Die von umstrittenen Äußerungen des CDU-Politikers Jens Spahn befeuerte Debatte um Armut in Deutschland hält an. Der neue Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte (CDU), verteidigte die Worte des designierten Gesundheitsministers, wonach Hartz IV nicht gleichbedeutend mit Armut sei. Spahn selbst präzisierte am Dienstag seine Aussagen und zeigte Verständnis für die Lage von Leistungsempfängern: "Natürlich ist es schwierig, mit so einem kleinen Einkommen umgehen zu müssen, wie es Hartz IV bedeutet." Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnte derweil, dass mehr Menschen eine auskömmliche Arbeit bekommen sollten.
Spahn sagte laut Vorab-Bericht dem Nachrichtensender n-tv: "Hartz IV deckt die Grundbedürfnisse ab und nicht mehr, da gibt es nichts zu diskutieren und das habe ich auch nicht in Frage gestellt." Zugleich betonte er, das deutsche Sozialsystem habe "für jeden ein Dach über dem Kopf" und sehe auch beim Essen "für jeden das Nötige" vor.
Antwort der Solidargemeinschaft auf Armut
Vor einigen Tagen hatte Spahn in der Debatte um den Aufnahmestopp für Ausländer an der Essener Tafel gesagt, niemand müsste in Deutschland hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe. Die gesetzliche Grundsicherung werde mit großem Aufwand genau bemessen und regelmäßig angepasst. Hartz IV bedeute nicht Armut, sondern sei die Antwort der Solidargemeinschaft auf Armut.
Der neue Ostbeauftragte der Bundesregierung, Hirte, sagte im RBB-Inforadio, die Worte seien nicht völlig falsch gewesen. "Natürlich ist es so, dass formal gesehen ein Hartz IV-Empfänger arm ist", erklärte er. "Aber Jens Spahn hat auch Recht, dass wir versuchen mit Hartz IV eben dafür zu sorgen, dass keiner völlig durchs Raster fällt."
Bundespräsident Steinmeier äußerte sich nicht direkt zu Spahns umstrittenen Aussagen, stellte aber klar: "Unser Ziel muss höher gesteckt sein, als dass die Menschen von Hartz IV oder anderen Transferleistungen leben". Es sei zentral, dass die Menschen von ihrem Einkommen aus Arbeit leben könnten, sagte Steinmeier der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Dienstag).
Der designierte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) distanzierte sich von Spahns Äußerungen. "Wir haben andere Vorstellungen, und das weiß auch jeder", sagte Scholz am Montagabend in den ARD-Tagesthemen".
Kritik von Koalitionspolitikern über Spahns Äußerung ist nach Ansicht von Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, "zu Teilen scheinheilig". Denn Spahn gebe letztlich nur die offizielle Meinung der geschäftsführenden großen Koalition zum Thema Hartz IV wieder. Deren aktuelle Regelsatzberechnung bezeichnete Schneider als ein "Gemisch aus statistischer Willkür und finanzieller Nickeligkeit".
Er fordert, den Hartz IV-Regelsatz von 416 Euro auf 529 Euro pro Monat anzuheben. Auch nach Ansicht von Caritas und Diakonie ist eine Aufstockung des Betrags notwendig. Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, betonte, dass Hartz IV Bedürfnisse wie angemessenes Wohnen und gesunde Ernährung "nur unzureichend" abdecke.
Im Internet startete inzwischen eine Petition, die den künftigen Minister Spahn auffordert, selbst einen Monat von 416 Euro zu leben. Die Initiatorin, eine alleinerziehende Hartz IV-Empfängerin aus Karlsruhe, wirft dem künftigen Minister Spahn Unkenntnis vor. Inzwischen haben rund 17.000 Menschen die Petition auf "Change-org" unterschrieben.