Einer der guten Hirten auf dem Dorf hat sogar ein eigenes Schaf: "Charlotte ist im Juni in mein Leben gekommen, da war sie vier Monate alt", erzählt Sebastian Schirmer. Der junge Pfarrer bezeichnet sich selbst als echten Stadtmenschen, der bis vor circa einem Jahr noch nie auf dem Land gelebt hat. Doch nun ist er im Entsendungsdienst, also für seine erste Stelle im Pfarramt, nach Hainichen berufen worden. Er betreut dort in Mittelsachsen eine Region mit neun Dörfern, davon drei mit Kirchen.
Als seine Freunde das mitkriegten, überlegten sie sich, dass ein guter Hirte auf dem Dorf auch ein echtes Schaf an seiner Seite braucht. So brachten sie als nachträgliches Geburtstagsgeschenk Charlotte zu Sebastian auf seinen Vierkant-Pfarrhof. Natürlich lebt sie dort aber nicht allein, sondern in der kleinen Schafherde beim Nachbarn. "Dort fühlt sie sich sehr wohl", erzählt Schirmer.
Als es Charlotte einmal schlecht ging, wusste der junge Pfarrer zuerst nicht, was zu tun ist. Doch der Nachbar wusste gleich Rat. So bringt auch die junge Schafdame den neuen Pfarrer mit seiner Gemeinde in Kontakt: "Beispielsweise habe ich mit den Menschen hier vor Ort für die Schafherde in einer Gemeinschaftsaktion Futterrüben gezogen." Hinterher haben alle zusammen noch gemeinsam ein Bier getrunken.
Auch beim montäglichen Fußballspielen im Dorf ist Schirmer dabei und natürlich auch auf den Dorffesten. "Ich möchte für die Menschen nahbar sein", sagt er und macht daher auch Besuche zu manchen Geburtstagen oder im Krankheitsfall. Sein Ansatz kommt gut an, er kann von vielen herzlichen Kontakten berichten.
Sogar politisch hat Schirmer sich gleich in seinem ersten Amtsjahr engagiert: Zur Landtagswahl konnte er ein Podium mit Gesprächspartnern aller Parteien organisieren. Dank der guten Moderation durch einen anderen Pfarrer, entwickelten sich lebhafte Gespräche. Auch wenn einige AfD-nahe Sachsen kamen, im Fokus der Diskussion stand nicht die Migrationspolitik, sondern Fragen der Art, kann der Bus öfters fahren oder wo kann ich Lebensmittel einkaufen gehen.
Neben Gottesdiensten und Bestattungen kümmert sich Schirmer auch noch um einen Förderverein zum Erhalt einer in DDR-Zeiten erbauten Dorfkapelle. "Das ist ein Herzensprojekt - und ich habe noch viele weitere Ideen." Der Job sei einfach sehr vielseitig und die Arbeitsweise schönerweise ziemlich autonom.
Dem stimmt auch seine Kollegin in Berlin-Steglitz, Michaela Markgraf zu. "Ich habe keinen direkten Chef", sagt sie – außer natürlich Gott. Sie mag an ihrem Beruf, dass wenn ihr beispielsweise ein Projekt besonders wichtig sei, sie dort auch besonders viel Energie reinstecken könne. Außerdem schätzt sie sich glücklich, in einem "Teampfarramt" zu arbeiten. In ihrer Gemeinde gibt es noch einen Pfarrer und noch eine Pfarrerin, von deren Erfahrung Markgraf profitiert: "Denn es gibt noch viel zu lernen." Neben den geistlichen Aufgaben kamen im Entsendungsdienst Verwaltungsaufgaben neu dazu. Beispielsweise betreute sie den Heizungsumbau und durfte dafür als Hauptverantwortliche Gelder von bis zu 60.000 Euro am Stück anweisen. "Mit solchen Summen zu hantieren, ist schon nicht ohne. Bevor ich meine eigene Unterschrift drunter setzte, habe ich alles dreimal kontrolliert."
