Die evangelische Kirche dringt weiter auf eine unabhängige Untersuchung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr. Es müsse die Frage gestellt und beantwortet werden, warum das Gute, das man gewollt habe, nicht habe vollbracht werden können, sagte der Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei Bundesregierung und Bundestag, Martin Dutzmann, am Mittwochabend in einem Gottesdienst zum Buß- und Bettag im Berliner Dom.
Der Einsatz in Afghanistan habe viele Menschen das Leben oder die Gesundheit gekostet und darüber hinaus sehr viel Geld. „Der Bundestag wird mithilfe von Fachleuten untersuchen müssen, warum es trotzdem nicht gelungen ist, Afghanistan und seinen Menschen Frieden zu bringen“, sagte Dutzmann, der bis 2014 Militärbischof der EKD war. Schon bei einem Besuch im Jahr 2009 in Afghanistan hätten ihm Soldatinnen und Soldaten gesagt, dass sie sich über das Ziel des Einsatzes nicht im Klaren gewesen seien, sagte er.
Es sei aber auch Gutes in Afghanistan geschehen, betonte Dutzmann. „Eine ganze Generation von Afghanen und vor allem Afghaninnen hat die Freiheit geschmeckt und Bildung genossen“, sagte er. Der Satz „Nichts ist gut in Afghanistan“ stimme „selbst heute nicht“, sagte Dutzmann. Die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann hatte diesen Satz 2010 in ihrer Neujahrspredigt formuliert und damit eine kontroverse Debatte ausgelöst.
Fragen nach Sinnhaftigkeit beantworten
Im Gottesdienst im Berliner Dom kamen Menschen zu Wort, die selbst in verschiedenen Funktionen in Afghanistan tätig waren, als Militärpfarrerin, Helfer einer zivilen Organisation oder als Krankenschwester im Dienst der Bundeswehr. Quais Nekzai, der sechs Jahre als Übersetzer für die deutschen Truppen in seinem Heimatland Afghanistan gearbeitet hat, forderte weitere Anstrengungen, um sogenannte Ortskräfte wie ihn aus dem Land zu holen. Sie und ihre Familien seien in Lebensgefahr, sagte er.
Zu Wort kam auch Reinhold Robbe (SPD), der bis 2010 Wehrbeauftragter des Bundestags war. Die schwerste Erfahrung in seinem politischen Leben seien die Momente gewesen, in denen er an Särgen von in Afghanistan gestorbenen Soldaten den Angehörigen in die Augen blicken musste, sagte er. Auch er forderte eine Aufarbeitung. Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Einsatzes und politischen Fehlentscheidungen müssten beantwortet werden. „Die Hoffnung der Menschen in Afghanistan nach einer besseren Zukunft endet ebenso wenig wie unsere Verantwortung für dieses geschundene Land und sein beeindruckendes, liebenswürdiges und gastfreundliches Volk“, sagte er.
Die Bundeswehr hatte gemeinsam mit den beteiligten Streitkräften anderer Nationen in diesem Jahr den 20-jährigen Einsatz in Afghanistan beendet. Der Bundeswehr-Abzug erfolgte größtenteils bereits im Frühsommer. Nach dem Rückzug des westlichen Militärs gelang den Taliban erneut die Machtübernahme. Bei einem militärischen Evakuierungseinsatz Ende August gelang es nicht, alle Menschen aus dem Land zu holen, die für die Alliierten gearbeitet oder sich für deren Werte eingesetzt haben. Viele Menschen, denen nun Verfolgung durch die Taliban droht, mussten zurückbleiben. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hat eine Aufarbeitung des Einsatzes durch das Parlament versprochen.