Teilnehmerinnen beim 94. Kirchentag der Lutherischen Kirche Christi
© epd/Thomas Lohnes
Teilnehmerinnen beim 94. Kirchentag der Lutherischen Kirche Christi in Nigeria am 30.01.19 in Demsa im Nordosten Nigerias.
Jahrmarkt der Frömmigkeiten
Im Nordosten Nigerias versammeln sich 40.000 Lutheraner gegen alle Widrigkeiten zu ihrem 94. Kirchentag
Im Nordosten Nigerias haben sich die Mitglieder der lutherischen Kirche bei ihrem Kirchentag getroffen. Der Andrang ist immens, trotz der einfachen Unterbringung und der Gefahren durch Islamisten und kriminelle Banden.
04.02.2019
epd
Marc Engelhardt

Ihr spärliches Hab und Gut hat Pasca Joseph rechts und links der Bastmatte verstreut, auf der sie die nächsten Nächte schlafen wird. Endlich hat sie Zeit für einen Plausch. "Wir sind den ganzen Tag unterwegs gewesen, um hierher zu kommen", sagt die 65-jährige mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht. "Und jetzt sind wir einfach nur glücklich, meine Schwestern und ich." Die Frauen, die neben Pasca unter dem Schatten einer Stoffplane sitzen, nicken. Sie sind angekommen: Auf dem wahrscheinlich ältesten Kirchentag Afrikas, zu dem die Lutherische Kirche Christi in Nigeria seit 94 Jahren einlädt.

Nicht einmal ist die Veranstaltung ausgefallen, nicht durch Krieg, Hungersnöte oder andere Krisen. In diesem Jahr musste das einwöchige Treffen erstmals vorverlegt werden, weil zum traditionellen Zeitpunkt Mitte Januar gewählt wird. Doch nicht nur deshalb ist die Tatsache, dass sich diesmal gut 40.000 Lutheraner auf einem staubigen Feld am Rand der Kleinstadt Demsa treffen, ein kleines Wunder. Im Nordosten Nigerias herrscht Bürgerkrieg, auch Pasca war vor einem Jahr noch auf der Flucht. "Die Kämpfer von Boko Haram sind eines Tages bei uns eingefallen, sie haben jeden umgebracht, den sie sahen - ich habe mich unter dem Bett versteckt."

Zwischen Wahlkampf und Kirchentag

Im Schutz der Nacht gelang es ihr zu entkommen. Erst als die Armee die Islamisten im November zurückdrängte, kam Pasca wieder nach Hause. "Es ist friedlicher geworden. Aber als wir vor zwei Wochen von neuen Angriffen nicht weit von uns entfernt hörten, haben wir uns alle im Busch versteckt - aus Angst, es könnte uns wieder treffen", erzählt sie. Auch von den brutalen Banden bewaffneter Viehtreiber wurde ihr Dorf schon heimgesucht. Aber den Kirchentag wollte Pasca trotz der Gefahren nicht verpassen. "Wir haben Gott so viel zu verdanken."

Der Präsident des Lutherischen Weltbundes (LWB), Erzbischof Panti Filibus Musa aus Nigeria, am 30.01.19 in Demsa im Nordosten Nigerias.

Gemeinsame Gebete, Gesänge, Predigten und Andachten stehen für die meisten Besucher im Mittelpunkt des Kirchentags. Wie in Deutschland, so werden auch in Nigeria soziale und politische Themen diskutiert. Dabei nimmt Erzbischof Panti Filibus Musa kein Blatt vor den Mund. "Wir sind besorgt über den Ablauf der Wahlen, und wie so viele rufen wir zu einer friedlichen, freien, glaubwürdigen und fairen Abstimmung auf", ruft er den versammelten Gläubigen zu. "Die Politiker aber scheinen so verzweifelt, dass sich die Wahlen in ein Spiel um alles oder nichts zu entwickeln scheinen."

Die Rolle der Kirche sieht Musa darin, Gewalt und Hetze den Boden zu entziehen. Wie sie das machen sollen, haben Pfarrer unmittelbar vor Beginn des Kirchentags auf einem zweitägigen Seminar diskutiert. Jetzt werden auch die Laien in die Debatte einbezogen. "Jeder Politiker und jede Partei muss eine faire Chance haben, an den Wahlen teilzunehmen", fordert Musa, der sich öffentlich für keinen Kandidaten ausspricht. Zur Kirche gehören Anhänger aller Lager, und der Kirchentag soll die 2,8 Millionen Lutheraner in Nigeria einen - nicht spalten.

Musa, der seit 2017 auch Präsident des Lutherischen Weltbundes ist, will eine politische, keine parteiische Kirche. Der Lutherische Weltbund ist eine internationale Gemeinschaft lutherischer Kirchen. 1947 im schwedischen Lund gegründet, zählt er inzwischen 148 Mitgliedskirchen, denen mehr als 75 Millionen Christen in fast 100 Ländern weltweit angehören.  

Während Musa redet, herrscht auf den bis zum Horizont reichenden Lagern aus Matten, Stoffbahnen und improvisierten Schattenspendern aus Holzstäben und Stroh gespannte Stille. Seine Stimme dröhnt aus den scheppernden, bis zum Anschlag aufgedrehten Lautsprechern. Als eine Frauengruppe im Anschluss einen rhythmischen Choral anstimmt, der auf vielen unterschiedlichen Trommeln begleitet wird, springen viele auf, tanzen und stimmen ein. Die Atmosphäre ist gelöst. Selbst diejenigen, die an den Kochstellen damit beginnen, das Mittagessen für ihre Gemeinde vorzubereiten, wippen mit den Hüften.

Von Sicherheitskräften bewachte Bischöfe beim 94. Kirchentag der Lutherischen Kirche Christi in Demsa im Nordosten Nigerias.

Maria Stettner, die an der Spitze einer Delegation des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbunds zum Kirchentag gereist ist, begeistert vor allem die Omnipräsenz der Frauen. "Die sind eindeutig in der Überzahl - bei den Chören und Tänzen natürlich, aber sie halten auch Predigten oder führen durch den Tag." Als Stettner auf der Bühne "Verleih uns Frieden gnädiglich" anstimmt, herrscht andächtige Stille, bevor der ganze Platz in donnernden Applaus ausbricht. So ungewöhnlich die lutherischen Verse bei 40 Grad im Schatten wirken, so dankbar werden sie aufgenommen.

Und so fallen den deutschen Besuchern bei allen Unterschieden auch Parallelen zu deutschen Kirchentagen auf. "Man kann wirklich nur gratulieren, dass die Lutheraner diesen Kirchentag geschaffen haben und die Kirche damit zusammenschweißen", freut sich Stettner. Wie schwierig es ist, diesen Zusammenhalt derzeit zu garantieren, zeigen die bewaffneten Milizen, die das Gelände sichern. 300 von ihnen sind im Einsatz, unterstützt werden sie von 3000 Pfadfindern. "Wir werden jeden aufhalten, der dieses Treffen bedroht", verspricht Solomon Johnson, selbst Lutheraner. Das gilt auch für die Zukunft. Derzeit plant die Kirche ein festes Veranstaltungszentrum, um den jährlich wachsenden Teilnehmerzahlen Herr zu werden.