Als Gesandte des Heiligen Stuhls sollten sich die zwei Bischöfe im Juni vor Ort ein Bild der Situation im Erzbistum Köln verschaffen, teilte die Apostolische Nuntiatur mit, die diplomatische Vertretung des Heiligen Stuhls in Berlin. Dabei würden sie mögliche Fehler des Kölner Erzbischofs, Kardinal Rainer Maria Woelki, der Weihbischöfe Dominikus Schwaderlapp und Ansgar Puff sowie des heutigen Hamburger Erzbischofs Stefan Heße untersuchen.
Vor dem Hintergrund eines erst kürzlich bekannt gewordenen Falls von Missbrauch in seinem Erzbistum begrüßte Woelki die vom Papst angeordnete Untersuchung. Er habe Franziskus bereits im Februar in Rom umfassend über die Situation informiert.
Der amtierende Hamburger Erzbischof Heße und der Kölner Weihbischof Schwaderlapp hatten dem Papst nach Vorwürfen im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen bereits den Rücktritt angeboten. Heße war bis zu seiner Ernennung zum Erzbischof von Hamburg von 2015 in Köln tätig, unter anderem als Generalvikar. Nach dem Rücktritt von Kardinal Joachim Meisner von 2014 leitete er zeitweise als Diözesanadministrator das Erzbistum Köln.
Bei dem jüngst bekannt gewordenen Fall handelt es sich um die Beförderung eines Pfarrers aus Düsseldorf im Jahr 2017. Ein sexueller Kontakt des Mannes mit einem Minderjährigen war 2001 aktenkundig geworden. Der Theologe ist mittlerweile beurlaubt. Nachdem die Staatsanwaltschaft ihre Untersuchungen wegen Verjährung einstellte, wurde der Fall nach Rom gemeldet und ein kirchenrechtliches Verfahren eröffnet.
Der Geistliche war laut dem Gutachten der Kanzlei Gercke-Wollschläger 2001 in Köln von einem obdachlosen und minderjährigen Prostituierten erpresst worden, weil er Sex mit dem Jugendlichen gehabt haben soll. Zudem soll sich laut dem im März vorgelegten Rechtsgutachten des Strafrechtlers Björn Gercke ein Mann 2010 bei dem Erzbistum Köln gemeldet und berichtet haben, dass der Pfarrer ihn mehrmals sexuell belästigt habe.
In den Jahren 2010 und 2015 gingen darüber hinaus anonyme Schreiben im Erzbistum ein, in denen der Geistliche des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger bezichtigt wurde. Der Beschuldigte stritt diese wie auch die anderen Vorwürfe laut Gutachten ab.
Kirchenrechtler: Visitation "äußerst ungewöhnlich"
Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sagte der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“, eine Visitation bei einem Kardinal sei „äußerst ungewöhnlich“. Das zeige, das Rom und der Papst die Situation in Köln sehr ernst nähmen. „Da müssen die Römer schon in großer Sorge sein, dass an den Vorwürfen ernsthaft und substanziell etwas dran ist“, sagte der Direktor des Instituts für Kanonisches Recht der Universität Münster. „In 99 Prozent der Fälle ist eine Visitation der Anfang vom Ende.“
Der Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Köln begrüßte die Visitation. Sie zeige, „dass auch in Rom verstanden wird, dass im Erzbistum Köln unter der Leitung von Kardinal Woelki der Kontakt zwischen Gemeinden und Bistumsleitung schwer geworden ist“, erklärte der Vorsitzende des katholischen Laienverbandes, Tim O. Kurzbach, am Freitag in Köln. Der Diözesanrat gehe davon aus, dass Mitarbeiter- und Laienvertreter an den Gesprächen mit den Visitatoren beteiligt würden.
