Der erste Hingucker ist die kunstvoll bemalte himmelblaue Decke mit den vielen Wölkchen, unter denen Heerscharen goldener Engel niederschweben. Im ersten deutschen Engelmuseum, das Mitte November in Engelskirchen am Engelsplatz 7 seine Pforten geöffnet hat, wimmelt es von Engeln in allen Farben, Formen, Größen und Materialien. Sie schweben, stehen, liegen und sitzen in Vitrinen und Regalen und bevölkern jeden Winkel des Raumes. Zu den besonderen Kostbarkeiten der Ausstellung zählt die etwa 3000 Jahre alte geflügelte 1,8 Zentimeter kleine bronzene Engelplastik aus Mesopotamien. Sie zeigt: Der Glaube an Engel ist nichts spezifisch Christliches. Engel gibt es auch im Judentum und im Islam, und auch andere Religionen kennen solche Geist- und Schutzwesen schon seit Jahrtausenden.
Der größte Teil der in Engelskirchen gezeigten 2000 Exponate stammt aus einer Schenkung des "engelbesessen" Sammlers Johann Fischer aus Engeldorf. 2009 vermachte er dem Engelskirchener Engelverein seine immense private Sammlung von über 15.000 Exponaten, mit der er es 2009 ins Guinness-Buch der Rekorde schaffte.
Museumspädagogin Martina Kupper betont, dass das ehrenamtlich betriebene Museum das Thema Engel "weltanschaulich neutral" darstellt und keinen wissenschaftlichen Anspruch erfüllten will. "Wir wollen Museum für alle sein", sagt sie. Und so sind sie alle gleichermaßen willkommen: Esoteriker, die glauben, mittels ihres "Engelrufers", den sie als Schmuckstück um den Hals tragen, ihren persönlichen Schutzengel herbeirufen zu können; Enkel-Skeptiker, die die geflügelten Himmelswesen unter der Kategorie Märchen und Mythen ablegen; oder Christen, für die die Weihnachtsgeschichte ohne Engel nicht vorstellbar ist.
"Engel sind die Träger des Wortes Gottes"
Martina Kupper hat mit sieben Schwerpunkten "Ordnung" in die Engelwelt des Museums gebracht: So gibt es die Abteilungen Engel in Glaube, Religion und Volksfrömmigkeit, Engel in der Weihnachtszeit, Grab und Todesengel, Engel in Kitsch, Krempel und Kuriositäten, Engel in der Kunst und nicht zuletzt Engel in der Werbung, die mit Vorliebe weiblich, blondgelockt und jung präsentiert werden.
Besucherin Hilla Stahl gehört zu den zahlreichen Gästen, die von den Schutzengel-Exponaten in der Abteilung "Volksglaube" fasziniert sind. Die Seniorin steht vor einem der Bilder, auf denen rührende langhaarige weibliche Engelfiguren in wallenden leichten Gewändern schützend ihre Fittiche über gefährdete Kinder oder über Soldaten halten. "Ich habe auch einen Schutzengel. Meine Mutter begleitet mich überall hin. Das spüre ich", erklärt sie lächelnd. Glauben zu können, dass ihre verstorbene Mutter sie als Engel schützend begleitet, sei für sie sehr tröstlich, erzählt Hilla Stahl.
Auch Erstklässler Sven ist mit seiner Schulklasse im Rahmen eines Kunstprojektes im "außerschulischen Lernort Museum" unterwegs. Den ganzen Morgen hat er mit seiner Kleingruppe Suchaufgaben zum Thema Engel gelöst, mit denen Kinder spielerisch durch das Museum geführt werden. Aber jetzt, am Ende der Tour, will Sven es wissen: "Gibt es die in echt, die Engel?" fragt er seine Lehrerin. "Das ist eine gute Frage", antwortet sie und verspricht: "Darüber reden wir im Reliunterricht."
Die Frage, ob es einen persönlichen Schutzengel gibt, beantworten 48 Prozent der Deutschen mit "Ja". Ein Drittel glaubt, dass Engel Boten Gottes sind, und etwa 10 Prozent geben an, schon einmal das Eingreifen eines Engels erlebt zu haben.
