Herr Weyer, bis zu ein Drittel weniger Geld wird die evangelische Kirche bis 2030 zur Verfügung haben, vor allem weil die Einnahmen durch Kirchensteuern bei sinkenden Mitgliederzahlen zurückgehen. Das sind trübe Aussichten. Was wollen Sie an der Spitze des Haushaltausschusses der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erreichen?
Christian Weyer: Die trüben Aussichten sind unbestritten. Die Finanzstrategie der EKD, die die Synode im vergangenen November beschlossen hat, reagiert aber in meinen Augen sehr klug darauf. Sie sieht nicht nur Einsparungen von 30 Prozent bis 2030 vor, sondern auch Puffer für Innovationen und Prioritäten. Der Sparprozess ist also ein Priorisierungsprozess, an dem sich der Haushaltsausschuss sehr aktiv beteiligt.
Wie viel Gestaltungsspielraum haben Sie angesichts der bereits beschlossenen Finanzstrategie noch?
Weyer: Ziel ist ein ausgeglichener Haushalt 2030, dazu kommen ein Risikopuffer von vier Millionen Euro und ein Budget für Innovationen in Höhe von vier Millionen Euro. Das soll uns Freiheiten verschaffen, um in Zukunft Schwerpunkte zu setzen, die uns am Herzen liegen. Darin sehe ich eine Chance.
Was liegt Ihnen denn am Herzen?
Weyer: Zunächst gibt es bestimmte Kriterien für die Neuorientierung, wie etwa die Bedeutung für die Mitgliederbindung und die Relevanz für die öffentliche Präsenz. Beides halte ich für wesentlich. Wir verlieren im Moment beunruhigend viele Mitglieder. Darauf haben wir noch keine zufriedenstellenden Antworten gefunden.
Ich erinnere mich gerne an die öffentliche Präsenz der evangelischen Kirche während des 500. Reformationsjubiläums 2017. Ich empfinde das Engagement der evangelischen Kirche in Wittenberg als wichtigen Akzent, der viel Geld kostet, aber auch wesentlich ist. Es muss Orte geben, an denen die evangelische Kirche präsent ist, und diese Orte kosten Geld.
"Wir müssen sagen, was besonders wichtig ist"
Wie groß sind die Beharrungskräfte innerhalb der EKD-Synode, die ja im November zu spüren waren, als es um Sparvorschläge in einzelnen Bereichen ging?
Weyer: Ich verstehe alle, die für ihr Arbeitsgebiet kämpfen. Das sind ja auch keine unwichtigen Dinge gewesen, die wir bisher gemacht haben. Alles ist wichtig. Damit kommen wir aber leider nicht weiter. Wir müssen sagen, was besonders wichtig ist. Und da muss es Entscheidungen geben.
Die Entscheidung der EKD-Synode im vergangenen November, Prüfaufträge noch einmal zuzulassen, war klug. Die Vorgabe beinhaltet auch, dass Änderungen an Sparvorgaben in einem Bereich in einem anderen Bereich kompensiert werden müssen. Das Interessante ist, dass uns gar nicht so viele Prüfaufträge erreicht haben. Wir haben sie bearbeitet, und in Kürze wird es einen Zwischenstand dazu geben.
Wie empfinden Sie die Zusammenarbeit mit dem vom Rat eingesetzten Begleitenden Ausschuss im "Prozess zur Neuorientierung der Finanzstrategie der EKD"?
Weyer: Der Begleitende Ausschuss hat keine Entscheidungsgewalt, er macht Vorschläge an den Rat und an den Haushaltsausschuss, über die die Synode letztlich entscheidet. Der Begleitende Ausschuss hat in den vergangenen Jahren wertvolle Fleißarbeit geleistet. Bei der jüngsten Synode wurde eine stärkere Kommunikation mit dem Haushaltsausschuss beschlossen. Unser Ausschuss hat zwei Mitglieder entsendet, die die Ergebnisse dann in den Haushaltsausschuss einbringen. Ich selbst gehöre dem Begleitenden Ausschuss nicht an.
"Ausschussvorsitzender muss kein Finanzexperte sein"
Sie sind nach vielen Jahren der erste Theologe, der dem Ausschuss vorsitzt. Vorher waren es Finanzexperten. Macht das einen Unterschied?
Weyer: Ich hatte großen Respekt, als mich die Anfrage erreichte, und ich habe mir das ausführlich überlegt, ob ich den Vorsitz übernehmen will. Was mich überzeugt hat, war das Argument, dass der Ausschussvorsitzende kein Finanzexperte sein muss. Er muss aber gut moderieren können und für gute Ergebnisse sorgen.
Beim Thema Mitgliederorientierung werden Vorschläge wie etwa ein Bonus für Kirchenmitglieder oder eine Kirchenmitgliedschaft "light" diskutiert. Was halten Sie von alternativen Modellen der Mitgliedschaft?
