"Wir wollen eine unabhängige Aufarbeitungskommission nach dem Modell des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung", sagte Kerstin Claus am Freitag bei einer Online-Pressekonferenz vor Beginn der Synodentagung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), auf der der Stand der Aufarbeitung Thema sein wird. Claus ist selbst Opfer von Missbrauch in der evangelischen Kirche geworden und bemüht sich seit Jahren um die Aufklärung der Missbrauchstaten.
Bislang habe die Evangelische Kirche in Deutschland eine unabhängige Aufarbeitungskommission abgelehnt und immer auf die bereits existierenden Unabhängigen Kommissionen verwiesen, die sich mit der Anerkennung des erlittenen Leids auch in finanzieller Hinsicht in den einzelnen evangelischen Landeskirchen befassen, kritisierte Claus. Was die EKD "unabhängig" nenne, sei nicht wirklich unabhängig, sagte auch Katharina Kracht, ebenfalls Betroffene von sexualisierter Gewalt. Die bereits existierenden Kommissionen würden durch die Landeskirchen berufen. Die Landeskirchen bestimmten also, wer dort mitarbeite, sagte Kracht. Nicht selten sitze ein leitender Geistlicher oder eine leitende Geistliche dem Gremium vor.
Auf ihrer Tagung im Juni hatten die 20 Landeskirchen der EKD in einem "Letter of Intent" der weiteren Zusammenarbeit zwischen der EKD und dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, zugestimmt. Bislang gibt es jedoch noch keine Erklärung über die weitere Zusammenarbeit, wie sie die katholische Deutsche Bischofskonferenz im Juni in Berlin unterzeichnet hatte.
Der Betroffene Detlev Zander, der auch Mitglied im neu gegründeten Betroffenenbeirat der EKD ist, kritisierte, dass Kirche und Diakonie zu selten über die Entschädigungen für Opfer sprächen. Er berichtete, dass vielen Betroffenen angesichts ihres Alters bald die Zeit davonlaufe. Viele ehemalige Heimkinder, die Opfer von Missbrauch geworden seien, sorgten sich nun um ihre Pflege bei Behinderung oder Gebrechlichkeit. Sie lebten oftmals am Rande des Existenzminimums, könnten sich gute Pflege oft nicht leisten und hätten zudem Angst vor einer Retraumatisierung, müssten sie in ein Alten- oder Pflegeheim.
Zander schlug vor, dass Kirche und Diakonie für eine menschenwürdige Unterbringung der Menschen bis zu deren Lebensende sorgen könnten - als Teil einer Entschädigung. Als Beispiel nannte er die Möglichkeit, diesen Menschen Wohnungen im Besitz der evangelischen Kirche zur Verfügung zu stellen. Die EKD oder die Diakonie könnten außerdem Kostendifferenzen ausgleichen, wenn nicht alle Kosten von der Pflegeversicherung bezahlt würden.