Hans Scholl wird am 22. September 1918 in Ingersheim an der Jagst geboren, einer kleinen Gemeinde im Hohenloher Land in Württemberg. Seine Eltern Magdalene (Lina) und Robert Scholl galten laut Zoske als eigenwillige Individualisten, die eher gegen als mit dem Strom schwammen. "Die Liberalität von Robert und der pietistischer Glaube von Lina haben die Kinder ganz stark geprägt", ist sich der Theologe Robert Zoske sicher, der mit "Flamme sein!" eine neue Hans Scholl Biographie veröffentlicht hat.
Zu Beginn von Hitlers Regierungszeit setzen sich die ältesten Scholl-Geschwister – Hans und Inge – begeistert für Hitler ein: Sie sind in der Hitlerjugend (HJ) und im Bund Deutscher Mädel (BDM). Mit den Eltern gibt es wegen der Begeisterung für Hitler regelmäßig lautstarke Auseinandersetzungen. Vater Robert hängt jeden Tag eine Radierung von Hitler ab, die in Hans‘ Zimmer hängt. Der hängt sie jedoch jedes Mal wieder auf – bis der Vater irgendwann nachgibt und sie hängen lässt.
Hans Scholl steigt sogar so weit in der Hitlerjugend auf, dass er als einer von drei Fahnenträgern aus Ulm im September 1935 am Reichsparteitag in Nürnberg teilnehmen darf. Gleichzeitig versucht er jedoch im Geheimen die Ideale der verbotenen "deutschen autonomen jungenschaft (dj.1.11)" mit denen der HJ in Einklang zu bringen. Solange das geht, bleibt er auch bei der Sache. "Erst langsam wuchs die Erkenntnis der geistigen Enge", schildert Zoske. "Und je enger das alles wurde, desto mehr hat er sich doch davon abgewandt." Die gravierendste Unvereinbarkeit, sagt Zoske, bestand zwischen der wachsenden nationalsozialistischen Uniformierung des Landes und Hans Scholls ungestümen Freiheitsdrang.
Eine entscheidende Wende nimmt Hans Scholls Leben am 11. November 1937. Während Scholl als Kavalleriesoldat in der Kaserne stationiert ist, durchsucht die Geheime Staatspolizei (Gestapo) das Haus seiner Eltern und findet dort Beweismaterial für seine Tätigkeit in der verbotenen "deutschen Autonomen jungenschaft". Hans wird verhört, hofft zu diesem Zeitpunkt jedoch noch darauf, dass sich die Angelegenheit schnell klären lasse.
Ein Irrtum: Denn zu diesem Zeitpunkt geht es schon längst nicht mehr nur um seine Tätigkeit in der bündischen Jugend, sondern auch um Verstöße gegen den Paragraphen 175. Der stellt sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Kronzeuge ist Rolf Futterknecht. Mit ihm hatte Scholl ein längeres Verhältnis. Das gibt er auch gegenüber der Gestapo zu.
Ein Brief seiner Mutter Lina an den vorsitzenden Richter bringt die Wende: sie schildert die Unreife ihres Sohnes zum fraglichen Zeitpunkt, dass er gar nicht gewusst hätte, was er da tat und dass Hans eigentlich alles Schmutzige und Unreine vollkommen fremd sei. Der Richter folgt Lina Scholls Argumentation und urteilt milde. Da durch den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich gerade sowieso alle Strafen bis einen Monat amnestiert werden, muss Hans Scholl nicht ins Gefängnis. "Der Prozess wurde eingestellt – Hans Scholl wurde nicht freigesprochen", betont Robert Zoske.
Ab Frühjahr 1939 studiert Scholl an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Medizin. In den Semesterferien nach Kriegsbeginn nimmt er als Sanitätsfeldwebel am Frankreichfeldzug teil. "Hans Scholl ist kein Pazifist gewesen", klärt Zoske auf. Scholl habe sogar von einer Karriere als Offizier im Heer geträumt. "Er hätte diesen Weg sehr gerne eingeschlagen, aber er wusste, dass er das als 175er vergessen konnte."
Seine eigenen Erlebnisse und die Erzählungen von der Front treiben Scholl schließlich in den Widerstand: Zusammen mit Alexander Schmorell prangert er im Sommer 1942 in den ersten vier Flugblättern der "Weißen Rose" die Massenmorde an den Juden und Polen an, ruft zum passiven Widerstand auf und gibt konkrete Anweisungen für einen Regierungssturz.
Doch dem Entschluss, tatsächlich aktiven Widerstand zu leisten, ist ein langes Hadern vorangegangen: noch im Frühjahr 1942 ist Hans Scholl aus religiösen Gründen gegen einen Widerstandskampf: Er hält es für anmaßend und gegen die universelle Ordnung verstoßend.
Es ist aber wiederum sein christlicher Glaube, der ihn schließlich doch darin bestärkt, nicht länger untätig zu bleiben. "Besser als ein im Irrtum begangenes Morden als der Friede der Welt", notiert Scholl auf einem kleinen Notizzettel. Mit dieser Argumentation folgt er Martin Luther, der als Ausweg aus einer unlösbaren Situation zu unerschrockenem Handeln geraten hat. "Wenn Untätigkeit größere Schuld bedeute als eine Tat und wenn ein an sich verwerfliches Tun größeres Leid verhindere, dann gelte", so Zoske und zitiert aus einem Brief von Martin Luther an Philipp Melanchthon, "Sündige tapfer, aber glaube tapferer und freue dich in Christus, der Sieger ist über Sünde, Tod und Welt".
