"Abstandsregeln, ob physisch oder geistig, sind dringend zu empfehlen", sagt Michael Pöhlmann. Und meint damit den Umgang mit der coronakritischen Initiative Querdenken. Denn das Demonstrationsrecht sei zwar ein wertvolles Grundrecht und auch die Diskussion über staatlich verordnete Maßnahmen sei wichtig, betonte der landeskirchliche Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen bei einem Pressegespräch der evangelischen Landeskirche in München. Dennoch müsse immer auf den weltanschaulichen Hintergrund der Akteure geachtet werden.
Damit die Einordnung solcher neuen und immer undurchsichtigeren Strömungen leichter fällt, hat die Landeskirche gemeinsam mit der Konferenz der Landeskirchlichen Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine neue Broschüre herausgebracht. Die Handreichung "Evangelische Orientierungen inmitten weltanschaulicher Vielfalt" will diverse christliche, religiöse und weltanschauliche Bewegungen darstellen und aus evangelisch-christlicher Perspektive bewerten, erläuterten drei kirchliche Experten bei der Präsentation.
Von Yoga bis zum Spaghettimonster
Die Broschüre sei weder als "schwarze Liste" noch als "gelbe Seiten" zu verstehen, betonte Pöhlmann. Vielmehr solle sie eine Orientierungshilfe geben. Zusätzlich zu einem deutschlandweiten Stammteil gibt es einen Regionalteil, der sich den in Bayern besonders aktiven Gemeinschaften widmet, ergänzte Bernd Dürholt von der Beratungsstelle für Neue religiöse Bewegungen im Dekanatsbezirk München. Neben der Initiative Querdenken wird in dem Papier auch zu Phänomenen wie Halloween, Achtsamkeit, Yoga, Schamanismus oder der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Stellung genommen.
Dass die Welt den Menschen von Jahr zu Jahr komplizierter, zerbrechlicher und gefährlicher erscheine, etwa aufgrund von Digitalisierung, Klimawandel und Pandemien, helfe Verschwörungstheorien und antidemokratischen Bewegungen beim Wachsen, erklärte der landeskirchliche Beauftragte für geistige und religiöse Strömungen, Haringke Fugmann, aus Bayreuth. Auch der Informationsprozess ändere sich: Meinungen, Stimmungen und Narrative seien häufig attraktiver als Fakten. Und das gestiegene Tempo der Kommunikation sowie die sogenannten "Echokammern" in sozialen Medien befeuerten diese Entwicklung zusätzlich.
Querdenker nutzen Privileg der Religionsfreiheit
Viele der Themen, die Initiativen wie Querdenken jetzt besetzten, waren vorher schon da, sagen die Experten. Doch jetzt würden sie vernetzt: Impfen, Digitalisierung und Überwachung hätten in der Coronamaßnahmen-Kritik einen neuen gemeinsamen symbolischen Raum. Und so ist auch aus der "kleinen, aber lautstarken Minderheit" laut Pöhlmann mittlerweile ein "nahezu unüberschaubares Geflecht von Initiativen und Vereinigungen" erwachsen, bei denen häufig nicht mehr direkt ersichtlich sei, wer dahinterstecke. Es handle sich um eine sehr heterogene Gemeinschaft unter anderem aus Impfgegnern, Reichsbürgern, Esoterikern und Anhängern der QAnon Bewegung. Außerdem seien ihre Protagonisten zum Teil sehr gut mit Rechtsextremen und anderen radikalen Gruppierungen vernetzt.
Die Bewegung, die seit dem Frühjahr 2020 zum Widerstand gegen die Corona-Schutzmaßnahmen aufruft, kommuniziere vor allem über Soziale Medien, insbesondere über Telegram. Die Meinungsmacher hätten dort zum Teil weit über 100.000 Nutzer, erklärte Pöhlmann. Auch nutzten sie schon das Privileg der Religionsfreiheit und missbrauchten es für ihre Zwecke: etwa als sie am 1. November 2020 in München eine Großkundgebung kurzerhand zu einem Gottesdienst umdeklarierten, um sie stattfinden lassen zu können.
Experten raten zu Geduld und Ausdauer
Doch wie mit Querdenkern und ihren Sympathisanten umgehen? Die Experten raten zu Geduld und Ausdauer, um sie zu erreichen. Man solle ihnen auf Augenhöhe begegnen, aber auch rote Linien markieren, sagte Pöhlmann. Und versuchen zu verstehen, welche Motive hinter ihrer Wut steckten. So seien häufig Ohnmacht, Hilflosigkeit und Überforderung wesentliche Gründe, die Menschen dazu veranlassten, empfänglich für diese Botschaften zu werden. Doch, das müsse er zugeben, sagt Pöhlmann: Häufig sei es sehr schwierig, überhaupt ins Gespräch zukommen. Hoffnung sieht Fugmann am ehesten bei denen, die erst kurz dabei sind: Sie steckten noch nicht so tief in den Ideologien, die Chance sei größer, sie noch zu erreichen, erklärte er.