Die Kirchenreformbewegung „Wir sind Kirche“ erklärte, die Visitation werde nicht nur das juristische Handeln in den Blick nehmen müssen, „sondern auch die moralische Verantwortung sowie die gesamte pastorale und kommunikative Situation im Erzbistum“. Für die Glaubenden im Erzbistum sei zu hoffen, „dass möglichst bald ein personeller und spiritueller Neuanfang“ gelinge.
Münsteraner Bischof lässt erneut Untersuchung gegen Woelki prüfen
Der Münsteraner Bischof Felix Genn lässt innerhalb weniger Monate zum zweiten Mal prüfen, ob er kirchenrechtliche Ermittlungen gegen den Kölner Erzbischof Woelki aufnehmen lassen wird. Woelki werde erneut vorgeworfen, einen mutmaßlichen Vorfall sexueller Gewalt durch einen katholischen Pfarrer nicht weiter untersucht und nicht gemeldet zu haben, teilte das Generalvikariat in Münster am Freitag auf Anfrage mit. Eine entsprechende Anzeige sei beim Bischof von Münster eingegangen und an den Heiligen Stuhl weitergegeben worden. Am Freitag wurde zudem bekannt, dass Papst Franziskus den Umgang des Erzbistums Köln mit Missbrauchsfällen untersuchen lässt.
Als dienstältester Bischof der Kirchenprovinz Köln sei Genn zur einer solchen kirchenrechtlichen Untersuchung verpflichtet, wenn er Meldung darüber erhalte, dass der Erzbischof es unterlassen hat, zivile oder kirchenrechtliche Untersuchungen gegen einen Kleriker aufzunehmen, dem sexueller Missbrauch vorgeworfen wird, hieß es. Hintergrund ist das 2019 von Papst Franziskus veröffentlichte Apostolische Schreiben „Ihr seid das Licht der Welt“. Darin hatte das Kirchenoberhaupt unter anderem eine Meldepflicht für Missbrauchsfälle angeordnet und auch die Vertuschung von sexuellem Missbrauch als Straftat definiert. Bereits im Dezember 2020 hatte Bischof Genn eine Meldung zu einem Missbrauchsfall im Erzbistum Köln an den Vatikan gemacht.
Bei dem ersten gemeldete Fall soll Woelki im Jahr 2015 nach Sichtung von Personalunterlagen verfügt haben, den Missbrauchsvorwürfen gegen einen inzwischen verstorbenen Pfarrer nicht weiter nachzugehen, keine kirchenrechtliche Voruntersuchung einzuleiten und den Fall nicht an den Apostolischen Stuhl in Rom zu melden. Das Opfer erhielt nach einer Prüfung des Falls eine Entschädigung in Höhe von 15.000 Euro vom Erzbistum.
Zu dem neuen Fall machte das Bistum Münster keine Angaben. Wie die in Düsseldorf erscheinende „Rheinische Post“ (Samstag) berichtet, handelt es sich um Vorwürfe des Missbrauchs gegen einen Pfarrer, der von 1995 bis 2000 Kaplan in den Gemeinden St. Margareta/ St. Cäcilia in Düsseldorf-Gerresheim tätig war. Er war erst kürzlich beurlaubt worden, nachdem der Fall publik wurde. In einem Anfang der Woche veröffentlichten Offenen Brief kritisieren 140 Gemeindemitglieder das Erzbistum für sein Verhalten im Umgang mit den Missbrauchsfällen. Woelki wurde gebeten, an einer Firmung am 9. Juni nicht teilzunehmen.
In einer nicht öffentlichen Sitzung hatte sich der Erzbischof am Donnerstag den Fragen von etwa 40 Gemeindemitgliedern gestellt. Woelki äußerte Verständnis für Kritik. „Wir können Gräben nur überwinden, wenn wir miteinander reden. Ich kann viele Sorgen und Vorwürfe verstehen, und mir ist es wichtig, sie zu hören. Nur dann können wir zusammen weitergehen und Lösungen finden“, hieß es in einer Stellungnahme am Freitag.