Arbeiter in einer Fleischerei, in der Dutzende gerupfter Hühnchen an großen Haken hängen, zwei Männer, die einen Karren mit Sesamkringeln durch die Gassen der Altstadt ziehen, jüdische und muslimische Familien in ihren Küchen beim Essen, ein älterer Palästinenser, der sich während des Wartens am Checkpoint müde an die Gitterstäbe lehnt, sehr junge israelische Soldaten und Soldatinnen beim Mittagessen in einer Kantine, Touristen in der Grabeskirche: Der erste Ausstellungsraum versetzt die Besucher atmosphärisch nach Jerusalem. Auf drei großformatigen Leinwänden werden unterschiedliche Szenen aus dem Alltagsleben der Stadt gezeigt.
Durch die wechselnden Sequenzen, bei denen es sich um Ausschnitte aus der Dokumentation "24 h Jerusalem" des Regisseurs Volker Heise und des Produzenten Thomas Kufus handelt, wird auf eindringliche und gleichzeitig beiläufige Weise transportiert, wie dicht hier Normalität und Konflikt beieinanderliegen. Und dass die Vertreter der unterschiedlichen Religionen sowie die Israelis und Palästinenser sich sehr fern und – zumindest räumlich – sehr nah zugleich sind.
"Jerusalem ist kein einfaches Thema", sagte Kuratorin Cilly Kugelmann vor der Eröffnung der Ausstellung. Es sei ihr und Co-Kuratorin Margret Kampmeyer sehr wichtig gewesen, alle drei monotheistischen Religionen gleichwertig nebeneinander zu stellen und auch die politisch-palästinensische Perspektive in den Blick zu nehmen. "Die Schwierigkeit beginnt bereits damit, wen oder was man zuerst nennt. Denn schon das kann als Hierarchisierung interpretiert werden", so Kugelmann.
Es ist den Kuratorinnen gelungen, die Vielschichtigkeit und Vielstimmigkeit der Stadt aufzuzeigen – ohne zu hierarchisieren oder zu vereinnahmen. Auf 1.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche sind rund 170 Exponate zu sehen: Kulturhistorische Objekte mit Leihgaben aus internationalen Museen und Privatsammlungen sowie die Arbeiten zeitgenössischer Künstler. "Im Zentrum der Ausstellung steht die heilige Stadt", erklärte Kugelmann. "Denn was Jerusalem von allen anderen Städten unterscheidet ist die auf sie projizierte Heiligkeit."
Das Herzstück der Ausstellung ist ein großer, detailgetreuer Modellbau des islamischen Heiligen Bezirks "Haram asch-Scharif" mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee. Erbaut im 19. Jahrhundert von dem württembergischen Protestanten Conrad Schick, der als Missionar ins Heilige Land ging, schließlich aber ein berühmter Architekt und Baumeister wurde. Weltweit existieren drei Exemplare seines Modells. Das Jüdische Museum zeigt eine Leihgabe des Bibelmuseums Amsterdam. "Schick war der erste, der den ehemaligen Tempelberg vermessen ließ", sagte Kuratorin Margret Kampmeyer. "Er baute das Modell für die Weltausstellung in Wien 1873."
Auch von der Klagemauer und der Grabeskirche sind maßstabgetreue Modelle ausgestellt: Sie sind sehr viel kleiner als das historische Modell von Schick. Der Nachbau der Klagemauer ist eigens für die Schau im Jüdischen Museum entstanden, die Miniatur-Grabeskirche ist im 20. Jahrhundert für eine Ausstellung zu Kaiser Konstantin angefertigt worden und eine Leihgabe des Museums am Dom Trier.
In einem Raum zu Jerusalem-Pilgern wird noch ein weiteres Architekturmodell der Grabeskirche gezeigt: Ein kostbares Exemplar aus dem 17. Jahrhundert, verfertigt aus dunklem Holz und Perlmutt. Es zeigt die Kirche bis ins Detail und lässt sich wie eine Puppenstube auseinander bauen. Es wurde in Jerusalem als Souvenir an reiche Pilger verkauft.
