Papst Franziskus hat den Rücktritt von Kardinal Reinhard Marx als Erzbischof von München und Freising abgelehnt. Das teilte der Vatikan am Donnerstag mit. In einem persönlichen Brief bat Franziskus ihn, im Amt zu bleiben. Er schrieb: „Mach weiter, so wie du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising.“
„Sich der Heuchelei bewusst zu werden, ist ein erster Schritt, den wir gehen müssen“, heißt es in dem im Original auf Spanisch abgefassten Antwortbrief des Papstes an einen seiner engsten Berater. „Wir müssen für die Geschichte Verantwortung übernehmen, sowohl als einzelner als auch in Gemeinschaft“, fügte er hinzu. „Du sagst in Deinem Brief zu Recht, dass es uns nichts hilft, die Vergangenheit zu begraben. Das Schweigen, die Unterlassungen, das übertriebene Gewicht, das dem Ansehen der Institutionen eingeräumt wurde - all das führt nur zum persönlichen und geschichtlichen Fiasko“, so der Papst.
Kardinal Marx zeigte sich angesichts des Neins von Papst Franziskus zu seinem Rücktrittsangebot als Erzbischof von München und Freising überrascht. Er habe „nicht damit gerechnet“, dass der Papst so schnell reagieren würde, und auch den Inhalt der Entscheidung habe er „so nicht erwartet“, heißt es in einer am Donnerstag vom Erzbistum München und Freising verbreiteten Stellungnahme von Marx. Er sei „bewegt über die Ausführlichkeit und den sehr brüderlichen Ton des Briefs“. Der Vatikan hatte das Papst-Schreiben an den Kardinal veröffentlicht.
Marx will Amt als Erzbischof weiter ausführen
Marx sagte weiter, er spüre, wie sehr Papst Franziskus „mein Anliegen versteht und aufgenommen hat“. Im Gehorsam akzeptiere er dessen Entscheidung, „so wie ich es ihm versprochen habe“. Marx will also sein zur Verfügung gestelltes Amt als Erzbischof weiter ausführen. Die Entscheidung des Papstes empfinde er als „große Herausforderung“: „Danach einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen, kann nicht der Weg für mich und auch nicht für das Erzbistum sein.“
Die Entscheidung des Papstes bedeute für ihn und die „gemeinsame Arbeit“ im Erzbistum, „zu überlegen, welche neuen Wege wir gehen können“, auch angesichts einer „Geschichte vielfältigen Versagens“. Dabei stehe der Bischof „nicht alleine, und ich werde in den nächsten Wochen darüber nachdenken, wie wir gemeinsam noch mehr zur Erneuerung der Kirche hier in unserem Erzbistum und insgesamt beitragen können“, heißt es in der Erklärung von Marx weiter.
In dem vom Vatikan veröffentlichten Brief stimmt Franziskus Marx zu, „dass wir es mit einer Katastrophe zu tun haben: der traurigen Geschichte des sexuellen Missbrauchs und der Weise, wie die Kirche damit bis vor Kurzem umgegangen ist“. Die Veröffentlichung des Briefs bricht mit dem gängigen Vorgehen des Vatikans bei Personalfragen.
Marx hatte am 4. Juni seinen Amtsverzicht angeboten. In einem Brief an den Papst, der auf den 21. Mai datiert ist, schrieb er: „Im Kern geht es für mich darum, Mitverantwortung zu tragen für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten.“ Die Untersuchungen und Gutachten der letzten zehn Jahre zeigten durchgängig, dass es viel persönliches Versagen und administrative Fehler gegeben habe, aber eben auch institutionelles oder 'systemisches' Versagen. In einem Brief an Franziskus, der auf den 21. Mai datiert ist, hob er hervor, er wolle mit seinem Amtsverzicht persönliche Verantwortung übernehmen, „nicht nur für eigene mögliche Fehler, sondern für die Institution Kirche“, denn diese stehe nach seiner Einschätzung an einem „toten Punkt“.
Erleichterung bei Kirchenführern
In der katholischen Kirche löste die Entscheidung Erleichterung aus. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, sei erleichtert, dass Kardinal Marx weiter im Amt ist und freue sich auf die Fortsetzung der Zusammenarbeit, teilte der Sprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp, dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit. Marx wollte sich im Laufe des Donnerstagnachmittags noch selbst äußern.
Der oberste Repräsentant der katholischen Laien, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, sagte der „Rheinischen Post“ (Freitag), er sei froh, „dass Kardinal Marx uns als starke Stimme erhalten bleibt“. Die Entscheidung aus Rom zeige, „dass die angebliche Unzufriedenheit über den Synodalen Weg in Deutschland der vielschichtigen Realität nicht entspricht“.
Der bayerische Landesbischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sagte, er könne seine Erleichterung über die Entscheidung des Papstes „nicht verhehlen“. Bedford-Strohm sagte dem epd: „Wir brauchen die Stimme von Kardinal Marx - für die Ökumene, für die Reformprozesse der Kirche und auch als Stimme öffentlicher Theologie.“ Der Ratsvorsitzende sagte weiter, er deute die Entscheidung des Papstes vom Donnerstag „auch als deutliches Zeichen der Unterstützung für die Reformprozesse innerhalb der katholischen Kirche“. An diesen nähmen die Evangelischen Anteil, sagte Bedford-Strohm weiter.
Der Münsteraner Experte für Kanonisches Recht, Thomas Schüller, sagte dem epd, mit der Entscheidung bleibe Marx einer der engsten Berater des Papstes. „Leider erwähnt der Papst mit keinem Wort die Opfer sexualisierter Gewalt in der Kirche und auch nicht die die Kategorie der Gerechtigkeit“, sagte Schüller. Die Nichtannahme des Rücktritts immunisiere Marx auch nicht vor späteren Rücktrittserfordernissen durch neue Untersuchungen.
Kritik kam auch vom Sprecher der Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch. „Mit seiner Entscheidung nimmt Franziskus dem Rücktrittsangebot von Kardinal Marx die Wucht“, sagte er. Besonders erschreckend sei, wie der Papst in seiner Erklärung versuche, die Verantwortung für Machtmissbrauch und Missbrauchsvertuschung durch Bischöfe weltweit zu relativieren, indem er darauf verweise, dass früher eben „andere Zeiten“ gewesen seien.
Auch in der Vergangenheit hatte der Papst Rücktrittsgesuchen von Bischöfen nicht immer zugestimmt. So reichte die gesamte chilenische Bischofskonferenz 2018 ihren Rücktritt ein, nachdem systematische Vertuschung von Missbrauchsskandalen weltweit Schlagzeilen gemacht hatte. Von den 34 Rücktrittsgesuchen nahm Papst Franziskus schließlich nur wenige tatsächlich an.