Die beiden Theologinnen wurden vom kirchenleitenden Gremium Moderamen vorgeschlagen. Wegen der Corona-Pandemie tagt die Wahlsynode digital im Internet. Die beiden Kandidatinnen werden die Wahl zusammen mit dem Moderamen in der Emder Johannes-a-Lasco-Bibliothek verfolgen, dem traditionellen Tagungsort der reformierten Synode. Die Wahl ist nötig, weil der 2013 gewählte Amtsinhaber Martin Heimbucher (65) Ende Juli in den Ruhestand treten wird.
Die Evangelisch-reformierte Kirche mit Sitz im ostfriesischen Leer zählt zu den kleineren Landeskirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland EKD. Anders als die anderen Landeskirchen verfügt sie nicht über ein klar abgegrenztes Territorium. Ihre 143 Kirchengemeinden mit zusammen rund 168.500 Mitgliedern sind verstreut zwischen Ostfriesland und dem Allgäu.
Die beiden Kandidatinnen verfügen über große Erfahrung in der Gemeinde- und Gremienarbeit. Susanne Bei der Wieden (54) ist seit 2003 Pfarrerin der evangelisch-reformierten Gemeinde Frankfurt/Main. In der Synode der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau (EKHN) nimmt sie das Amt der stellvertretenden Synodenpräses wahr. Sie lehrte zuvor am Reformierten Seminar für pastorale Aus- und Fortbildung in Wuppertal. Sabine Dreßler (58) ist seit 2017 Referentin für Menschenrechte, Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover. Sie war Theologische Referentin für Reformierte Ökumene beim Reformierten Bund in der EKD. Von 1993 bis 2013 war sie Pastorin der Evangelisch-reformierten Gemeinde Braunschweig.
Diskutierfreudig: Susanne Bei der Wieden
Fast wäre Susanne Bei der Wieden Kirchenmusikerin geworden, doch dann war die Liebe zur Theologie doch stärker. Die 54-jährige Frankfurter Theologin ist überzeugt: "Kirche braucht Leidenschaft und Diskutierfreudigkeit." Bei der Wieden: "So ist die reformierte Kirche und so bin ich auch. Ich glaube, das könnte sehr gut passen."
Bei der Wieden kennt sich mit Gremien und der Arbeit in der Kirchengemeinde bestens aus. In der Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau nimmt sie das Amt der stellvertretenden Synodenpräses wahr. Von 1999 bis 2003 war sie am Reformierten Seminar für pastorale Aus- und Fortbildung in Wuppertal tätig, wo sie Vikarinnen und Vikare begleitete. Seit 2003 ist sie Pastorin der reformierten Gemeinde in Frankfurt/Main. "Hier gibt es Menschen aus der Wirtschaft in hohen Positionen und wohnungslose Menschen – die ganze gesellschaftliche Vielfalt."
Die Kirche müsse nahe an den Menschen sein, betont die promovierte Theologin. Dabei reicht es ihr aber nicht, nur ein netter Akteur im Quartier unter anderen zu sein. "Wir müssen erkennbar sein und uns fragen, was unser Auftrag ist und welche Werte der Bibel dabei wichtig sind." Aktuelle Themen, zu denen die Kirche gefragt sei, gebe es genug. "Das beginnt beim Klimawandel und der wachsenden Armut in der Gesellschaft. Wie gehen wir mit Geflüchteten um und wie stehen wir als Friedensbotschafter zu autonomen Waffen?"
"Nicht zu glatte kirchliche Botschaften"
Bei der Wieden warnt davor, kirchliches Handeln zu sehr von der Mitgliederentwicklung bestimmen zu lassen. "Eine kleine Kirche mit einer klaren Botschaft kann stärker sein als eine Vereinskirche mit vielen Mitgliedern." Die kirchliche Botschaft dürfe nicht zu "glatt" sein und müsse auch mal provozieren.
Beeindruckend findet die Theologin die starke Eigenständigkeit der reformierten Gemeinden. Darin sieht sie ein Alleinstellungsmerkmal. Die theologischen Unterschiede zwischen den christlichen Konfessionen seien Laien zwar kaum noch vermittelbar. Von den Menschen werde jedoch wahrgenommen, dass die reformierten Gemeinden viel stärker von ihren Mitgliedern getragen werden.