Weyer: Wir müssen kundenfreundlichere Umgangsweisen finden. Kirchensteuernachlässe wären aber eher nicht der richtige Weg. Was wir ändern sollten, ist das zu starre Verständnis von Gemeindeformen. Bei uns in der evangelischen Kirche ist die Kirchengemeinde immer noch die Ortskirchengemeinde, also eine geografische Größe. Ich erlebe aber, dass Menschen ihre Gemeinde nicht nach dem Wohnort aussuchen. Das müsste durchlässiger gestaltet werden. Außerdem sollten neue Gemeindeformen dauerhaft an Kirchensteuermitteln beteiligt werden. Im Moment erhalten sie vielleicht Projektmittel für wenige Jahre und können sich danach nicht weiter finanzieren.
"Wir müssen flexibler werden"
Ein großer Teil der Kosten entsteht durch Aufwendungen für Gehälter und Pensionen für die Pfarrerinnen und Pfarrer. Muss man für die Zukunft über neue Anstellungsverhältnisse nachdenken?
Weyer: Auf jeden Fall. Ich glaube, dass die Zukunft nicht in verbeamteten Pfarrerinnen und Pfarrern liegt. Wir müssen da flexibler werden, um die Lasten in den nächsten Jahren tragen zu können. Einige Landeskirchen wissen schon heute nicht mehr, wie sie die Pensionszahlungen für beamtete Mitarbeitende in den Kirchen auf Dauer leisten können.
Das wird den Pfarrerinnen und Pfarrern nicht gefallen.
Weyer: Die Vorteile einer Verbeamtung haben heute in meinen Augen nicht mehr die zentrale Bedeutung wie früher. Zu einem attraktiven Pfarrberuf gehört es zum Beispiel auch, die Residenzpflicht in übergroßen Pfarrhäusern im ländlichen Raum zu hinterfragen. Dass Pfarrerinnen und Pfarrer in ihrer Kirchengemeinde wohnen, ist wichtig. Es kann aber auch die eigene Wohnung sein. Aber das ist nur ein Beispiel: Wir müssen insgesamt flexibler werden und viel mehr Freiheiten für die Gestaltung von Anstellungsverhältnissen bekommen.
"Keine Vereinheitlichung anstreben"
Es ist viel von sogenannten Synergie-Effekten zwischen EKD und Landeskirchen sowie mittels engerer Zusammenarbeit zwischen den Landeskirchen untereinander die Rede. Wie könnte das Verhältnis zwischen EKD und Landeskirchen in Zukunft aussehen? Wo sehen Sie Grenzen?
Weyer: Ich sehe Grenzen der Zusammenarbeit, wenn die Identität einer Landeskirche berührt ist. Jede Landeskirche ist anders geprägt, zum Beispiel durch ihre Konfessionalität. Da sollten wir keine Vereinheitlichung anstreben.
Potenzial für Synergien und Einsparungen sehe ich vor allem auf Ebene der Verwaltungen. Als sehr frustrierend empfinde ich, dass fast jede Landeskirche ein eigenes System für Finanzbuchhaltung und das Meldewesen unterhält. Gemeinsame IT-Lösungen sind dringend geboten. Und dann muss man in den nächsten Jahren sehr deutlich über die Anzahl der Landeskirchen sprechen.
Sie sprechen ein heißes Eisen an: Fusionen unter den 20 Landeskirchen. Die Widerstände sind groß.
Weyer: Die Nordkirche als Zusammenschluss dreier Landeskirchen hat es 2012 vorgemacht, dass es geht. Da müssen andere Landeskirchen nachziehen.
Tut sich da was?
Weyer: Verständlicherweise wird das nicht öffentlich diskutiert, die Gespräche sind aber schon intensiv. Aber ich wünsche mir da noch mehr Bewegung. Man sollte ernsthaft die Frage stellen, ab welcher Größe eine Landeskirche noch funktionsfähig ist.
Ab welcher Größe stellen Sie das infrage?
Weyer: Das würde zu weit führen, wenn ich da jetzt eine konkrete Zahl nenne.
Der Mitgliederverlust bestimmt seit einigen Jahren die Debatte über und in den Kirchen. Was setzen Sie diesem Verfallsdiskurs entgegen?
Weyer: Der Druck, der durch die Austritte auf uns wirkt, führt zu der Frage: Was ist uns eigentlich wichtig? Und da liefern die im November von der EKD-Synode verabschiedeten zwölf Leitsätze aus meiner Sicht einige Antworten: Wir müssen zum Beispiel klarer unseren Glauben wieder zur Sprache bringen. Wenn wir uns damit noch einmal stärker beschäftigen, dann ist das auch eine positive Folge der Austritte, die uns am Ende für die Menschen wieder attraktiver macht. Denn viele vermissen das Sprechen über den Glauben in der Kirche.