Megaphone mit Dialog in Sprechblase auf einer Tafel
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Der Nürnberger Regionalbischof Stefan Ark Nitsche setzt sich als Vorstand der Allianz gegen Rechtsextremismus für eine menschenfreundliche Sprache ein.
Trainingslager für menschenfreundliche Sprache
Der Nürnberger Regionalbischof Stefan Ark Nitsche ist seit zehn Jahren im Vorstand der Allianz gegen Rechtsextremismus
Neonazi-Aufmärsche in Gräfenberg, Wunsiedel und einigen fränkischen Städten und Gemeinden mehr: Franken war seit langem ein beliebter Treffpunkt für Rechtsradikale, als sich im Jahr 2009 die Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg gründete. Gegen die Auftritte Rechtsextremer wollte sich ein zivilgesellschaftliches Bündnis wehren. Es organisiert nicht nur Gegendemonstrationen, sondern auch Bildungskampagnen. Der Nürnberger evangelische Regionalbischof Stefan Ark Nitsche ist im Vorstand der Allianz.
10.07.2019
epd
Jutta Olschewski und Christoph Lefherz

Wie notwendig der Kampf gegen Pegida und Co sind, hat vor einigen Monaten auch ein Hass-Mail-Angriff gegen eine Nürnberger Pfarrerin gezeigt. Was hat ihnen diese Hetze gezeigt?

Stefan Ark Nitsche: Das ist unvorstellbar, wie Leute mit der Macht der Bilder und der Worte versuchen, einen anderen Menschen zu zerstören. Bei dieser Aggression ist mir sehr bewusstgeworden, dass es darum gehen muss, nicht nur dagegenzubrüllen, sondern unsere eigenen Worte zu finden. Wir haben bei einem Gottesdienst gezeigt, dass es andere Formen des Zusprachebringens gibt, die tatsächlich weiterhelfen, Situationen zu bewältigen.

Wie kann man die Atmosphäre verändern?

Nitsche: Es kann an vielen Stellen beginnen, aber der Gottesdienst ist kein schlechter Ort dafür. Denn bevor man sein eigenes Sprachverhalten verändert, sensibel sich selbst gegenüber wird und nicht das erste Wort, das einem in Sinn kommt, ausspricht, kann man das im geschützten Raum, in dem mehrere sind, die ähnlich denken, auch einüben. Das ist wie ein Trainingslager für Demokratie oder für menschenfreundliche Sprache: Die besseren Wörter finden, die nicht diese verletzenden Kanten haben, aber auch nicht alles weichspülen. Mir ist da eine Situation in Erinnerung, bei der ich gemerkt habe, wie das mit den Worten ist: Wir demonstrierten vor der Lorenzkirche gegen eine rechtsextreme Gruppierung, und in der Lorenzkirche fand gleichzeitig ein Friedensgebet statt. Irgendwann haben wir uns gedacht, warum rufen wir hier Parolen wie "Geht doch wieder nach Hause!", was machen wir eigentlich für einen Blödsinn, während drinnen in der Kirche gebetet wird. Auf der Suche nach einem anderen Text haben wir das Grundgesetz gefunden und haben wie Vorsänger alle Artikel des Grundgesetz den Neonazis zugerufen, und zwar mit einer Lautstärke, bei der man nicht mehr hören konnte, was die da drüben verbreitet haben.

Die Kirchen engagieren sich in der Allianz gegen Rechtsextremismus. Haben sie an diesem Rechtsextremismus auch eine Mitverantwortung?

Nitsche: Ja, auf zwei Ebenen - ohne die ganze Schuld auf sich zu ziehen. Die eine Ebene ist die theologische: Eine jahrhundertelange schwierige Art, das Evangelium mit stereotypen Negativfolien unter die Leute zu bringen, vor denen sich die Christen gegenüber den Juden abheben, das nennt man Antijudaismus. Und aus Antijudaismus kann sehr leicht Antisemitismus werden und dieser ist eine Spur in den Rechtsradikalismus, die historisch nachweisbar ist. Wir Christen haben hier Mitverantwortung, weil wir auf unsere Sprache nicht aufgepasst haben. Die andere Ebene ist, wir sind Teil dieser Gesellschaft und tragen wie alle Verantwortung dafür, dass wir in den letzten Jahrzehnten ein öffentliches Sprachklima in den scheinbar anonymen digitalen Räumen mit haben geschehen lassen, so dass heute die Hemmschwelle, sich gegenseitig mit Worten zu töten, sehr gering geworden ist. Im Augenblick ist unsere Sensibilität hierfür extrem schwach ausgebildet. Und da haben wir eine Mitverantwortung.

