Es dürfte für die Verkäuferinnen von "Deichmann" ein kleiner Schreck gewesen sein, als 30 Kinder aus Weißrussland auf einmal in den Laden gestürmt kamen. Aber dann überwog die Freude an der Begeisterung der Kinder: Alle durften sich ein paar neue Schuhe aussuchen - bei den Mädchen standen rosa Sneaker hoch im Kurs, bei den Jungen schwarze Turnschuhe. Seit Anfang Juli sind die Kinder aus sozial schwachen Familien in Hamburg zu Gast. Organisiert hat das die Tschernobyl-Hilfe der Luthergemeinde Bahrenfeld gemeinsam mit Mitgliedern der Melanchthongemeinde Großflottbek.
Auf dem vierwöchigen Programm stehen Ausflüge, Sport an der frischen Luft, Ruhephasen und gesundes Essen in großer Runde. Das Miniatur Wunderland lädt die Gruppe ein, außerdem besuchen die Kinder und ihre Begleiter die Plaza der Elbphilharmonie und den Heide-Park Soltau. Organisiert haben das Programm die etwa 15 Mitglieder der Vorbereitungsgruppe um Pastor i.R. Andreas Zühlke. "Über die Jahre haben sich gute Beziehungen ergeben. Alles freuen sich, wenn wieder Kinder aus Weißrussland zu Gast sind", sagt er.
Untergebracht sind die Kinder auf dem Gelände der Freiluftschule Wittenbergen. Auf dem idyllischen Areal mitten im Naturschutzgebiet Wittenbergen können die Kinder Radfahren, toben und Tischtennis spielen, finden aber auch genug Rückzugsorte für ruhige Momente. Alle zwei Jahre lädt die Luthergemeinde 20 bis 30 Kinder ein, damit sie sich vom belastenden Alltag erholen können.
Außerdem erleben sie viel, was sich die Familien sonst nicht leisten können, sagt Svetlana Pechota. Sie war selbst als "Tschernobyl-Kind" in Hamburg zu Gast und begleitet die Gruppen jetzt als Erzieherin. "Die Kinder lernen eine andere Kultur kennen, und manche fangen durch die Reise an, Deutsch zu lernen."
Disposition, später schwere Krankheiten zu bekommen
Auch 30 Jahre nach der Tschernobyl-Katastrophe leiden die Menschen dort noch unter den Folgen der Reaktorkatastrophe. Viele Menschen haben Krebs, Schilddrüsenerkrankungen oder Leukämie, berichtet Kinderärztin Mikscha Jadwiga. Die Kinder, die nach Hamburg kommen, sind nicht akut krank. "Die Betreuung könnten wir nicht leisten", so Ruheständler Zühlke. Aber starke Konzentrationsschwierigkeiten nehmen die Betreuer bei den meisten Kindern immer noch wahr. Außerdem sei die Disposition, später schwere Krankheiten zu bekommen, mit Sicherheit gegeben.
Alle zwei Jahre fahren Mitglieder der Tschernobyl-Gruppe nach Minsk und Bragin - auf eigenen Kosten. So sind mit der Zeit Freundschaften entstanden. "Es ist wichtig, dass wir sehen, wie es den Menschen dort geht, damit wir hier erklären können, warum Hilfe immer noch wichtig ist", sagt Einhard Kossatz, der mit seiner Frau bereits neunmal bei den Freunden in Belarus zu Besuch war. "Wir waren innerhalb der 30-Kilometer-Zone um den Reaktor und haben selbst gesehen, dass dort aktiv Landwirtschaft betrieben wird."
Finanziert wird das Projekt aus Spenden. Mehrere Großspender und Stiftungen sorgen dafür, dass die notwendigen 45.000 Euro für Anreise und Aufenthalt zusammenkommen. Früher habe der Kirchenkreis West/Südholstein einen Teil übernommen, in diesem Jahr sei stattdessen die Ostersonntagskollekte des Kirchenkreises für das Projekt bestimmt gewesen. Dadurch kamen immerhin 15.000 Euro zusammen, so Kossatz.
Begleitet werden die acht- bis 14-jährigen Jungen und Mädchen von drei Pädagogen und einer Kinderärztin. Die Erwachsenen kümmern sich durchgehend um die Gruppe, die Helfer der Tschernobyl-Gruppe begleiten nur die Ausflüge oder kommen zwischendurch zu Besuch ins Schullandheim. Außerdem werde es zwei Gottesdienste geben, so Zühlke: am 21. Juli um 17 Uhr in einem Saal am Steenkamp (Großflottbek) und am 28. Juli um 10 Uhr im Bahrenfelder Luthergarten (Holstenkamp). Kurz vor der Rückreise feiern alle Beteiligten und Interessierten am 1. August (18 Uhr) ein Abschiedsfest im Schullandheim Wittenbergen.