Für Hans Scholl wird der Widerstand gegen die Nationalsozialisten zur Christenpflicht. "Er hat gespürt: sich zurückzuziehen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, das geht nicht, das wäre Verrat", sagt Robert Zoske. Angesicht von Unrecht und Chaos, Vernichtungskriegen und nationalsozialistischer Unfreiheit kommt Hans Scholl zu der Einsicht; "Ich bin klein und schwach, aber ich will das Rechte tun."
Von Juli bis November 1942 müssen Scholl und Schmorell ihre Widerstandsarbeit ruhen lassen, weil sie als Sanitäter an die "Ostfront" abkommandiert werden. Dort lernen sie Willi Graf näher kennen, der später ebenfalls Mitglied der "Weißen Rose" wird. Nach ihrer Rückkehr nehmen sie ihren Widerstandskampf wieder auf. Ende Januar 1943 erscheint das fünfte Flugblatt der "Weißen Rosen". Zum engeren Kern der Widerstandsbewegung gehören zu diesem Zeitpunkt auch Christoph Probst und Sophie Scholl, sowie der Universitätsprofessor Kurt Huber.
Nach der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad glaubt die Gruppe einen Stimmungsumschwung zu spüren. Im sechsten Flugblatt ruft Kurt Huber die deutsche Jugend zum Widerstand gegen Hitler auf. Ein Teil der Flugblätter wird wie zuvor auch per Post verschickt, den Großteil tragen Hans und Sophie Scholl jedoch am 18. Februar 1943 in einem Koffer und einer Aktentasche bei sich, als sie die Münchner Universität betreten. Im ersten und zweiten Stock legen sie vor den Hörsälen stapelweise Flugblätter aus, den Rest werfen sie von der Balustrade in den menschenleeren Lichthof. Dabei beobachtet sie der Hausschlosser der Universität und erklärt sie für verhaftet. Wenig später trifft die Geheime Staatspolizei (Gestapo) ein und führt die Geschwister ab. Bei Hans Scholl finden die Beamten den Entwurf des siebten Flugblatts von Christoph Probst, der daraufhin ebenfalls verhaftet wird.
Hans Scholls Verhörprotokoll gleicht jedoch weniger einem Geständnis als vielmehr einem politischen Bekenntnis. Er habe einer "inneren Verpflichtung" folgen müssen und habe gewusst und auch damit gerechnet, dadurch sein Leben zu verlieren. "Hans Scholl war furchtlos entschlossen, der Gestapo so weitreichende Gedanken darzulegen. Er wollte ganz oder gar nicht leben", so Robert Zoske.
Am 22. Februar 1943 eröffnet der Präsident des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, die Hauptverhandlung gegen Hans Fritz Scholl, Sophia Magdalena Scholl und Christoph Hermann Probst. Ihnen wird Hochverrat, Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung vorgeworfen. Doch statt ängstlich vor dem tobenden Freisler zu kauern, bleiben die Angeklagten "von ihren Idealen erfüllt ruhig, gefasst, klar und tapfer", so der anwesende Gerichtsreferendar Leo Samberger. Keine drei Stunden später verkündet Freisler "im Namen des deutschen Volkes" die Todesurteile für die Geschwister Scholl und Probst.
Im Stadelheimer Gefängnis verabschieden sich die Geschwister getrennt voneinander von ihren Eltern. Vom evangelischen Gefängnisseelsorger Karl Alt lässt sich Hans Scholl das "Hohelied der Liebe" und den 90. Psalm vorlesen. An seine Eltern schreibt er: "Ich bin ganz stark und ruhig. […] Ich danke Euch, dass Ihr mir so ein reiches Leben geschenkt habt. Gott ist bei uns."
Um 17:02 wird Hans Scholl schließlich auf der Guillotine hingerichtet. Seine letzten Worte: "Es lebe die Freiheit!" Dieser als charismatischer, manchmal unüberlegt handelnder Draufgänger beschriebene junge Mann wird nur 24 Jahre und fünf Monate alt. Ohne ihn hätte es die "Weiße Rose" nie gegeben. "Die treibende Kraft, der kreative Kopf des Münchner studentischen Widerstands war eindeutig Hans Scholl", urteilt Zoske und kritisiert damit die verklärende Bewunderung, die vor allem Sophie Scholl entgegengebracht wird.
Als jemand, der den christlichen Glauben überzeugend gelebt hat, fasziniert Hans Scholl noch heute. "Er suchte keine Konfession, sondern das Wesen des Christentums. Sein Glaube ließ ihn mutig bekennen, treu beten, fröhlich glauben, brennend lieben und bewusst widerstehen", schreibt Robert Zoske, in Anlehnung an die Stuttgarter Schulderklärung der EKD. Lange hat der Theologe nach einer Erklärung dafür gesucht, warum Hans Scholl als Christ im Nationalsozialismus im Gegensatz zu so vielen anderen nicht versagt hat. Die Antwort, die er auf diese Frage gefunden hat, klingt bestechend einfach: "Hans Scholl hat als Christ im Nationalsozialismus nicht versagt, weil er Glauben und Handeln zusammengebracht hat", sagt Robert Zoske.