Dieses deutliche Profil ermögliche auch den Austausch und die Zusammenarbeit in der Ökumene, betont Bei der Wieden. In Frankfurt ist sie maßgeblich am Aufbau der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen beteiligt gewesen. Wichtig ist ihr auch das christlich-muslimische Gespräch. Zudem hat sie ein Projekt in Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinde geplant: Christliche Konfirmanden und jüdische Jugendliche, die sich auf ihre Bar Mizwa und Bat Mizwa vorbereiten, wollten einander besuchen. "Das hat Corona leider verhindert."
Sollte sie Kirchenpräsidentin werden, freue sie sich schon auf die reiche ostfriesische Orgelkultur, sagt Bei der Wieden. Auch wenn sie schon lange nicht mehr selbst auf der Orgelbank gesessen habe, so liebe sie doch diese Instrumente. Bedauern würde sie allerdings, dass sie ihren Platz im Orchester aufgeben müsste. Dort spielt sie Cello.
"Die Kirche ist politisch" - Sabine Dreßler
Sabine Dreßler kennt sich aus in der reformierten Kirche - und zwar weltweit. Ob in Lübeck, Braunschweig, Hamburg, dem mecklenburgischen Bützow, dem ostfriesischen Greetsiel oder in Südafrika: In der reformierten Welt ist ihr Name auf nationaler und internationaler Ebene ein Begriff. Nun will die 58-jährige Theologin die erste Kirchenpräsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche werden.
Die 1962 in Göttingen geborene Sabine Dreßler arbeitet derzeit als Oberkirchenrätin bei der EKD in Hannover. Dort kümmert sie sich um das Referat Menschenrechte, Migration und Integration. Das Thema Menschenrechte liege ihr sehr am Herzen, sagt die Theologin. "Das liegt in unserer reformierten DNA, denn die reformierte Kirche ist eine Migrantenkirche, aufgebaut von Glaubensflüchtlingen."
Als Vikarin lebte und arbeitete sie 1989 im letzten Jahr der Rassentrennung in einem Township für Schwarze in Südafrika. Dass sich die Kirche in politische Debatten in Fragen der Menschenwürde einmischen muss, steht für Dreßler außerfrage. "Die Kirche ist politisch, weil sie den Menschen ganzheitlich sieht. Es gibt keinen Bereich der Welt, der von Gott getrennt ist." Bei Gott seien alle Trennungen von Menschen aufgehoben. "Darum muss die Kirche einschreiten, wenn die Würde von Menschen mit Füßen getreten wird."
Ob im Dorf oder weltweit: eine Netzwerkerin
Sich selbst versteht Dreßler als Netzwerkerin. Ob auf dem Dorf, in der Stadt oder in nationalen und internationalen Gremien: Immer gehe es ihr darum, Menschen ins Gespräch zu bringen und der Stimme der Kirche Gewicht zu verleihen. Die Kirche könne Menschen begleiten und befähigen. Dies habe sie als leidenschaftliche Pastorin zwischen 1993 und 2013 in ihrer Braunschweiger Kirchengemeinde immer wieder erlebt. "Doch um gehört und wahrgenommen zu werden, müssen wir raus aus unseren Mauern und in die Mitte und an die Ränder der Gesellschaft gehen."
Eine bundesweite Mitgliederstudie habe deutlich gezeigt, dass die Gestaltungsräume für die Kirchen in Zukunft enger werden. Bis 2060 werde sich die Zahl der Kirchenmitglieder halbieren. "Vieles Verlorenes werden wir nicht wieder aufholen können. Aber wir dürfen auf diese Zahlen nicht starren, wie das Kaninchen auf die Schlange", betont die Theologin. "Die Kunst liegt darin, sich zu vernetzen, ohne die eigene Identität zu verlieren. Dann können wir auch mutig in die Zukunft sehen."
Viele Kolleginnen und Kollegen täten dies bereits. "Letztlich geht es um die Frage, wie wir als Menschen und Gesellschaft leben wollen", sagt Dreßler. Die "Fridays for Future"-Jugend mache dies vor: "Die Fragen der Jugend sind auch unsere Fragen."
An der reformierten Kirche schätze sie besonders das vielfältige und demokratische Miteinander, unterstreicht Dreßler: "Diese Kirche lebt in und von ihren Gemeinden." In diesem Jahr feiere die reformierte Kirche das 450. Jubiläum der Emder Synode von 1571, betont sie. Schon damals hätten die Delegierten festgeschrieben, dass ihre Kirche eine Beteiligungskirche sein soll. Diese Grundsätze seien bis heute gültig.