Die Hamburger Universität ist mit ihrem Verhaltenskodex zur Religionsausübung nach eigenen Angaben die erste Hochschule, die einen solchen Katalog herausgegeben hat. Viele Monate lang arbeitete eine Kommission aus zehn Wissenschaftlern unter anderem aus Philosophie, Theologie, Psychologie und Verfassungsrecht an dem Papier.
Anlass für den Kodex seien verstärkt Fragen zur Religionsausübung auf dem Campus, sagte Universitätspräsident Dieter Lenzen. Und für das Miteinander wollte man eine "gute rationale, wissenschaftliche begründete Grundlage" schaffen, die im Einklang mit den Gesetzen der Bundesrepublik steht.
Uni erlaubt Religionsausübung
Nach dem Kodex können Studierende und Uni-Mitarbeiter grundsätzlich ihrem Glauben oder Nichtglauben und ihrer religiösen Praxis auf dem Hamburger Campus nachgehen. Das gebiete schon das Grundgesetz und die Verfassung, sagte Lenzen. Die Religionsausübung sei aber nur in einem für alle verbindlichen Rahmen möglich. Damit enthält der Katalog auch Verbote und Einschränkungen, um mögliche Konflikte zu unterbinden.
Um den Rahmen abzustecken, holt die Philosophin etwas aus. Man baue eigentlich auf eine Selbstverständlichkeit, sagt die Fachkommissionsleiterin, Philosophin Birgit Recki. Nämlich auf ein "respektvolles und von gegenseitiger Anerkennung geprägtes Miteinander". Recki verwies auch auf den Forschungsauftrag der Universität, die als säkulare Einrichtung der Forschung und Lehre verpflichtet sei, aber auch der Vielfalt in weltanschaulichen Fragen. Das Recht auf Religionsausübung einzelner könne nicht über die Freiheit der Lehre an der Universität stehen. "Weder wissenschaftliche Forschung, noch die Vermittlung ihrer Erträge im universitären Unterricht dürfen in irgendeiner Weise inhaltlich, methodisch oder personell religiösen Ansprüchen unterworfen werden", sagt die Philosophin. Damit ist klar, dass der reibungslose Betrieb der Universität Vorrang habe.
Der Verhaltenskodex will jede Form der Diskriminierung unterbinden. Als Beispiele aus der Praxis nannte der Universitätspräsident einen Vorhang zur Geschlechtertrennung im Raum der Stille. Dieser Vorhang sei entfernt worden, weil es nicht akzeptabel sei, dass die Frauen den Vorhang nutzten, um sich vor dem Gebet etwas überzuziehen oder sich generell vor den Blicken der Männer abzuschirmen.
Der Verhaltenskodex mündet in einen ergänzenden 10-Punkte-Plan, der Beispiele zur Ausführung listet. Gebete und religiöse Feste sind damit auf dem Campus auf den Raum der Stille beschränkt. Ein rund 30 Quadratmeter großer kahler Raum, der vor elf Jahren eingerichtet wurde. Weiter seien auch rituelle Handlungen nur zulässig, solange sie niemanden störten. Fußwaschungen in sanitären Anlagen seien hingegen nicht erlaubt.
Vollverschleierung ist erlaubt
Eines mag überraschen: Der Kodex erlaubt das Tragen religiöser Symbole. Möglich sind Kreuz, Davidstern oder Kopfbedeckungen bis hin zum Ganzkörperschleier. "Solange der Universitätsbetrieb nicht behindert wird, ist das zu tolerieren", sagte Lenzen. Was nicht möglich sei, wäre "den Lehrveranstaltungsplan nach religiösen Geboten zu planen", etwa nach dem Zeitpunkt für Gebete. Denn die Gebete könnten nach islamischer Glaubensüberzeugung zu einem anderen Zeitpunkt nachgeholt werden, habe der Expertenrat ergeben.
