Schlagzeug und Orgel stehen für Proben und Auftritte bereit. Süßigkeiten warten auf dem Tisch in der Küche. Auf den Bezügen der Sofas ist noch zu erkennen, wie die Jugendlichen beim letzten Filmabend saßen. Doch der letzte offizielle Gottesdienst in der Kirche in Bielefeld-Stieghorst hat bereits stattgefunden. Das Gotteshaus der Neuapostolischen Kirche in Deutschland (NAK) steht zum Verkauf. Die Männer, Frauen und Kinder besuchen inzwischen die nächstgelegene Kirche, mit der die Gemeinde fusionierte. Leer steht das Gebäude allerdings nicht: Bis sich ein Käufer gefunden hat, dürfen die jugendlichen Gemeindemitglieder das Gebäude für ihre Aktivitäten nutzen.
Uwe von Oppenkowski geht durch die Räume in dem Gebäude. Seit Ende 2017 haben sich rund 40 Privatpersonen, Geschäftsleute und Kirchengemeinden für das Backstein-Gebäude mit dem schwarzen Kirchturm interessiert. Einen Kaufvertrag hat bislang aber niemand unterzeichnet, erzählt der 64-Jährige, der seit vier Jahren Kirchen und Gemeindehäuser der NAK in Westdeutschland verkauft und verwaltet.
Warum er das Gebäude im Bielefelder Stadtteil Stieghorst nicht längst verkauft hat, kann er sich nicht erklären. Die Kirche ist in gutem Zustand, hat einen kleinen Garten im Innenhof und Parkplätze. Auf 250 Quadratmeter kommen sechs Zimmer. Der Preis beträgt laut Internetanzeige 449.000 Euro. Allein der Wert des Grundstückes liege bei etwa 350.000 Euro, erklärt der Makler. "Wenn man die Kirche so nutzen kann, wie sie da steht, ist sie ein Schnäppchen."
NAK-Kirchen wurden zu Kitas oder Blumenläden
Der Marktwert von Kirchen lässt sich nur schwer berechnen. "Eine Kirche ist keine Wohnung oder Supermarkt. Sie hat einen Kirchturm, eine Sakristei und einen großen Gemeindesaal", erläutert von Oppenkowski. Er weist mit den Händen in Richtung des silbernen Kreuzes, das an der weißen Wand des Kirchenraumes hängt. Sonnenlicht, das durch die bunten Fenster einfällt, strahlt es hell an. Auf Interessenten, die das Gotteshaus etwa zu einer Wohnung umfunktionieren wollen, kämen hohe Umbaukosten zu: In der Kirche ist meist zwar eine Heizung, aber keine Dämmung. Es gibt Toiletten, aber kein Badezimmer. An den zusätzlichen Umbaukosten scheiterte der jüngste Verkauf der Bielefelder Kirche an eine Ingenieursfirma. "Für den letztendlichen Preis hätte die Firma ein neues Großraumbüro bauen können", bedauert von Oppenkowski.
Als Käufer wünscht sich die NAK eine christliche Glaubensgemeinschaft, erläutert Frank Schuldt von der NAK Westdeutschland. Die Bauten würden dann weiter im Sinne ihrer ursprünglichen Bestimmung genutzt werden. Die NAK ist nach eigenen Angaben mit etwa 340.000 Mitgliedern die viertgrößte christliche Kirche Deutschlands. Charakteristisch für den Neuapostolischen Glauben ist die Erwartung der Wiederkunft Christi in naher Zukunft. Von Oppenkowski hat die unter seiner Verwaltung stehenden NAK-Kirchen meist an einzelne freie evangelische Gemeinden oder an afrikanische Pfingstkirchen verkauft. Die Gemeinden übernähmen oft die Orgel und die Kirchenbänke. Die NAK hat ihre Kirchen in der Vergangenheit aber auch an Träger verkauft, die die Gebäude zu Tagespflegeeinrichtungen für Senioren, Kindertagesstätten, Blumenläden oder Wohnungen umwandelten.
Die entwidmete Kirche in eine Diskothek umfunktionieren dürfen die Käufer allerdings nicht. Im Kaufvertrag unterschreiben sie eine Nutzungsbeschränkung. Die besagt, dass sie das Gebäude nicht in etwas umwandeln dürfen, was christlichen Werten widerspricht, erklärt von Oppenkowski. Die Gemeindemitglieder hätten eine intensive Verbindung zu der Kirche, auch wenn diese entwidmet wurde, betont er. "Hier wurde gebetet, geweiht und getauft."
Austritte und schrumpfende Gemeinden führen dazu, dass auch manche Landeskirchen ihrer Sakralbauten aufgeben. Für diesen Fall hat die Vereingte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) Richtlinien aufgestellt. Ähnlich zur NAK empfiehlt sie den Gemeinden, "Nutzungen, die dem Symbolwert des Kirchengebäudes offen widersprechen", auszuschließen. Der Kirchenraum sei ein öffentlicher Ort, der der Feier des Gottesdienstes dient. "Als solcher besitzt er auch einen bleibenden Symbolwert", heißt es.
Die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers hat nach eigenen Angaben seit dem Jahr 2000 etwa 15 Kirchen, Kapellen und Gemeindezentren verkauft, umgenutzt oder abgerissen. So wurde aus der früheren Gustav-Adolf-Kirche in Hannover-Leinhausen im Jahr 2009 eine Synagoge. In die ehemalige St.-Timotheus-Kirche in Hildesheim zog 2008 eine Musikinstrumentensammlung.In der bayerischen Landeskirche wurden zeitgleich drei Kirchen verkauft und zwei entwidmet. Eine Kirche, die optisch nicht als eine solche zu erkennen war, ging an Privatleute. Die rheinische Landeskirche stellte seit 1985 mehr als 200 Gottesdienststätten außer Dienst.
"Wir beten keine Steine an"
Einzig ein gelbes, an der Außenfassade der Kirche angebrachtes Schild weist auf die Aufgabe des Gebäudes hin. Gut sichtbar für die Autofahrer auf der Bundesstraße nebenan steht dort "Zu verkaufen". Wer die Telefonnummer darunter wählt, landet bei Uwe von Oppenkowski. Der Makler ist selbst neuapostolisch, seine Heimatgemeinde hat ihren Sitz in Düsseldorf. Ob sich sein Beruf als Makler für die NAK von dem anderer Makler unterscheidet? "Wenn das Gebäude profaniert ist, ist es für mich eine Immobilie wie jede andere. Ich spreche dann nicht mehr von einer Kirche", sagt er. Die Interessenten reagierten zum Teil allerdings speziell: "Ich wurde von den potenziellen Käufern oft gefragt, ob sie ein bestimmtes Verhalten berücksichtigen müssen." Etwa, ob sie die Schuhe ausziehen sollen oder, ob sie Fotos schießen dürfen. Dann entgegnet von Oppenkowski: "Wir beten keine Steine an. Das Heilige in einer Kirche sind die Menschen, die drin sind."
Der Makler sperrt das schmiedeeisernene Tor der Kirche zu. Den Schlüssel steckt er in seine Hostentasche. "Für den neuen Käufer schließe ich die Tür wieder auf", sagt er optimistisch. Heute hat von Oppenkowski die Kirche in Bielefeld-Stieghorst nicht verkaufen können. Im Gegenteil - der Interessent hatte ihm kurz vor der Besichtigung abgesagt.