Seit acht Jahren wohnt die 69-jährige Gertrude von Holdt-Schermuly auf Hallig Hooge, dem Eiland im nordfriesischen Wattenmeer. Sie ist keine studierte Theologin, sondern ausgebildete Laienpredigerin der Nordkirche und betreut die Kirchengemeinde mit 77 Mitgliedern. Den Job macht sie allein. Einen Pastor hat die Hallig seit Ende 2015 nicht mehr. Die Stelle war zweimal ausgeschrieben, beworben hat sich niemand.
Warum will denn keiner ins Paradies? Vielleicht weil der Kirchenkreis nur eine halbe Pastorenstelle ausgeschrieben hat, sagt von Holdt-Schermuly. Für Pastoren, die eine Familie zu versorgen haben, ist die Stelle unattraktiv. Deshalb können sich auch "Jungsenioren" bewerben. Gemeint sind Pastoren, die gerade in den Ruhestand gegangen sind und nochmal woanders arbeiten möchten. Auf einer Hallig etwa.
"Das Leben auf Hooge ist speziell", sagt Gertrude von Holdt-Schermuly. Wer hier wohnt, muss gut mit sich allein sein können. Die Fahrt zum Festland dauert eine gute Stunde. Zwischen Oktober und März fährt die Fähre nur an fünf Tagen in der Woche. Bei Sturm und Eis wird der Fährbetrieb eingestellt. Mehrmals im Jahr ist "Landunter", das Grünland wird überflutet. Die Häuser der Bewohner stehen deshalb auf Warften. Das sind künstlich aufgeworfene Erdhügel, die das Hab und Gut der Menschen vor dem Wasser schützen.
Gemäßigtes Klima herrscht auf Hooge also nicht immer. Trotzdem möchte die Laienpredigerin hier nicht weg. Sie lebt in einer Wohnung über der Gemeinschaftsschule. Von da aus hat sie einen Panoramablick auf Hooge und das Wattenmeer. Nach einem stressigen Tag spaziert sie mit ihrem Hund Störtebeker um ihre Warft, genießt die Weite des Himmels und die Ruhe. "Außer den Vögeln und dem Rauschen der Nordsee höre ich nichts. Was will ich mehr?"
Gleich neben Hooge liegt die Insel Pellworm mit 1.100 Einwohnern. Hier ist Gertrude von Holdt-Schermuly aufgewachsen. Mit 15 Jahren siedelte sie nach Husum aufs Festland über, weil Pellworm die weiterführende Schule fehlt. Damals schwor sie sich, niemals mehr in eine Gemeinde zu ziehen, die man nur mit einem Schiff erreichen kann. Und in der die Bewohner sich gegenseitig in den Kochtopf gucken können.
Die Hallig-Hooge braucht eine/n PastorIn
Das ist auf Hooge mehr denn je der Fall. Die Hallig zählt 100 Einwohner und ist deutlich kleiner als Pellworm. Doch als sie vor acht Jahren als Laienpredigerin herkam, weil wieder mal ein Pastor fehlte, verliebte sie sich schnell in das Eiland. Auch die Bewohner liegen ihr am Herzen, mit ihrer teilweise schroffen, aber liebenswerten Art.
Den Weihnachtsgottesdienst besuchen sie immer alle - auch die muslimische Flüchtlingsfamilie. An Heiligabend ist die kleine St. Johanniskirche erfahrungsgemäß bis auf den letzten Platz besetzt. Anschließend feiert Gertrude von Holdt-Schermuly allein Weihnachten, mit Störtebeker, Hirschkeule als Festessen und dem Lesen von Weihnachtspost. Später am Abend wird sie mit ihrer Familie telefonieren. Ihre erwachsenen Kinder leben auf dem Festland. Am ersten Weihnachtstag kommt einer ihrer Söhne zu Besuch.
Künftig würde von Holdt-Schermuly die Arbeit gern reduzieren und nur noch predigen. Momentan ist sie Predigerin, Sekretärin und Seelsorgerin in Personalunion. Im Sommer betreut sie neben den Hallig-Bewohnern auch die Feriengäste. Bis zu 80.000 Touristen kommen dann auf die Hallig. Einen Bewerber auf die Pastoren-Stelle gebe es mittlerweile, verrät von Holdt-Schermuly. Aber das sei noch nicht spruchreif.
Ab Januar bekommt sie erstmal für drei Monate eine Vertretung. Gertrude von Holdt-Schermuly verlässt Hooge. Zumindest für ein paar Wochen. Am 6. Januar geht sie an Bord eines Containerschiffs und schippert nach Südamerika. "Es reizt mich, einmal durch den Panamakanal zu fahren", sagt sie. Ihren 70. Geburtstag am 17. Januar wird sie auf dem Atlantik feiern. Neun Wochen dauert die Reise. Dann wird Gertrude von Holdt-Schermuly in ihr Paradies zurückkehren.