Mitte August, als die Taliban in Kabul einmarschierten, erhöhten sich die Zugriffszahlen auf „amalberlin.de“ und „amalhamburg.de“ sprunghaft - in einer Woche um 2.220 Prozent. „Die Menschen suchten verzweifelt nach Nachrichten und Informationen, wie sie nach Deutschland kommen können“, sagt Amal-Projektleiterin Julia Gerlach.
Sie berichtet zudem von Tausenden Hilferufen aus Afghanistan, die das Nachrichtenportal seitdem erreichen. Seit Wochen versuche das 14-köpfige Redaktionsteam neben dem täglichen Nachrichtengeschäft, die ganzen E-Mails zu beantworten und die Hilfegesuche an das Auswärtige Amt weiterzuleiten. „Viele berichten uns dann, dass wir oft die einzigen sind, die überhaupt zurückschreiben“, erzählt Gerlach und spricht von einer „unglaublichen Belastung“ für die Redaktion.
Für Dawod Adil kommen noch ganz persönliche Sorgen dazu. Die ganze Familie des Video-Journalisten bei Amal, Berlin! sitzt in Kabul fest und niemand weiß, ob sie es auf die Evakuierungsliste des Auswärtigen Amtes geschafft hat.
Der 32-Jährige war vor sechs Jahren nach Deutschland geflüchtet. Zuvor hatte der studierte Regisseur und Journalist eine Dokumentation über ein Taliban-Massaker an 90 Zivilisten in einem afghanischen Dorf gedreht und war deshalb auf der Todesliste der Islamisten gelandet. Zu Amal, Berlin! ist er vor drei Jahren über ein Praktikum gekommen und heute für Videos der Farsi/Dari-Redaktion zuständig.
Seit 2016 bietet das Newsportal tagesaktuelle Informationen aus und über Berlin und Deutschland auf Arabisch, Persisch und Dari, einer der beiden Amtssprachen Afghanistans. 2019 kam das Schwesterportal „amalhamburg.de“ dazu. In der Hansestadt befinden sich große afghanische und iranische Communities.
Die zehn in Berlin und vier in Hamburg festangestellten Exil-Journalist:innen berichten in ihren Heimatsprachen und auf Deutsch über alles, was in Politik, Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft in beiden Städten und bundesweit wichtig ist. Ihre Zielgruppe sind die Menschen aus Ländern wie Syrien, dem Irak, dem Iran und Afghanistan, die nach Deutschland geflüchtet sind.
Projekt der Evangelischen Journalistenschule
Entstanden sei Amal vor sechs Jahren buchstäblich am Küchentisch, sagt Gerlach. Die Journalistin hat selbst lange als Korrespondentin für deutsche Medien aus Kairo über die arabische Welt berichtet. 2015 entwickelte sie gemeinsam mit ihrer Schwester die Idee eines Nachrichtenportals, das Geflüchteten Informationen in ihren Muttersprachen über das Geschehen in Berlin und Deutschland bietet. 2016 ging „amalberlin.de“ dann als Projekt der Evangelischen Journalistenschule (EJS) an den Start.
Fünf Jahre später haben Amal, Berlin! und Amal, Hamburg! bereits rund 142.000 Abonnenten auf Facebook, Instagram und Youtube. Reporterinnen wie die aus Syrien stammende Amloud Alamir berichten beispielsweise über den weltweit ersten Prozess wegen Staatsfolter in Syrien am Oberlandesgericht Koblenz und über hiesige Kopftuch-Debatten. Die 40-jährige TV-Moderatorin sieht Amal als Brücke zwischen der syrischen Community und der deutschen Gesellschaft. „Diese brauchen wir auch“, sagt Alamir.
Aktuell geht es in der Berichterstattung natürlich viel um Afghanistan, aber auch um die Bundestagswahl am Sonntag. Geschätzt 80.000 neu eingebürgerte Menschen aus arabischen Ländern, Iran und Afghanistan könnten erstmals mit wählen, sagt Projektleiterin Gerlach.
EKD finanziert mit
Ihnen versucht Amal unter anderem mit gestreamten Erstwählerforen Orientierung zu bieten. Dazu eingeladen sind jeweils eine Kandidatin oder ein Kandidat aller im Bundestag vertretenen Parteien einschließlich der AfD. In anderen Kurzvideos erklärt eine „Bundesadlerin“ (Arabisch: Sukar Persisch: Shadoune) Wahlsystem, Parteienfinanzierung und „Stimmzettel-Wirrwarr“. „Haben wir die Wahl?“ heißt der Live-Stream, der am Wahlsonntag (26.9.) ab 18.30 Uhr auf https://www.facebook.com/AmalBerlinNews/ zu sehen sein wird.
Träger der EJS und damit von Amal ist das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP), zu dem auch die Zentralredaktion des epd gehört. Finanziert wird das Portal bislang von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Körber-Stiftung, der Schöpfling-Stiftung, der Stiftung Mercator und anderen Partnern. Im Januar will unter anderen die evangelische Nordkirche mit einsteigen.