischen Kirche im Dekanat Völklingen, haltmachen. Gerade kommt er aus dem Rathaus, wo er einen Fluthilfeantrag gestellt hat. Er wirkt bedrückt. „Wann ich wieder in meine Wohnung kann, weiß ich nicht“, erzählt er Storb. Mehr als 30 Jahre lang wohnte der ehemalige Küster in einem Haus der katholischen Gemeinde, das durch die Flut unbewohnbar wurde. Jetzt hat er ein Zimmer in einem Kloster in Remagen. „Ich möchte wieder nach Bad Neuenahr zurück“, wünscht sich der Rentner.
Ähnlich geht es einem älteren Ehepaar, das kurz am Kirchenmobil stehen bleibt. „Wir haben bis April eine Ersatzwohnung in der Eifel“, sagen die alteingesessenen Neuenahrer. Doch schon jetzt stehe fest, dass ihre frühere Bleibe im Frühjahr noch nicht wieder bewohnbar sein werde. Eine andere Wohnung in der Nähe zu finden, sei derzeit kaum möglich. „Die Mieten sind horrend gestiegen,“ klagen die Rentner. Storb und Hölscher hören aufmerksam zu. Doch es gibt auch erfreuliche Nachrichten. Eine ältere Dame greift in den Obstkorb und berichtet: „Seit einer Woche habe ich wieder eine Heizung. Es kommt langsam was in die Gänge.“
Seit rund zwei Monaten steuert Storb Bad Neuenahr jeden Montag vom Saarland aus mit seinem Kirchenmobil an. Fünf Stunden fährt er insgesamt, um sechs Stunden vor Ort zu sein. „Direkt nach der Flut war klar, dass wir im Hochwassergebiet gefragt sind“, sagt Storb. „Jetzt kommen die Menschen zum Nachdenken und brauchen jemanden zum Zuhören.“ Vor Ort wird Storb abwechselnd von weiteren Seelsorgern unterstützt. „Noch nie bin ich mit Menschen so schnell ins Gespräch gekommen,“ sagt sein Kollege Hölscher, evangelischer Pfarrer im Ruhestand und Notfallseelsorger. Er begleitet Storb jede Woche ehrenamtlich aus dem Saarland an die Ahr.
Es geht um existentielle Probleme
Normalerweise steht Storb mit seinem Kirchenmobil auf Wochenmärkten, an Friedhöfen oder auch an Spielplätzen im Saarland, um für die Sorgen und Anliegen der Menschen ansprechbar zu sein. „Die Menschen nehmen das an“, sagt Storb. Allerdings erlebe er häufig auch Skepsis und sogar aggressive Töne. In Bad Neuenahr sei das anders. „Hier habe ich noch kein einziges böses Wort gehört.“ Und das, obwohl die Probleme der Menschen existentieller seien als andernorts. In den Gesprächen gehe es um den Verlust der Wohnung und des gesamten Hab und Guts bis hin zu in der Flut umgekommenen Angehörigen. „Doch trotz aller Not herrscht hier eine gute Atmosphäre und es gibt viel Mitmenschlichkeit.“
Natürlich fördere so eine Katastrophe auch das Schlechte in Menschen zutage, weiß Hölscher aus den Gesprächen. So habe er etwa von Plünderungen gehört oder vom Betrug durch angebliche Handwerker. Doch insgesamt überwiege die Solidarität. „Die Dinge sind hier anders, die normalen Gesetze außer Kraft gesetzt.“ Immer wieder höre er etwa von dankbaren Neuenahrern, wie entscheidend der Einsatz der vielen freiwilligen Helfer für sie war. „Da kann man den Glauben an die Menschheit wiedergewinnen.“
Doch jetzt steht erst einmal der Winter vor der Tür. Vielen Menschen mache das Sorge, weil sie noch immer keine funktionierende Heizung haben, weiß Hölscher. Der Kälte trotzen wollen auch Storb und sein Team. Er werde die Ahr so lange mit seinem Kirchenmobil ansteuern, wie er gebraucht werde, sagt der Diakon. „Wenn ich heute Abend heimfahre, weiß ich, ich habe etwas getan, was den Menschen hilft.“