Vorbei sind offenbar die Zeiten, in denen der Kirchenhistoriker Carl August von Hase im Zeichen der Aufklärung Engel als "metaphysische Fledermäuse" ins Reich der Mythen verbannte. Noch im theologischen Begriffslexikon der 1970er Jahre ist zu lesen "Der Gedanke an Engelwesen bereitet dem Menschen heute Verlegenheit … Sobald man aber diesem Kinderglauben entwächst, wird auch der Glaube aufgegeben, dass Engel tatsächlich existieren." Engel, so sind sich Theologen weithin einig, gehören ins antike Weltbild. Mild belächelt wird, wer Engel mit Verweis auf die Bibel als Realität versteht. Der Theologe Klaus Berger dagegen betont: "Über 300 Mal wird in der Bibel von Engeln erzählt als unsichtbaren Mächten oder Wesen, die in Gottes Dienst stehen und den Menschen im Namen Gottes helfen. Engel sind die Träger des Wortes Gottes. Er verwaltet durch sie die Welt, über sie nimmt er mit der Welt Kontakt auf."
Eine wachsende Zahl kirchenferner Menschen, die mit Gott und Jesus nichts anfangen können, hat keineswegs ein Problem damit, an einen Engel als persönlichen Begleiter zu glauben. Jenseits wissenschaftlicher Beweisbarkeit suchen Menschen nach Beseelung und Beflügelung. Sie wollen das Gefühl haben, inmitten ihres zerbrechlichen, gefährdeten Lebens von höchster Stelle begleitet und beschützt zu sein. "Menschen brauchen heute mehr denn je einen Gegenpol zur nüchternen Alltagswelt, zur sozialen Kälte in unserer Gesellschaft", so der Dogmatikprofessor Thomas Ruster in einem Vortrag zu den Hintergründen des boomenden esoterischen Engelglaubens. Hunderte Engelbücher mit Erfahrungsberichten und Anleitungen zum Umgang mit Engeln füllen die Regale, und in teuren Engelseminaren kann man lernen, wie man mit seinem persönlichen Engel Kontakt aufnimmt.
"Weithin hat sich der Engelglaube völlig vom christlichen Glauben an Gott und der Christologie gelöst", bedauert der promovierte Theologe Klaus Wolff, der als kulturgeschichtlicher Literaturwissenschaftler an der Universität Hildesheim lehrt und sich seit 30 Jahren als Angelologe (Engelforscher) mit dem Thema Engel beschäftigt. Für den 59-Jährigen sind Engel "eine reale Wirklichkeit", die er nicht der Esoterik überlassen will, sondern "die (wieder) mitten hinein in die Kirche und den christlichen Glauben gehören". In den Exponaten des Engelmuseums findet er Erfahrungen vieler tausend Menschen wieder. "Einen naturwissenschaftlichen Beweis für die Existenz von Engeln gibt es natürlich nicht. Aber Tausende Menschen, die von heilsamen Engelerfahrungen berichten, können nicht alle irren", urteilt er. Dass Engel, "deren wahre Gestalt wir nicht kennen", in der Kunst vielfältig dargestellt werden, hält Wolff für hilfreich. "Denn wir brauchen Bilder, die in symbolischer Sprache mit uns sprechen."
"Eine Wirklichkeit der Seele"
Auch von eigenen Engelerscheinungen und dramatischer Bewahrung durch Engel in seiner Kindheit kann Wolff erzählen. "Jeder Mensch hat einen Schutzengel als Wegbegleiter", zeigt er sich überzeugt. Heute allerdings sind solche Rettungs-Erfahrungen nicht entscheidend für ihn. "In einem schönen Gespräch mit einem Menschen, in einem Naturerlebnis kann die Stimme eines Engels als Zwischenton Gottes erfahrbar werden. Engel schützen unser innerstes Selbst."
Der lutherisch geprägte Klaus Wolff möchte die Engel zurück in die Kirche holen, die er weithin als "überaus rational und vernünftig und so wenig heimelig erlebt". Die Wirklichkeit der Engel ist für ihn "eine Wirklichkeit der Seele – aber davon ist unsere Kirche noch meilenweit entfernt", bedauert er. Im Blick auf esoterischen Engelglauben oder auf die biblisch nicht belegte Vorstellung, dass etwa Verstorbene zu Schutzengeln werden, wünscht der Theologe seiner Kirche "ein weiteres Herz". Er sieht darin die Chance, "dass Menschen die Wahrheit der Engel wieder entdecken, die von Gott kommen und zu Gott führen". Und was, wenn ein Mensch trotz Schutzengel nicht an Leib und Seele unversehrt bleibt? Für Wolff lässt sich die Frage nach dem Leid nicht "logisch wie in der Mathematik klären". "Der Engel steht nicht dafür, dass es uns immer gut geht, sondern dafür, dass es selbst in den Grenzsituationen des Lebens, hinter allem Zerbruch und allem Schrecklichen, noch so etwas gibt wie die Liebe Gottes."