Einerseits sind Kirchenleute Opfer solcher Angriffe, andererseits sitzt im Posaunenchor vielleicht einer, der AfD wählt und klar zu ihr steht. Kommt man als Volkskirche irgendwie aus diesem Spagat heraus?

Nitsche: Nein, da kommst du nicht raus, und das ist auch gut so. Wir können uns nicht zurückziehen und sagen, wir sind eine hoffentlich große Gruppe von Gutgesinnten. Mitglieder der Kirche sind ein Spiegel der Gesellschaft. Wir können aber innerhalb der Kirche lernen, wie man die Dinge so beim Namen nennt, dass nicht sofort wieder das Gespräch abbricht. Man sollte sich die Ehre geben, sich die Wahrheit zu sagen.

Die Allianz gegen Rechtsextremismus gibt es jetzt zehn Jahre. Inzwischen sind Rechtsextreme in Parlamente eingezogen. Was hat sich verändert?

Nitsche: In der Wahrnehmung der Bevölkerung hat sich etwas geändert: Wenn diese Positionen in Parlamente einziehen, dann muss ja etwas dran sein, kann das ja nicht so schlimm sein. Das hat noch einmal Leute ermutigt, die ihre Meinung vorher nicht gesagt haben oder deren Meinung tabuisiert wurde. Es ist sichtbar geworden, dass Rechtsextremismus nicht ein Splittergruppenphänomen ist, sondern bei einer in ihrer Identität verunsicherten Bevölkerungsgruppe auf Nährboden trifft.

Die haben in der Allianz diskutiert und sich gesagt, wir können nicht nur demonstrieren, sondern müssen auch Argumentationshilfen schaffen. Wie sieht das aus?

Nitsche: Ja, die Art mit dem Rechtsextremismus umzugehen, hat sich verändert. Am Anfang gab es Gegendemonstrationen, weil völlig klar war, man ist dagegen, wenn da der Dritte Weg oder die Neonazis auftreten. Heute muss man demaskieren, mit welcher Sprache schön gefärbt oder Kreide gefressen wird. Unser Schwerpunkt liegt auf präventiven Aktionen. Das heißt, wir verstärken die Bildungsarbeit und geben Bürgermeistern oder Stadträten Argumentationshilfen an die Hand, wie sie beispielsweise damit umgehen, wenn die AfD bei ihnen Räume mieten will. Wir helfen Wirten, Rechtsradikalen draußen zu lassen, außerdem ist der Demokratiebus durch Bayern gefahren.

Sollte die Kirche in solche Aktivitäten mehr Geld investieren?

Nitsche: Wir haben ja nicht unbegrenzt Geld und es gibt weitere wichtige Bereiche. Stattdessen würde ich gerne sagen, es könnte bekannter sein, was wir alles tun. Wir haben zweimal im Jahr einen Runden Tisch Kirche und Rechtsextremismus, es gibt eine Handreichung, um theologisch und gesellschaftspolitisch argumentationsfähig zu sein. Wir haben unsere Regeln verschärft, damit wir nicht aus formalen Gründen jemandem, der der AfD oder einer rechtsextremen Splittergruppe angehört, in unseren Gremien zulassen müssen. Das gleiche gilt für unsere Hauptamtlichen. Wir sind ein wichtiger Player im gesellschaftlichen Raum geworden und mit unserer Expertise gefragt, Inhalt und Sprache zu finden und nicht nur lautstark dagegenzuhalten.

Kann man auch Erfolge von Aktionen aus der Bildungsarbeit oder vor der Europawahl spüren?

Nitsche: Ohne sich etwas schön zu reden, kann man in zweierlei Hinsicht von Erfolg sprechen: Die Wahlergebnisse bei der EU-Wahl haben gezeigt, dass man Prozentzahlen der AfD und rechter Splittergruppen reduzieren kann, in dem man andere mobilisiert. Und langfristig denke ich, werden wir, wenn wir den Atem haben, die AfD-Wähler zurückgewinnen können, wenn wir Bewusstsein schaffen, dass Demokratie nicht etwas ist, was einem in den Schoß gelegt wurde, sondern jeden Tag neu erarbeitet werden muss.