Görlitz, Guben, Frankfurt an der Oder - die Städte werden seit jeher von ihren Flüssen geprägt. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs und der sogenannten "Westverschiebung" Polens verläuft dort entlang Oder und Neiße auch eine Ländergrenze. 80 Jahre nach Kriegsbeginn mit dem deutschen Überfall auf Polen wachsen die Orte in den beiden EU-Staaten wieder zusammen.
Gubin steht auf einem grünen, Guben auf einem gelben Ortsschild, die Stadtteile sind durch eine Brücke verbunden, unter der langsam die Neiße Richtung Oder und Norden fließt. Am Rand stehen auf der einen Seite ein rot-weißer, auf der anderen ein schwarz-rot-gelber Pfahl. Jugendliche, Autos, Radfahrer, Menschen auf dem Weg zum Einkaufen überqueren die wenige Meter lange Brücke in beide Richtungen. Dass hier eine Staatsgrenze verläuft, geht im Alltag unter.
Für das Kirchenschiff fehlen zehn Millionen Euro
Nicht weit entfernt steht auf der polnischen Seite das Ratusz. Das sanierte historische Rathaus der fast 800 Jahre alten Doppelstadt wird inzwischen als Kulturhaus genutzt. Direkt daneben eine große Ruine aus rotem Backstein, ohne Dach, mit teils zugemauerten Fenstern, mit einem Maschendrahtzaun gesichert. "Uwaga!" steht auf Schildern an den Mauern der einst evangelischen Stadt- und Hauptkirche von Guben, "Achtung" und "Vorsicht" heißt es auf Deutsch.
1945 wurde die Kirche zerstört. "Die SS hat damals Dokumente aus Berlin in die Kirche geschafft und sie dann in Brand gesetzt", erzählt Günter Quiel: "Die Kirche ist abgebrannt durch Brandstiftung der Waffen-SS." Seit bald zwei Jahrzehnten setzt sich der langjährige Gubener SPD-Stadtverordnete für die Rettung der Ruine und den Wiederaufbau der Kirche als Kulturort, deutsch-polnische Begegnungsstätte und Mahnmal ein. Zum 60. Jahrestag des Kriegsendes wurden dafür 2005 eine polnische Stiftung und ein deutscher Förderverein gegründet.
Einiges ist inzwischen geschafft, mehr als 2.000 Tonnen Bauschutt wurden weggeschafft, 2007 wurde in deutsch-polnischer Zusammenarbeit eine neue Turmhaube auf den Kirchturm gesetzt, vor zwei Jahren eine neue Wetterfahne. Eine Hochzeit wurde in der Ruine schon gefeiert und ein großes Orgelkonzert gegeben. Es wurden Spenden gesammelt, es gab Geld vom polnischen Staat. Doch für das Kirchenschiff fehlen noch rund zehn Millionen Euro.
"Die Finanzierung ist ein unheimlicher Aufwand", erzählt Quiel, der in der DDR als Ingenieur im Chemiefaserwerk Guben und später als Finanzdezernent und Vize-Kanzler der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder gearbeitet hat. Nach 1945 ging die Ruine an den polnischen Staat, seit ein paar Jahren gehört sie der Stadt Gubin. Öffentliche Fördermittel aus Deutschland zu bekommen, sei praktisch unmöglich, weil die Kirche im Ausland liegt, sagt der 76-Jährige: "Wir bemühen uns jetzt, dass sie in die nationale Denkmalliste in Polen aufgenommen wird." Das soll die Förderung einfacher machen.
Die Architektur soll auch künftig an die Zerstörung der Kirche im Zweiten Weltkrieg erinnern. "Wir bauen keine Frauenkirche, sondern ein Denkmal zur Erinnerung und Mahnung", sagt Quiel, der selbst kein Kirchenmitglied ist: "Der Grundgedanke der Mahnung muss erhalten bleiben." Und noch etwas bewegt ihn. "Es geht nicht nur um die Kirche", sagt der Vorsitzende des Fördervereins: "Wenn es gelingt, die Kirche wieder aufzubauen, schaffen wir auch alles andere."
Er möchte, dass die Stadt weiter zusammenwächst und die Menschen auf der deutschen und der polnischen Seite aufeinander zugehen. "Lieber ein gutes Schwimmbad bauen, als zwei halbe", sagt Günter Quiel: "Wir müssen uns einigen und zusammenarbeiten." Von deutscher Seite müsse dafür jedoch Vertrauen geschaffen werden. "Das müssen wir uns verdienen", sagt er. Seine Vision ist eine Verwaltung für Guben und Gubin. "Die Stadt sollte klug genug sein, mal einen gemeinsamen Bürgermeister zu wählen, den Besten, egal ob Pole oder Deutscher", sagt Günter Quiel: "Guben ist eine Stadt in zwei Ländern."
In die Stadt- und Hauptkirche kehrt inzwischen wieder die Natur zurück, weil das Geld für den Wiederaufbau fehlt. Die polnische Baubehörde habe die Ruine im Frühjahr wegen akuter Gefahren gesperrt und der Stadt Gubin Auflagen zur Beseitigung der Mängel erteilt, erzählt Günter Quiel: "Im Moment leben dort Tauben, Marder, Iltisse und Turmfalken."