Herr Heiligenthal, sind solche Serien blasphemisch?
Sascha Heiligenthal: In erster Linie kommt es darauf an, welche Art von Christen man fragt. Ich vermute, je frommer Christen sind, desto leichter ist es, deren christliche Gefühle zu verletzen - auch, wenn das überhaupt nicht die Intention ist. Wenn sie vielleicht volkskirchlich und philosophisch oder sogar theologisch bewanderter sind, desto weniger werden solche Serien als blasphemisch gesehen, vermute ich.
Ist es für Sie eher Unterhaltung?
Heiligenthal: Ich sehe es als das, was es ist. Für mich ist es eine Unterhaltung, die sich mal gut, mal weniger gut an religiösen Themen abarbeitet, christliche Motive aufnimmt, manchmal aber auch eher mythologische Motive - das aber auf unterhaltsame Art und Weise. Diese Serien wollen einfach bloß unterhalten. Manchmal sind sie dabei klug, manchmal aber auch einfach nur doof.
Welche dieser Serien sehen Sie privat?
Heiligenthal: Die ersten Folgen von "Lucifer" habe ich gerne gesehen, dann hat sich meine Frau die Serie alleine weiter ansgeschaut. Ich vermute, weil der Hauptdarsteller so sexy ist (lacht). Nein, vielleicht auch, weil es eine gute Serie ist.
Knapp vor Staffelfinale bin ich dort ausgestiegen. Die Terry-Pratchett-Verfilmung "Good Omens" habe ich sehr gerne gesehen. Jetzt - als Vorbereitung auf unser Gespräch - habe ich mit "Preacher" und "American Gods" angefangen. Beide werde ich auch privat weiterschauen.
"Ich vermute, dass das dem Serienhype und dem wirtschaftlichen Bedürfnis von Netflix und Amazon geschuldet ist"
Warum, meinen Sie, häufen sich in letzter Zeit Serien mit christlichen Themen? Seien es Apokalypsen, Gott, der die Menschen alleine lässt, oder wie das Leben nach dem Tod aussehen könnte?
Heiligenthal: Ein ganz neues Phänomen ist das nicht: Diese ganzen Serienursprünge schwirren schon seit über zehn Jahren herum. "Preacher" ist die Verfilmung eines Comics aus den Neunzigerjahren. "Good Omens" ist auf Terry Pratchett zurückzuführen, der nun schon einige Jahre tot ist - also ein Roman, der auch schon älter ist. Und "American Gods" von Neil Gaiman ist die Verfilmung eines Romans, der 2001 erschienen ist.
Ich vermute, dass das dem Serienhype und dem wirtschaftlichen Bedürfnis von Netflix und Amazon geschuldet ist, dass man gute und spannende Geschichten benötigt und dass diese religiösen Themen großartiger Stoff sind, wenn sie in Richtung Gut gegen Böse, Armageddon und Weltende führen.
Außerdem ist es technisch jetzt möglich, diese so zu verfilmen, wie man es vor zwanzig oder dreißig Jahren noch gar nicht konnte. Und wenn eine dieser Serien Erfolg hat, zieht es die nächsten nach.
Sind diese Serien eher Fantasy?
Heiligenthal: Das würde ich gar nicht so sagen. Es ist natürlich nicht ganz biblisch. Eine fundamentale Unterscheidung ist, dass die Bibel Sinn generieren und Deutungshilfe sein oder überhaupt eine Welt- und Gottesdeutung leisten will. Ab und an gelingt es der Bibel in einem Erzählstrang auch, witzig zu sein oder zu unterhalten - aber es ist nicht Sinn und Zweck der Bibel, Unterhaltung zu schaffen. Sie will eher Lebenshilfe sein oder eine Lebensbewältigung bieten. Die Serien wollen im Unterschied dazu eher unterhalten.
Wenn ich mir "American Gods" anschaue, wird auf erzählerische Art und Weise thematisiert, wie Gott gegen Götzen kämpft. Im Prinzip ist die Serie eine Neufassung der biblischen Geschichte von Gott gegen das goldene Kalb. Das Thema ist das gleiche, aber der Sinn dahinter ist ein anderer.
"Die Auseinandersetzung von wahren und falschen Göttern und dem Kampf von Gott gegen Götzen zieht sich durch die Bibel"
Bei "American Gods" kämpfen verschiedene Götter um Anerkennung. Sie können außerdem nur existieren, weil Menschen an sie glauben.
