Die nationalsozialistischen Behörden wollten die drei Verhafteten - Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst - rasch beseitigen. Bereits am 19. Februar 1943 bat darum Paul Giesler, Kreisleiter der Münchner NSDAP, den Leiter der Berliner Parteizentrale Martin Bormann, "die Aburteilung in den nächsten Tagen hier und die Vollstreckung alsbald danach vorzunehmen." Dazu sollte bei Hitler eine Anweisung erwirkt werden, die das Verfahren von der Militärgerichtsbarkeit, der die jungen Soldaten unterstanden, an den Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof übertrug. In der Bunkeranlage im Brandenburgischen Wünsdorf entsprach noch am selben Tag der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, diesem Ersuchen; er verfügte den sofortigen Ausschluss von Scholl, Schmorell, Probst und Graf aus dem Heer. Der Dreierausschuss der Ludwig-Maximilians-Universität exmatrikulierte einen Tag vor dem Gerichtsverfahren die Geschwister Scholl.
Am Montag, den 22. Februar 1943, eröffnete der Vorsitzende Richter Roland Freisler um 10 Uhr die Verhandlung gegen Sophie Scholl, Hans Scholl und Christoph Probst. Als Zeuge waren Kriminalobersekretär Robert Mohr, der leitende Ermittlungsbeamte der Geheimen Staatspolizei, und seine Kollegen geladen. "Die Verhandlung wurde", so erinnerte er sich, "durch den Vorsitzenden Freisler mit aller Schärfe durchgeführt." Besonders fiel ihm auf, "daß die Angeklagten kaum zu Wort kamen, während man einzelne Bemerkungen derselben mit bissigen Worten abtat". Er beobachtete, "daß ein älteres Ehepaar in den Gerichtssaal drängte", von dem er erst später erfuhr, "daß dies die Eltern der Geschwister Scholl gewesen seien". Hans Scholl habe "beim Schlusswort" ausgeführt, "daß er rückhaltlos zu seiner Tat stehe und daß der Tag kommen werde, da jene auf der Anklagebank säßen, die sich heute als Richter aufspielten". Mohr: "Ich glaube fast, daß dieses Schlußwort noch drastischer war. Es hat vielleicht gelautet: ‚Heute hängt ihr uns und morgen werdet ihr es sein‘, oder ähnlich." Der Volksgerichtshof verurteilte die Angeklagten, die "in vollem Umfang geständig waren", um 12.45 Uhr zum Tode. Danach überstellte man die Angeklagten ins Gefängnis München Stadelheim, wo ihre Einlieferung um 13.45 Uhr registriert wurde.
Verabschiedung von den Eltern
Wenig später, "etwa zwischen 14 und 15 Uhr", begab sich Robert Mohr "nochmals in’s Gefängnis Stadelheim". Dort begegnete er das erste Mal den Eltern Scholl und sah zum letzten Mal die Geschwister. Als er Sophie in der "Wärterinnenzelle (wohin man sie nach dem Besuch ihrer Eltern gebracht hatte)", antraf, "entschuldigte [sie] sich wegen ihrer Tränen, indem sie sagte: ‚Ich habe mich gerade von meinen Eltern verabschiedet, deshalb werden Sie begreifen.‘" Nach einigen Worten des Trostes habe er sich von ihr verabschiedet. Auf dem Weg zu ihr war er Hans begegnet, der gleichfalls gerade seine Eltern und den Bruder Werner gesehen hatte. "Ungeachtet des Aufsehers kam Hans Scholl auf mich zu, schüttelte mir die Hand mit den Worten, er habe eben seinen Eltern aufgetragen, mir den Dank dafür auszusprechen, daß ich seine Schwester so gut behandelt habe, nun sei er froh darüber, diesen Dank persönlich abstatten zu können." Mohr sei "darüber derart gerührt" gewesen, dass er "kein Wort sagen konnte". Vielleicht habe er noch die Worte hervorgebracht: "Seien Sie auch jetzt stark!"
Um 16:02 Uhr teilte man Hans Scholl die Ablehnung des von seinem Vater eingereichten Gnadengesuchs mit "und daß das Urteil heute um 17.00 Uhr im Gefängnis München Stadelheim vollstreckt werde". Auch als sie so den Tod vor Augen hatten, trug ihr Glaube die Geschwister.
