Die Zahl der Mitglieder sinkt, das Vertrauen in die Institution auch: Mit diesem Trend haben die großen Kirchen in Deutschland seit Jahren zu kämpfen. Die Diskussion über die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen war in den vergangenen Jahren einer der zentralen Gründe für den Vertrauensverlust unter den Mitgliedern. Es gibt aber auch die andere Seite, vertreten durch Menschen, die die Kirche neu oder wieder entdeckt haben. Für sie sind Gemeinde und kirchliche Gemeinschaft in Gruppen und Kreisen zur Heimat geworden, manchmal mit einem Auf und Ab.
So wie bei Esther-Sophie Worbs, die sich im Alter von 13 Jahren selbst für die Taufe entscheidet. "Ich habe beim Beten, beim Gedanken an Gott immer schon ein wohliges, sicheres Gefühl gehabt", erinnert sie sich. Doch als junge Erwachsene, als sie gerade mit der Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin in den Städtischen Kliniken Osnabrück beginnt, zweifelt sie an Gott und entfernt sich von der Kirche. Denn plötzlich sieht sie jeden Tag Leid, viel Leid. Wie kann ein guter Gott das zulassen, was ich hier sehe? Diese Frage trifft sie bis ins Mark.
Heute arbeitet sie auf der Überwachungsstation der Klinik. Leid gibt es auch dort. Doch mittlerweile denkt sie: "Vielleicht ist es ja Gottes Plan, Menschen beizustehen." Nach einem Umzug, hat die Mittzwanzigerin auch wieder Kontakt zur Kirche. Der Pastor ihrer neuen Gemeinde, Matthias Groeneveld, hat sie in einem Brief willkommen geheißen. Heute engagiert sie sich im Team für den Kindergottesdienst, schätzt die Direktheit und Wärme, die die Kinder ihr entgegenbringen.
Seit einem Jahr ist Esther-Sophie Worbs nun schon Teil der Arbeit in der Matthäus-Gemeinde. Die Monate seit März sind auch hier geprägt von der Corona-Pandemie, die Kindergottesdienste sind zuletzt ausgefallen. Sie merkt aber schon, wie das Jahr sie dem Ort und den Menschen näher gebracht hat - im Viertel wird sie oft auf der Straße gegrüßt. "Ich habe Menschen getroffen, die mein Leben bereichern", erzählt sie und fragt sich: Wo gibt es das denn heute noch, dass man neu irgendwo ist und so freundlich aufgenommen wird?
Ähnlich erlebt es Tobias Schmidt. Der Berufssoldat aus dem ostfriesischen Holtland profitiert nach seinen eigenen Worten von der evangelischen Militärseelsorge, unter anderem beim Auslandseinsatz im Camp Marmal im afghanischen Masar-i-Scharif. Und auch die Gemeinde in ihrem Heimatort ist für Familie Schmidt wichtig. "Ohne die Kirche gäbe es in Holtland nicht viel", meint Ehefrau Melanie Schmidt.
Für ihren Mann jedenfalls stand ein Kirchenaustritt aus finanziellen Gründen nie zur Debatte. "Gute Arbeit und Infrastruktur muss bezahlt werden", meint der Offizier und Logistikexperte. Viel wichtiger ist ihm aber die Gewissheit, die er ohne die Kirche nicht hätte: "Da ist jemand, der auf mich aufpasst."
Dass die Kirche fest im Alltag der Menschen verwurzelt ist, das treibt auch Thekla Behrends aus dem benachbarten Leer an, ist ihr in ihrem kirchlichen Engagement in einem Gesprächskreis für Alleinerziehende wichtig. Sie selbst sei schon immer ein gläubiger Mensch gewesen, habe das Christsein aber nicht mit der Muttermilch aufgesogen, sagt sie. Von ihrem Glauben erzählen, das will sie aber schon. Und von der Bibel, die für sie manchmal aktuell ist wie eine Zeitung, vor allem, was die Nöte der Frauen angeht. Thekla Behrends ist überzeugt: "Menschen, die den Glauben annehmen, sind nicht besser, aber besser dran."
Der Halt im Glauben und in der Gemeinschaft - das motiviert viele Menschen, selbst wenn sie religionslos erzogen wurden wie Heike Schünemann-Bagusch. Aufgewachsen in Staßfurt in Sachsen-Anhalt hatte sie keine Berührungspunkte mit Religion und Kirche - wie so viele Menschen im Osten Deutschlands. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Isernhagen bei Hannover. "Ich habe das Gefühl, die Leute kümmern sich um einen", sagt sie. Und wenn sie von einer Reise zurückkehrt und den weiß getünchten Turm der St.-Marien-Kirche in Isernhagen erblickt, denkt sie: "Jetzt sind wir angekommen."