Heiligenthal: Wenn man sich mit Bibelwissenschaft auskennt, fußt diese Idee in Erzählmotiven der Bibel. Allein, dass bei "American Gods" die Götter vom Glauben der Menschen abhängig sind, ist ein Gedanke, den man dort findet - jedoch ziemlich gut versteckt.
Es gibt Vorgängererzählungen der Sintflut in babylonischen Erzählmotiven, in der die Götter diese Sintflut aus einem einzigen Grund enden lassen - nicht etwa, weil sie es bereuen oder weil sie die Menschen nicht mehr umbringen wollen, sondern weil sie verstanden haben, dass ansonsten niemand mehr da wäre, der ihnen etwas opfern würde, wenn sie alle Menschen töten würden. Und sie könnten nicht mehr den schönen Opferrauch einatmen. Für ihre Daseinsberechtigung und ihren Spaß brauchten sie also die Menschen!
Dieser Gedanke aus "American Gods" (also, dass nicht nur der Mensch von Gott abhängig ist, sondern Gott auch von den Menschen) findet sich dort also auch wieder, wie auch, dass Gott sich gegen andere Götter oder gegen Götzen behaupten muss. Die Auseinandersetzung von wahren und falschen Göttern und dem Kampf von Gott gegen Götzen zieht sich durch die Bibel. Das hat "American Gods" großartig aufgegriffen - wunderbar und modernisiert.
Ein anderes Thema in aktuellen Serien ist, dass Gott sich von den Menschen abwendet und verschwindet - beispielsweise bei "Preacher" oder bei "Miracle Workers". In einer Ihrer Predigten haben Sie die Schöpfungsgeschichte thematisiert und dass Adam und Eva aus dem Paradies verbannt worden sind. In den Serien ist es jetzt noch drastischer: Gott distanziert sich von den Menschen und möchte seine Ruhe vor ihnen haben. Kann man das als Fortsetzung der Schöpfungsgeschichte betrachten?
Heiligenthal: Das Erzählmotiv läuft leicht anders. Dass Gott sich von den Menschen abwendet, gibt es aber auch in der Bibel. Bei der Geschichte rund um Noah und die Sintflut will Gott alle Menschen umbringen. Danach legt er sich jedoch auf den Erhalt und die fortlaufende Beziehung zu ihnen fest - und das stellt die Bibel dann auch nicht mehr in Frage.
Danach wird das Abwenden von Gott eher zu persönlichen Beziehungen mit ihm oder kollektiv von einem Volk. Zum Beispiel die Frage: Warum sieht Gott unser Elend nicht, wo wir ein Kind wollen und kinderlos bleiben? Oder in den militärischen Niederlagen gegen Nachbarvölker, wonach die Verlierer es damit erklären, dass Gott sich von ihnen abgewendet habe.
Im Unterschied zu den Serien bleibt Gott aber am Steuer und macht dies als bewusste Entscheidung und aus einer Verantwortung heraus. Die Serien spielen eher mit dem Motiv, dass dieser Typ einfach keinen Bock mehr hat. Dieser Gott will nur noch in einer Stripbar rumhängen und sich schöne Mädchen anschauen.
"Morgan Freeman, übrigens der beste Gottesdarsteller in der Filmgeschichte"
Warum, meinen Sie, kommt dieses Motiv gerade so oft vor, dass Gott alles hinschmeißt?
Heiligenthal: Vielleicht, weil es vielen Menschen und auch vielen Serienschreiber immer schwerer fällt, an den lieben Gott zu glauben. Oder an einen guten, gütigen Gott. Das kann ich mir in unserer Zeit gut vorstellen.
Auch das gab es schon früher in der Popkultur, zum Beispiel im Film "Bruce Almighty" (auf deutsch: "Bruce Allmächtig"), in dem Jim Carrey den Job von Gott und alle Fähigkeiten von ihm erhält. Gott sagte dann so etwas wie "Mach du meinen Job, ich gehe jetzt", woraufhin Jim Carey antwortete, dass er doch jetzt nicht einfach die Welt verlassen und die Menschen ihrem Schicksal überlassen könne. Und Gott - dargestellt von Morgan Freeman, übrigens der beste Gottesdarsteller in der Filmgeschichte - antwortet darauf: "Hast du noch nie etwas vom dunklen Mittelalter gehört?"
"Ich glaube, dass sich die Serienmacher da heutzutage einfach mehr trauen"
In den achtziger Jahren gab es die Serie "Ein Engel auf Erden". Ich kann mich an eine Szene erinnern, in der der Engel auf den Teufel trifft, sie sich die Hand geben und Rauch aufsteigt.