Der evangelische Gefängnispfarrer Karl Alt wurde, wie er später schilderte, "fernmündlich und eiligst zu den Geschwistern Scholl gerufen". Zur seelsorgerlichen Begleitung suchte er "bebenden Herzens [den ihm] völlig unbekannten Hans Scholl" auf. Er fragte sich, wie und mit welchem Bibeltext er ihn "richtig zu diesem furchtbaren Ende bereitete. Aber", so Alt, "Hans Scholl enthob mich aller Zweifel und Sorge. Nach kurzem Gruß und festem Händedruck bat er mich, ihm zwei Bibelabschnitte vorzulesen: das ‚Hohelied der Liebe‘ aus 1. Korinther Kapitel 13 und den 90. Psalm. "Herr Gott, du bist unsere Zuflucht für und für." "Laut" und "mit Hans" las er dieses Psalmlied, das von der Endlichkeit allen Lebens, zugleich von der Geborgenheit in Gott spricht. "Das", so Alt, "betete Hans nicht nur für sich, sondern für sein so lange schon geplagtes und unglückliches deutsches Volk." Das von Scholl gewünschte "Hohelied der Liebe" aus dem Neuen Testament legte der Geistliche seinen Worten zum Abendmahl zugrunde. Er gehe davon aus, so der Seelsorger, "daß sich auch jetzt das Wort des Heilandes erfülle: ‚Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben lässet für seine Freunde.‘" Auch der bevorstehende Tod sei "ein Lebenlassen für die Freunde, ein Opfertod fürs Vaterland, durch den viele gewarnt und gerettet werden sollen vor weiterem wahnwitzigem Blutvergießen".
Dann beteten sie "miteinander Vers für Vers". Bei den Worten "Die Liebe ist langmütig und freundlich, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu", fragte ihn der Seelsorger "ausdrücklich, ob dies wirklich zutreffe und kein Haß noch Bitterkeit auch gegenüber den Verklägern und Richtern das Herz erfülle". "Fest und klar", erwiderte Hans Scholl: "Nein, nicht soll Böses mit Bösem vergolten werden, und alle Bitterkeit sei ausgelöscht." Der Pfarrer erteilte ihm daraufhin "angesichts solcher eigens betonten Gesinnung leichten Herzens" die Absolution, und sie feierten das "Mahl der Liebe und Vergebung, das nach der Lehre der Kirchenväter und Luthers auch ein ‚Heilmittel gegen den Tod und für die Unsterblichkeit‘ ist, wahrhaft im Geiste und Sinne seines göttlichen Stifters". Alt spürte dabei die Gegenwart Gottes: "Wer so stirbt, der stirbt wohl – auch wenn sein Haupt unter dem Henkerbeile fällt."
Weil Hans Scholl die ökumenische Weite des christlichen Glaubens kennengelernt hatte, war es für ihn von gleichem Wert, ob er in der Stunde seiner Hinrichtung das Abendmahl von einem katholischen oder einem evangelischen Geistlichen erhielt. Das Gemeinschaftsmahl an sich war ihm wichtig. Die Geschwister wollten es am liebsten auch mit Christoph Probst teilen, der sich "noch in dieser letzten Stunde von dem katholischen Gefängnispfarrer taufen und die Sterbesakramente reichen" ließ. Da sie aber selbst evangelisch waren und es keine ökumenische Abendmahlsordnung gab – und bis heute nicht gibt – und weil die Gefängnisordnung Ausnahmen untersagte, hätten sie selbst konvertieren müssen, was sie nicht wollten. So feierten sie das Abendmahl in der evangelischen Form. Mit dabei war ihr Bruder Werner, der Fronturlaub hatte. Zuvor schrieb Hans noch einen letzten Brief an Mutter und Vater: "Meine allerliebsten Eltern! […] Ich bin ganz stark und ruhig. Ich werde noch das Heilige Sakrament empfangen und dann selig sterben. Ich lasse mir noch den 90. Psalm vorlesen. Ich danke Euch, daß Ihr mir ein so reiches Leben geschenkt habt. Gott ist bei uns. Es grüßt Euch zum letzten Male Euer dankbarer Sohn Hans."
Nach dem Abendmahl ergänzte er: "P.S. Jetzt ist alles gut; ich habe noch die Worte des 1. Korintherbriefes [13] gehört: Wenn ich mit Menschen und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz und eine klingende Schelle …"
Gestärkt durch den Zuspruch der Sündenvergebung und die Erinnerung an Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi im Abendmahl, konnte Hans Scholl gelassen dem Tod entgegengehen. Die "Vollstreckung des Todesurteils […] an dem Hans Scholl" erfolgte "Um 17.02 Uhr […]., seine letzten Worte waren es lebe die Freiheit". Mit ihm starben seine Schwester Sophie und Christoph Probst. Abends feierten im großen Hörsaal der Ludwig Maximilians Universität in einer Bekenntnisversammlung zum NS-Staat drei bis viertausend Studenten Hausschlosser Jakob Schmid als Helden. Er hatte die Geschwister Scholl beim Verteilen der Flugblätter in der Universität beobachtet und für ihre Verhaftung gesorgt.
Der Autor ist evangelischer Theologe und war bis 2017 Pastor in Hamburg. Er hat über Hans Scholl promoviert (Sehnsucht nach dem Lichte - Zur religiösen Entwicklung von Hans Scholl, München 2014).
Der Auszug ist seinem Buch entnommen: Flamme sein! Hans Scholl und die Weiße Rose, Eine Biografie, Verlag C.H.Beck, München 2018.