Ein dicker rot-silberner Teppichläufer mit dem Emblem des byzantinischen Doppeladlers führt in der Heilandkirche Oberau zum Altarraum, der reich geschmückt ist mit Ikonen. Jeden Sonntag feiern seit Januar über 100 rumänisch-orthodoxe Christen Gottesdienst in dem 1962 erbauten evangelischen Kirchlein, das sonst eher Besucherzahlen im einstelligen Bereich gewohnt ist.
"Die kommen zum Teil aus 100 Kilometern Entfernung", sagt Martin Dubberke, Pfarrer der Gemeinde Garmisch-Partenkirchen, anerkennend. Zu gern würde seine schrumpfende Gemeinde die Heilandkirche an die orthodoxen Glaubensgeschwister verkaufen - doch denen fehlt das Geld.
Womit man mittendrin ist im Dilemma vieler evangelischer - und auch katholischer - Gemeinden: Sie haben Räume, die kaum noch jemand nutzt, aber kein Geld, um sie dauerhaft zu erhalten. Die Mitgliedszahlen der Kirchen sinken seit Jahren rapide. Bis 2050 könnte es laut Prognosen nur noch halb so viele Protestanten in Deutschland geben wie heute. Zugleich schwinden auch die Einnahmen aus Kirchensteuermitteln - und somit die Spielräume für so schnöde Dinge wie Renovierungs- und Heizkosten.
Am Beispiel von Garmisch-Partenkirchen lässt sich die Zwickmühle veranschaulichen: Die Gemeinde am Fuße der Zugspitze ist Eigentümerin von gleich fünf Kirchen, eine sechste mietet sie von der Kommune - damit zählt sie in Bayern zu den Spitzenreitern im Hinblick auf Kirchengebäude. Zugleich ist ihre Mitgliederzahl innerhalb von sechs Jahren durch Wegzug, Austritte oder Todesfälle von 5.400 auf knapp unter 4.000 gefallen. "2032 werden wir den Prognosen zufolge nur noch 2.200 Mitglieder haben", rechnet Pfarrer Dubberke vor, der als ehemaliger Vorstand einer diakonischen Einrichtung das Hantieren mit Zahlen gewohnt ist.
Kein Verkauf an Investoren
Doch statt den Kopf in den Sand zu stecken, schaltet der Kirchenvorstand auf Angriff: "Wir haben uns ein Herz gefasst und beschlossen, drei Kirchen zu schließen", sagt Kirchenvorsteherin Carina Benning-Heufelder. Die Heilandkirche Oberau, die Friedenskirche Burgrain und die denkmalgeschützte Erlöserkirche Grainau stünden weitgehend leer, nötige Sanierungs- und Betriebskosten kann die Gemeinde nicht aufbringen.
"Es gibt letztlich keine andere Option", so die 46-Jährige. Nun müssten gute Nutzungskonzepte gefunden werden, die für die Menschen vor Ort ein Gewinn seien. Ein Verkauf an Investoren ist dem Kirchenvorstand und seinem Pfarrer zu billig: "Die Kommune muss etwas davon haben", sagt Dubberke - und die evangelische Gemeinde im Idealfall mittels Erbpacht-Modellen auch.
Eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aus Gemeinde, Dekanat und Landeskirche unterstützt die Garmisch-Partenkirchener in den nächsten Jahren bei diesem Prozess. Wolfgang Hailer, Immobilienstratege im Münchner Kirchengemeindeamt, gehört dazu. Er kennt die Fallstricke im Baurecht und Denkmalschutz genauso wie die Emotionen, die vor Ort hochkochen können. "In Oberau gibt es eine Stifterfamilie, die den Kirchbau damals gefördert hat", erklärt Hailer. Gute Kommunikation sei da besonders wichtig, damit die Schließung nicht zu Streit und Vorwürfen führt. Im Fall der Friedenskirche Burgrain gehe es vor allem um den Flächennutzungsplan, der aktuell den Bau eines Kindergartens oder von Wohnungen verhindert.
Grainau wiederum ist ein Fall für sich: Die Erlöserkirche - kurz nach dem Tod ihres Architekten Olaf Andreas Gulbransson fertiggestellt - ist denkmalgeschützt, ein Abriss oder Umbau sind unmöglich. Hier sollen Studierende der Internationalen Hochschule für Architektur in München Ideen für eine Nachnutzung entwickeln. "Mit solchen Denkanstößen haben wir gute Erfahrungen gemacht", sagt Hailer.
Pfarrer Dubberke betrachtet die Entwicklung mit Stolz und Gelassenheit. "Extrem mutig" nennt der 60-Jährige die Entscheidung seines Kirchenvorstands zur Aufgabe von gleich drei Kirchen. Und er hat beobachtet, dass die Schließungspläne viele Neulinge bewegt haben, für den Kirchenvorstand zu kandidieren: "Schwerpunkt der nächsten Legislatur wird die Gemeindeentwicklung sein - da wollen sich viele einbringen", sagt er. Den gut gelaunten Pragmatiker schrecken die Herausforderungen nicht. "Es gibt keinen anderen Weg, um in die Zukunft zu kommen, als sich zu verändern", ist Dubberke überzeugt.