Weiterhin arbeitet Markgraf gerne mit kirchenfernen Menschen. "Ich mag es, wenn die Menschen mich kennen lernen und hinterher sagen: Kirche ist ja gar nicht so angestaubt und steif, wie ich dachte." Beispielsweise geschieht dies bei Beerdigungen, davon hat Markgraf bestimmt schon über 50 geleitet. Häufig seien die Hinterbliebenen dann sehr dankbar. Es ist sogar schon vorgekommen, dass Menschen wieder in die Kirche eingetreten sind, weil sie von der Beerdigung so berührt waren. Dann denke sie: "Dafür habe ich diesen Beruf ergriffen!"
Einen wieder ganz anderen Arbeitsschwerpunkt hat die ordinierte Gemeindepädagogin Ingrid Gätke, die auf dem Land in Sachsen-Anhalt in einer Region bei Naumburg arbeitet. Dort, im nördlichen Zeitz, gibt es 52 Ortschaften und die wenigsten davon haben Kirchen oder Gemeindehäuser. Denn von den Menschen, die in dieser Region leben, sind prozentual betrachtet nur ungefähr 6 -9 % Christen.
Um diese circa 2.300 Personen aber dennoch zu erreichen, gibt es ein neues Projekt: die "Mobile Seelsorge". Dabei handelt es sich um einen 9-Sitzer-Bus, mit dem Gätke nach einem vorher veröffentlichten Fahrplan in ihrer Region unterwegs ist. "Natürlich versuche ich immer dort zu sein, wo beispielsweise auch das Bäcker-Auto oder das Fisch-Auto gerade hält."
Das Dorfleben findet nämlich leider kaum noch auf der Straße statt, die Menschen ziehen sich immer mehr in ihre Wohnungen zurück, erzählt Gätke. Mit dem Seelsorge-Mobil möchte sie mit den Menschen in Kontakt kommen und gleichzeitig auch wieder ein Angebot schaffen, damit Gemeindeleben im Dorf selbst stattfinden kann. Die ersten Reaktionen auf das Mobil seien überwiegend positiv. "Die Menschen sagen, kommen Sie doch mal wieder vorbei." Aus einer alten Kirchenbank fertigt ein Tischler gerade noch eine besonders schöne Sitzgelegenheit für den Innenraum des Mobils an.
Einen noch ganz anderen Arbeitsschwerpunkt hat Pfarrer Tilman Reger: Er ist in zwei Berliner Kirchenkreisen Beauftragter für Kirche und Stadtentwicklung und mit einem Viertel seiner Arbeitszeit ist er auch Pfarrer in einer Gemeinde in Schöneberg. Er bezeichnet seine Arbeit somit selbst zu einem großen Teil als "Lobbyarbeit für die Kirche". Konkret geht es beispielsweise darum, dass im Nordosten von Berlin, da wo es noch unbebautes Gebiet gibt, in den nächsten Jahren neue Stadtteile entstehen werden. Und Reger ist dafür zuständig, dass auch kirchliche Einrichtungen bei den Planungen dafür eine Rolle spielen. "Es ist nicht sicher, ob es wirklich auch ein neues Kirchengebäude geben wird, aber diakonische Einrichtungen und Kitas, die an Gemeinden angegliedert sind, braucht es auf alle Fälle."
Ziel: Frieden in der Stadt
Bei dieser Arbeit hat Reger auch sein christliches Selbstverständnis immer mit dabei. Beispielsweise gab es einmal in einem Gemeindezentrum bei einer öffentlichen Veranstaltung eine hitzige Diskussion zum Thema Stadtentwicklung. In seiner Rolle als Pfarrer gelang es ihm im Konflikt zu vermitteln und den Blick darauf zu lenken, was letztlich das wichtige Ziel ist: Frieden in der Stadt.
Reger findet, dass sich im Vergleich zu seiner Zeit als Vikar, also Pfarrer in Ausbildung, nun etwas verändert hat: Die Menschen in seiner Gemeinde sprechen ihn beispielsweise häufig mit "Herr Pfarrer" an und bringen ihm ganz selbstverständlich in persönlichen Gesprächen ein großes Vertrauen entgegen. "Das empfinde ich als Privileg."