Jan Byrt ist wieder am Einsammeln. Der Saisonbeginn naht und schließlich soll es diesmal ein richtiger Winter werden, wenn auch derzeit das Thermometer tagsüber auf 11 Grad klettert. „Lasst uns die Skier teilen“ (oder verteilen) heisst die Aktion seiner Gemeinde im polnischen Beskidengebirge. Seit acht Jahren lädt der lutherische Pfarrer in dem Ort Szczyrk (deutsch Schirk) dazu ein, bei ihm Skier abzugeben, damit auch bedürftige Kinder und Jugendliche etwas von diesem Sport haben.
„Letzte Saison waren es 380 Paar - dazu Stöcke, Schuhe, Brillen, Snowboards“ so Byrt, der mit einer lauten, durchdringenden Stimme spricht, zur Begrüßung „Ehre sei Gott“ sagt und sein Gegenüber als „Bruder“ anspricht. Sobald der Schnee fällt, werden in dem bekannten schlesischen Wintersportstädtchen die Skier ausgeteilt. Im Sommer treibt Byrt Fahrräder für Kinder unvermögender Eltern ein.
Solidarität - typisch polnisch
Doch vor allem das Skifahren bleibt ein Sport der Besserverdienenden, auch wenn Polen seit Jahren ein Wirtschaftswachstum erlebt. Als sich Byrt vor acht Jahren klar machte, dass viele Kinder in der Region zu Hause hockten, während Gleichaltrige den Hang herunter sausten, kam ihm die Idee mit der Ski-Spende. Der Geistliche nutzte Bekanntschaften mit Journalisten, diese berichteten von seinem Einfall, und aus dem ganzen Land wurden Skier angeliefert – Solidarität, das gilt als eine typische Eigenschaft der Polen.
Pastor Byrt stammt aus der benachbarten Stadt Wisla (Weichsel), war Kind von Landwirten - auch sie konnten ihm damals keine richtigen Skier stiften, nur umgebaute Holzbretter. Aber er hatte sich danach gesehnt, richtig Ski zu fahren und verstand so das Gefühl der Ausgeschlossenheit.
„Ich bin ein einfacher Mensch.“ betont der 58-jährige zudem. Vielleicht haben darum diejenigen mit geringen Einkünften in der Region keine so große Scheu, sich die Wintersportgeräte bei dem Familienvater für lau abzuholen. Da Szczyrk durch den Tourismus ein recht reicher Ort ist, kommen die Anfragen vor allem aus der Umgebung. Der Pastor erkundigt sich dann beim jeweiligen Dorfvorsteher oder Bürgermeister, ob die Familie wirklich bedürftig sei.
Vieles selber machen
Die Wintersportgeräte werden alljährlich in der Garage des Pfarrhauses gesammelt - was seiner Frau nicht gerade gefalle, doch da müsse sie eben durch. Es werden übrigens nur noch Carving-Skier genommen. Der Standard derjenigen, die weniger Geld haben, ist gehoben - mit alten Brettern will sich niemand mehr auf dem Hang zeigen. Auch da ist Polen heute nicht anders als andere Länder Europas.
Skifahren lernen können die Kinder auf einer Freizeit mit Byrt. Dabei folgt nach dem morgendlichen Unterricht am Hang die Bibelkunde am Nachmittag. Ein Gemeindemitglied, das einen Lift betreibt, lässt einige Kinder mit einkommensschwachen Eltern die ganze Saison kostenlos mitfahren.
Nahe der Piste, am Hang, steht auch die Kirche der Lutheraner, die von der Form her ein wenig an eine Ski-Sprungschanze erinnert. Im Winter muss Byrt oft das Dach von Schnee befreien. Auch das Gotteshaus selbst baute Byrt in den 90ger Jahren mit Freiwilligen aus dem Ausland. Fünf Jahre brauchten sie dafür. Vieles selbst machen – das ist die Realität der Pfarrer der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen, diese hat in dem vorwiegend katholischen Land gerade mal 70.000 Mitglieder und verfügt nicht über große finanzielle Mittel. Derzeit fehlt es Byrt an einem Auto mit Allradantrieb, um im Winter mobil zu sein.
Gerade mal 100 Lutheraner leben in dem Städtchen mit 5800 Einwohnern – die Protestanten stammten ursprünglich aus der benachbarten Stadt Wisla, dem einzigen Ort Polens mit mehr evangelischen als katholischen Bewohnern. Das Gebiet um diese Stadt wurde Mitte des 17. Jahrhunderts von den Habsburgern übernommen, die die Gegenreform damals nicht so konsequent handhabten wie die Katholische Kirche in der Königlichen Republik Polen-Litauen. Somit war die Gegend um Wisla Zufluchtsort für polnische Protestanten bis ins späte 18. Jahrhundert.
Die Stars des Skisprungs
Heute leben die Menschen hier vor allem vom Tourismus, besonders vom Wintersport. In Szczyrk gibt ein Internat für Kinder aus ganz Polen, die Leistungssport betreiben. Dort erteilt Byrt auch Religionsunterricht. Sport ist ein Mittel, mit dem Byrt die Menschen zu erreichen glaubt. Sei es als Freizeitspass für die Kinder, sei es auf professionellem Niveau. „Alle laufen, aber nur einer kann gewinnen.“ wie er Paulus (1. Korintherbrief 9, 24) frei wiedergibt.
Man müsse kämpfen bis zum Schluss, um als Preis „das Königreich Gottes“ zu erhalten. Im Sport sei es wichtig, auf Gott zu Vertrauen, schließlich hänge es beim beispielsweise beim Skispringen auch vom „Lüftchen“ ab, das wehe. „Für mich ist wichtig, dass diejenigen, die gewinnen, Zeugnis von Jesus ablegen, dass sie dank Gott und dem Training gewonnen haben.“ so die Idee des Pastors.
Zu diesen Sportlern gehört Piotr Zyla, Protestant, ein ehemaliger Schüler Byrts im Internat und heute Mitglied der polnischen Nationalmannschaft im Skispringen. Er lässt sich immer wieder zu Vorträgen in Szczyrk einladen oder zu charitativen Aktionen bewegen - wie auch Adam Malysz, der seine Karriere 2011 beendet hat.
Malysz gilt als einer der weltweilt erfolgreichsten Skispringer, in einem Buch mit dem Titel „Ich danke Gott“ schrieb er über seinen Glauben. Allerdings würden es die meisten Polen nicht zur Kenntnis nehmen, dass Malysz der Evangelisch-Augsburgischen Kirche angehört, wie Byrt einräumt. Denn im allgemeinen Verständnis in Polen ist dort die Nationalität fest an die katholische Konfession gekoppelt, das sitzt fest.