Für den Eintrag im Geburtenregister wird es bald neben "männlich" und "weiblich" ein drittes Geschlecht geben. Es stelle eine Diskriminierung und einen Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar, wenn intersexuelle Menschen, deren Geschlecht nicht klar bestimmbar ist, sich im Geburtenregister zwischen "männlich" oder "weiblich" entscheiden oder ganz auf die Geschlechtseintragung verzichten müssten, entschieden die Karlsruher Richter in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss. (AZ: 1 BvR 2019/16)
Die Entscheidung stieß vielfach auf positive Resonanz. Die Bundesregierung erklärte, es gebe die volle Bereitschaft das Urteil umzusetzen. Dies werde voraussichtlich erst die neue Regierung tun, sagte ein Sprecher des Innenministeriums in Berlin. Begrüßt wurde das Urteil auch von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und dem Lesben- und Schwulenverband.
Die Verfassungsbeschwerde einer mittlerweile erwachsenen Person namens Vanja, die sich nicht als "Mann" oder "Frau" im Geburtenregister eintragen lassen wollte, hatte damit in Karlsruhe Erfolg. Sie sei intersexuell, entschied das höchste deutsche Gericht. Daher müsse das Standesamt ein drittes Geschlecht eintragen wie "inter/divers" oder nur "divers".
Akzeptanz nicht per Gerichtsbeschluss
Der Beschluss sei "eine große Freude", sagte Vanja dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Mittwoch auf Anfrage. Es sei ein weiterer Schritt zur Anerkennung. Das Gericht habe deutlich gemacht, "dass es Menschen gibt, die nicht als Mann oder Frau leben, und dass das keine 'Störung' ist". Zwar lasse sich gesellschaftliche Akzeptanz nicht allein durch einen Gerichtsbeschluss erreichen, erklärte Vanja, mittlerweile in Leipzig wohnhaft. "Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung."
Bei intersexuellen Menschen kann nach der Geburt das Geschlecht nicht eindeutig bestimmt werden. Die Ursachen hierfür können in den Geschlechtschromosomen, dem Vorhandensein von weiblichen und männlichen Geschlechtsorganen oder auch in den weiblichen und männlichen Sexualhormonen liegen.
Sowohl das Amtsgericht Hannover (AZ: 85 III 105/14) als auch der Bundesgerichtshof (AZ: XII ZB 52/15) hatten die Eintragung eines dritten Geschlechts abgelehnt. Das Personenstandsgesetz erlaube nur die Wahl zwischen "männlich" und "weiblich" oder den Verzicht auf die Eintragung des Geschlechts.
Diese Regelungen seien diskriminierend und verstießen gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht, entschied nun Karlsruhe. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze auch die geschlechtliche Identität. Das Grundgesetz zwinge nicht dazu, dass Menschen ihre sexuelle Identität allein zwischen "männlich" oder "weiblich" wählen müssen. Dass auf die Geschlechtsangabe im Register verzichtet werden könne, reiche nicht aus. Denn Betroffene müssten sich nicht als "geschlechtslos" begreifen.
"Für intergeschlechtliche Menschen ist das eine historische Entscheidung - und die Anerkennung ihres jahrzehntelangen Kampfes für Selbstbestimmung", sagte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders. Sie forderte eine umfassende Reform des Personenstandsrechts. Der Lesben- und Schwulenverband in Berlin rief den Gesetzgeber auf, jetzt zügig zu handeln. Auch kirchlicherseits gab es positive Reaktionen: Die Evangelische Kirche von Hessen und Nassau sprach via Kurznachrichtendienst Twitter von einem "Meilenstein auf dem Weg zur Akzeptanz".
Das Deutsche Institut für Menschenrechte erklärte, mit dem Urteil sei klar, dass jeder Mensch ein Recht darauf habe, sein Geschlecht selbst bestimmen zu können. Doch dürfe es jetzt nicht nur isoliert um eine Änderung des Personenstandsrechts gehen. Vielmehr müsse der Gesetzgeber "mit einem umfassenden Geschlechtervielfaltsgesetz den rechtlichen Schutz und die Anerkennung der Vielfalt von körperlichen Geschlechtsentwicklungen, Geschlechtsidentitäten und des Geschlechtsausdruck verbessern".
Karlsruhe hat eine Frist bis 31. Dezember 2018 gesetzt. Bis dahin muss der Gesetzgeber eine Neuregelung schaffen. Danach könne generell auf den Geschlechtseintrag verzichtet oder es könne ein weiteres Geschlecht als Eintragungsmerkmal hinzugefügt werden. Bis dahin dürfen Gerichte und Verwaltungsbehörden die verfassungswidrigen Bestimmungen nicht mehr anwenden.