40 Zentimeter rücken die Spitzen der großen Zeiger der Michel-Turmuhr pro Minute vor - das sind 24 Meter pro Stunde und 576 Meter in 24 Stunden. Bundesweit ist das spitze, denn Hamburgs Wahrzeichen hat Deutschlands größte Turmuhr. Acht Meter Durchmesser haben die Zifferblätter, die unterhalb der Aussichtsplattform des insgesamt 132 Meter hohen Turms in alle vier Himmelsrichtungen weisen. Die großen Zeiger sind 4,91 Meter lang, die kleinen 3,65 Meter - und alle wiegen jeweils 130 Kilogramm.
"Der Michel hat eine Schwarzwälder Uhr, nur leider ohne Kuckuck", erfahren staunende Touristen von manchen Stadtführern auf Rundgängen durch die Neustadt. Zwar stimmt die Sache mit dem Schwarzwald nicht so ganz, doch die römischen Ziffern der Micheluhr sehen in der Tat ganz so aus wie Zifferblätter der typischen Kuckucksuhren. 1,35 Meter ist jede Ziffer hoch - und natürlich vergoldet, genau wie die Zeiger.
Die Michel-Uhr stammt aus Straßburg im Elsaß, aus der Werkstatt des Uhrmachers Alfred Ungerer, Großvater des Cartoonisten und Karikaturisten Tomi Ungerer (1931-2019) - und von Straßburg aus ist der Schwarzwald nicht sonderlich weit entfernt. 1911 wurde die Uhr in Betrieb genommen. Das riesige Uhrwerk im 8. Turmboden erwies sich als ein Publikumsmagnet: Alle 30 Sekunden setzte sich damals das schnurrende Räderwerk in Bewegung, um die Uhrzeiger 20 Zentimeter vorrücken zu lassen.
Am Anfang war nur der Stundenzeiger
1964 allerdings wurde das Uhrwerk von einem kleinen, unscheinbaren Elektrowerk abgelöst, weiß die Michel-Chronik. Und seit 1994 wird der genaue Gang der Uhr per Funk gesteuert. Auch für die Zeitumstellung am nächsten Sonntag muss Küster Rainer Rudke nicht eigens auf den Turm steigen: Die elektronische Quarzuhr empfängt die Signale des amtlichen Zeitzeichensenders DCF-77 - alles Weitere passiert vollautomatisch.
Das stillgelegte Uhrwerk ist allerdings keinesfalls verschwunden: Sein Erhalt sei vielmehr "wünschenswert", urteilte das Hamburger Denkmalschutzamt bereits 1994 - weise und rechtzeitig. Es handele sich um "ein hochinteressantes Beispiel der Maschinenbaukunst vom Beginn des 20. Jahrhunderts". Der Verein "Michaelitica" an der Hauptkirche St. Michaelis ließ das Uhrwerk 1996 fachgerecht restaurieren und wieder in Gang setzen. Seitdem läuft es wieder - als faszinierendes Schauobjekt auf dem 8. Turmboden, aber ohne Verbindung zu den Zeigern draußen am Turm.
Auf die markante Größe der Turmuhr hatte schon der geniale Michel-Baumeister Ernst Georg Sonnin (1713-1794) ausdrücklich Wert gelegt - sie sollte schlicht gut zu sehen sein und möglichst vielen Hamburgern zeigen, wie spät es ist. Dabei hatten Uhren zu seiner Zeit nur Stundenzeiger. Erst seit 1839 wurden immer wieder Forderungen erhoben, weithin sichtbare Uhren auch mit Minutenzeigern auszustatten.
Der Michel erteilte 1866 dem Uhrmacher Heinrich Reitz aus Hamburg-Winterhude den entsprechenden Auftrag - und ab 1868 war die Michel-Turmuhr für mehrere Jahrzehnte die einzige in Hamburg, die neben den Stunden auch die Minuten anzeigte. Sie lief verlässlich - bis zur Brandkatastrophe am 3. Juli 1906, als der Turm ins Kirchenschiff stürzte.
In der Krypta (= Grabgewölbe) unter dem Michel sind heute wieder zwei originale Uhrzeiger ausgestellt, die sich bis zum Brand 1906 am Michelturm drehten. Jahrelang gehörten sie zwischendrin zur Dekoration eines Ausflugslokals in Steinkirchen (Landkreis Stade) im "Alten Land" vor den Toren Hamburgs. "Schön, dass sie wieder da sind", sagt Michel-Küster Rudke: "Denn hier gehören sie her."