Die Exponate werden mit großen Leinwand-Projektionen und Video-Interviews kombiniert: Die Ausschnitte aus der Dokumentation "24h Jerusalem" begleiten die Besucher durch die gesamte Schau. So werden zum einen die Modelle der heiligen Orte verlebendigt: Großformatig wird eine Bar Mizwa-Feier an der Klagemauer gezeigt, auf weiteren Leinwänden Betende in der Al-Aksa- Moschee und christliche Pilger in der Grabeskirche. Zum anderen verleihen die Interviews mit einzelnen Bewohnern Jerusalems, die auf kleineren Bildschirmen laufen, der Ausstellung ihre große Vielstimmigkeit.
Eine christlich-palästinensische Schuldirektorin kommt zu Wort, eine israelische Geschäftsfrau und alleinerziehende Mutter, eine muslimische Modemacherin, zwei Müllmänner, die Jerusalem jeden Morgen um 6 Uhr vom Abfall befreien müssen, die Schriftstellerin Zeruya Shalev, die bei einem Selbstmordattentat in einem Bus schwer verletzt wurde, ein ultraorthodoxer Rabbi, der den Staat Israel ablehnt, ein Muezzin der Al-Aksa-Moschee, ein Franziskanermönch, ein protestantischer Pfarrer – und viele mehr.
Zu den Menschen, denen die Ausstellung eine Stimme verleiht, gehört auch der 42-jährige Khaled Al Sheikh Ali. Er ist Geschäftsführer des Kinderzentrums im Shuafat Flüchtlingscamp in Ostjerusalem. Gezeigt wird er im Dialog mit seinem Friseur, den er fragt: "Wann warst Du das letzte Mal in Jerusalem?" "An Ramadan." "Sonst nicht? Hast Du mal versucht, an normalen Tagen nach Jerusalem zu kommen?" "Keine Genehmigung." Wie alt bist Du, mein Lieber?" "51." "Vielleicht haben die Juden Angst, dass Du ihnen das Haar abschneidest, wenn sie Dich da reinlassen." Muslimen den Zugang zum Freitagsgebet zu verwehren sei nicht fair, fasst Khaled Al Sheikh Ali zusammen: "Ich glaube nicht, dass es eine Gefahr für die Sicherheitslage des israelischen Staates darstellt, wenn wir in der Al-Aksa-Moschee beten. Dieser Gebetsort solle allen offenstehen."
Dieser Gegenwartsbezug und die Verortung des Judentums im Kontext der drei monotheistischen Religionen seien wichtige Anliegen des Jüdischen Museums, erklärt Museumsdirektor Peter Schäfer. Und stellt klar: "Unsere Ausstellung hat mit der Entscheidung Donald Trumps nichts zu tun – wir haben den amerikanischen Präsidenten nicht um dieses Timing gebeten." Nach Trumps Ankündigung, die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, drohe die Hamas mit der dritten Intifada.
Für noch gefährlicher hält Schäfer die Anhänger der Tempel-Bewegung, die an der Stelle der Al-Aksa- Moschee und des Felsendoms den dritten jüdischen Tempel errichten wollen. "Das könnte den Dritten Weltkrieg auslösen", so der Museumsdirektor. Die Geschichte des jüdischen Tempels darf in der Ausstellung indes natürlich nicht fehlen: "Als jüdisches Museum ist uns sehr wichtig, zu vermitteln, dass der Kult im Tempel in der jüdischen Religion als Bindeglied zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch galt", sagte Schäfer.
Der zweite jüdische Tempel, von Herodes dem Großen erweitert, war eines der monumentalsten Bauwerke seiner Zeit. Extra für die Ausstellung ist die Installation "Augmented Temple" entstanden. Auf ein mehr als zwei Meter großes weißes Modell werden historische 3-D-Szenen projiziert: Durch vier Ferngläser ("Viewer") können Besucher sich Animationen der antiken Rituale ansehen und nachvollziehen, wer zu welchen Bereichen des Tempels Zugang hatte und was sich dort abspielte.
Begleitend zur Ausstellung wird die Arbeit "Inferno" der 1970 geborenen israelischen Künstlerin Yael Bartana gezeigt, in der es um den Wiederaufbau des herodianischen Tempels – und zwar in der originalen Größe – in Brasilien geht. Um die politischen Ereignisse der kommenden anderthalb Jahre – denn so lange wird die Ausstellung zu sehen sein – dokumentieren und mit einbeziehen zu können, haben die Kuratorinnen eine Pinnwand angelegt. "Ich hätte nicht gedacht, dass wir gleich am ersten Tag einen Eintrag zu Trump machen können", so Cilly Kugelmann.