Heiligenthal: "Ein Engel auf Erden" ist eine weichgespülte, auf Herzschmerz getrimmte Variante des lieben Gottes, der seinen Engel losschickt, damit es den Menschen besser geht.
In den Achtzigern und vorher war die Angst und die Scheu, Gott oder das Christentum satirisch überspitzt darzustellen, wesentlich größer. Die Darstellung christlicher Themen entsprach damals eher dem biblischen Gott und der christlichen Religion. Ich glaube, dass sich die Serienmacher da heutzutage einfach mehr trauen.
"Zum guten Leben gehört es nämlich auch, Emotionen zuzulassen und herauszulassen"
Es gibt bei Netlix seit Kurzem die thailändische Serie "Answer for Heaven". Darin geht es ebenfalls um einen Engel, der auf die Erde geschickt wird, um herauszufinden, weshalb die Menschen weniger Gutes tun als früher.
Heiligenthal: Die Serie kenne ich noch nicht, aber da werde ich noch reinschauen.
Nein, machen Sie das bloß nicht. "Answer for Heaven" ist sehr, sehr schlecht. Schauen Sie lieber die Serien "The Good Place" und "Forever". Beide stellen die Frage, wie das Leben nach dem Tod aussieht. Bei "The Good Place" ist es zum Beispiel eine Kleinstadt mit Frozen-Joghurt-Läden, in der man nicht fluchen kann, so sehr man sich auch bemüht - kein Schimpfwort kommt einem über die Lippen. Vielleicht ein Klischeeparadies, oder kann man sich das als Christ so vorstellen?
Heiligenthal: Natürlich glauben Christen an das Paradies, ich würde es als Kernbestand des Glaubens sehen, dass es einen Platz gibt, an den man kommt und der einfach gut und schön ist. Mit dieser Beschreibung würde sich so eine Bubblegum-Schönheit mit Nicht-Fluchen-Können automatisch ausschließen. Zum guten Leben gehört es nämlich auch, Emotionen zuzulassen und herauszulassen. Wenn da etwas unterdrückt wird, kann das nicht der Himmel sein - das hört sich dann mehr nach Hölle an. Und das ist dann eher die interessante Frage: nämlich, ob es die Hölle oder das Gegenteil vom Paradies gibt.
"Wenn du an einen gütigen Gott glaubst, der alles regelt und am Ende alles gut wird, kannst du daraus kein Drama stricken"
Eine These: Die Geschichten, die jetzt im Fernsehen erzählt werden - ist das eine Fortsetzung der Bibel durch die Popkultur? Die Bibel ist letztendlich ja auch eine Ansammlung verschiedener Geschichten von verschiedenen Autoren.
Heiligenthal: In gewisser Hinsicht glaube ich tatsächlich, dass man die Themen fortschreibt, das kann aber schwerlich die Bibel sein. Man kann es als eine Fortschreibung von Religion sehen, von Sinnfragen, von Lebensgestaltung.
Ich tue mich jedoch damit schwer, dass es eine Fortschreibung der Bibel sein könnte, weil die Serien- und Filmautoren daran scheitern, tatsächlich biblisch fundierten Glauben fortzuschreiben - zum Beispiel mit Einhaltung der monotheistischen Theorie, also, dass es einen einzigen Gott gibt. Darauf legt sich die Bibel definitiv fest, daran wird im kirchlichen Glaubensbekenntnis auch nicht gerüttelt. Offensichtlich gibt das für die Serienmacher nicht genug Fallhöhe - sie brauchen (vielleicht bis auf "Good Omens" als Ausnahme) eine Welt mit mehr Göttern, vielleicht mit Odin oder Loki und anderen Gegenspielern.
Was wohl der Erzähllogik zuzurechnen ist: Wenn du an einen gütigen Gott glaubst, der alles regelt und am Ende alles gut wird, kannst du daraus kein Drama stricken.
Man benötigt dafür einen Antagonisten.
Heiligenthal: Genau. Man benötigt Konfliktpotenzial. Das Gros der Filme und Serien bedient sich aus dem großen Fundus der Mythologie und sucht sich die Götter und Dämonen und Vampire zusammen, die die Autoren benötigen.
Ist das eine Trivialisierung des christlichen Glaubens und der Bibel?
Heiligenthal: Das muss man sportlich und locker nehmen. Die Bibel ist die Bibel, und das andere ist Unterhaltung, in der man viel entdecken kann. Und manchmal stellen die Serien auch Sinnfragen, die sie hin und wieder sogar beantworten. Und mit denen man sich gut unterhalten kann. Also: Warum nicht?