Befreiung des Konzentrationslagers Dachau vor 75 Jahren.
© epd-bild/Michael McKee
Das Eingangstor zum ehemaligen KZ Dachau. Vor 75 Jahren wurde das Lager durch die 7. US-Armee befreit.
"Wir müssen die Erinnerung weiter tragen"
Zeitzeuge Ernst Grube begrüßt das digitale Gedenken am 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau
"Unser Ziel muss eine Welt des Friedens sein", sagt Ernst Grube. Der Präsident der Dachauer Lagergemeinschaft hat als Jugendlicher die Deportation erlebt und macht sich angesichts der politischen Entwicklung in Deutschland Sorgen. Erinnerung sei nicht überholt, mahnt er im Interview zum 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau.

Herr Grube, was bedeutet Ihnen persönlich der 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau?

Ernst Grube: Es ist ein Tag der Erinnerung. Ich erinnere mich an meine Angst davor, was die Nazis noch mit uns vorhatten, als sie uns so kurz vor dem nahenden Kriegsende noch nach Theresienstadt deportiert haben. Ich erinnere mich an die Geschwister meiner Mutter, die alle von den Nazis ermordet worden waren - einer meiner Onkel in einem Außenlager von Dachau.

Ernst (mit Löwenbaby auf dem Schoß) und sein fast 3 Jahre älterer Bruder Werner waren mit ihren Eltern ohne Judenstern im Tierpark Hellabrunn in München, als der Vater und die Mutter ihre 3 Kindern aus dem jüdischen Kinderheim in Schwabing abgeholt hatten. Sie haben diesen Besuch mit den Kindern wahrscheinlich im Jahr 1942 riskiert.

Die Feierlichkeiten mussten in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden. Was werden Sie vermissen?

Grube: Ich werde die Begegnung mit den Menschen vermissen, die wir mit ihren Familien über den Förderverein für Internationale Jugendarbeit eingeladen haben. Es sind nicht mehr viele, und wer weiß, wer von ihnen nächstes Jahr kommen kann. Sie kennenzulernen, zu spüren, was an diesem Tag in ihnen vor sich geht, der Austausch von Erinnerungen, das wird mir fehlen.

Jubelnde Häftlinge nach der Befreiung des Konzentrationslager Dachau durch US-Truppen am 29.04.1945.

Nun versucht die KZ-Gedenkstätte Dachau, die Absage durch eine digitale Plattform zu kompensieren. Ist das ein angemessener Ersatz?

Grube: Es ist eine Art Notaktivität, aus der Situation geboren. Die Absage war ja eine notwendige Entscheidung. Und die Feier hat zwei Seiten: Zum einen kommen Menschen zu uns, die viel erlebt haben. Zum anderen bereiten sich Lagergemeinschaft, Förderverein, Versöhnungskirche, Gedenkstätte auf diese Gäste vor - das fließt jetzt alles in die digitale Form. So können wir unsere Vorstellung des Befreiungstags der Öffentlichkeit nahe bringen. Wir werden einen Kranz niederlegen lassen. Die Versöhnungskirche wird einen Gottesdienst aufnehmen und ins Internet stellen. Das ist alles wichtig für uns.

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Welche Rolle spielt die Lagergemeinschaft Dachau heute?

Grube: Natürlich haben wir kaum noch Zeitzeugen in der Lagergemeinschaft. Aber wir Verbliebenen und viele Angehörige halten die Erinnerung an sie wach: An Marie Luise Jahn, Otto Kohlhofer, Max Mannheimer, Anna Pröll und viele, viele mehr.

Max Mannheimer, Vizepräsident des Comité International de Dachau, bei der Gedenkfeier zum 65. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau.

Manche Kinder und Enkel von Holocaust-Überlebenden setzen sich mit dem Schicksal ihrer Eltern, Onkel oder Tanten auseinander und engagieren sich dann in der Erinnerungsarbeit. Josef Pröll, Sohn der kommunistischen Widerstandskämpferin Anna Pröll, ist Mitglied in der Lagergemeinschaft, auch die Tochter von Otto Kohlhofer. Sie tragen die Erinnerung weiter.

Vor Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland waren die Anschläge von Halle und Hanau ein großes Thema. Worauf möchten Sie am 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit lenken?

Grube: Wir haben in Deutschland eine Entwicklung, die einem nur Angst machen kann. Was sich in der AfD entwickelt, ist gefährlich. Und nur weil der sogenannte "Flügel" sich organisatorisch auflöst, bleiben die Leute doch in der Partei und werden ihr Denken weiter verbreiten. Auch in der Bevölkerung gibt es manche Geschichtsvergessene, die die Erinnerungsarbeit als überholt ablehnen. Dagegen müssen wir Position beziehen. Ich möchte an ein Zitat aus einem der Flugblätter der Weißen Rose erinnern. Dort steht: "Jeder Einzelne jeden Volks hat ein Recht auf die Güter dieser Erde." Das meint materielle Güter, aber auch die Güter von Freiheit und Frieden. Viele Holocaust-Überlebende haben nach dem Krieg ein Ziel gehabt: Eine Welt des Friedens und der Freiheit. Das müssen wir wieder anstreben.