Auch was die religiösen Feiertage angeht, richtet man sich an der Hamburger Universität nach den gesetzlichen Vorgaben. Wer darauf besteht, an anderen religiösen Feiertagen einer Prüfung oder dem Unterricht fernzubleiben, muss die Konsequenzen selbst tragen.
Religiösen Druck unterbinden
Besonders kritisch werden alle Formen religiös ausgeübten Drucks auf Mitglieder der Universität gesehen – das wird als "Nötigung" verstanden. Als Beispiel nannte Lenzen einen salafistischen Prediger, der in den Fluren der orientalischen und islamwissenschaftlichen Institute Freitagsgebete abgehalten hätte. Er habe dabei Druck auf die Frauen ausgeübt, sie müssten ein Kopftuch tragen. Auch aus den Seminaren kamen Berichte, dass männliche Kommilitonen die weiblichen Studierenden durch "gelegentlich aggressive Schulmeisterei" belehrten, sagte Recki. Die Studenten hätten die Frauen in die Schranken gewiesen, "dass mit ihrem Islam irgendetwas nicht in Ordnung sei, denn sie trügen kein Kopftuch", hieß es. Solches Vorgehen werde nicht geduldet.
Der 10-Punkte-Plan hält zudem fest: Studierende und Universitätsangehörige haben kein Recht darauf, Zeugnisse oder andere Schriftstücke wahlweise aus der Hand einer Frau oder eines Mannes entgegen zu nehmen. Auf religiöse Speisevorschriften ging der Plan nur bedingt ein. Denn nicht die Universität ist Ansprechpartner für koscheres oder halal zubereitetes Essen, sondern die privaten Betreiber der Mensen. Recki ermunterte aber die Studierenden dazu, hier Wünsche zu formulieren und sich einzubringen. Die Cafeterien hätten gezeigt, dass man da flexibel sei.
Kritik von Hochschulgemeinden
Zwar begrüßten die Vertreter der evangelischen, katholischen und islamischen Hochschulgemeinden grundsätzlich, dass Religionsausübung auf dem Campus gestattet sei und dass hier Regeln gefunden worden seien. Aber im Detail gibt es viel Kritik.
Die Hochschulpastorin der ESG, Gisela Groß-Ikkache kritisiert, dass die Betroffenen, nämlich die Hochschulgemeinden in keiner Weise einbezogen wurden. Sie sei als Theologin und Wissenschaftlerin durchaus kundig, was die Praxis der evangelischen Christen angehe. Dann hätte man vermeintliche Missstände aufklären können, denn Ärgernisse seien ja der Anlass zur Formulierung des Kodex gewesen.
Zum Beispiel der immer wieder zitierte laute Jesusrufer, der benachbarte Veranstaltungen angeblich gestört hätte. "Normalerweise sagt man jemandem Bescheid, dass er stört. Dann hätte die Sache beigelegt werden können", erklärt die Hochschulpastorin. Und dass nun alle religiösen Feste und Riten ausschließlich im kleinen Raum der Stille stattfinden sollten, sei eine große Belastung. Dafür "ist der Raum nicht ausgelegt". Außerdem stellt sich die Frage, ob auch Weihnachtsfeiern künftig passé sind. Dürften diese Feiern nun nicht mehr in den Instituten abgehalten werden?
Der Vorsitzende der Islamischen Hochschulgemeinde, Bilal Gülbas bedauerte, dass das islamische Fastenbrechen, das Iftar-Fest im Ramadan-Monat nun nicht mehr öffentlich auf dem Campus stattfinden dürfe, sondern nur noch im Raum der Stille oder in der Mensa. Ebenso würde Gülbas auch die Weihnachtsfeiern vermissen, wenn die nicht mehr in anderen Universitätsräumen stattfinden würden. Ärgerlich findet er, dass die Diskussion über den Islam sich immer auf die Vollverschleierung konzentriere. Denn es gäbe an der Hamburger Universität bislang keine einzige vollverschleierte Studentin.
Der Raum der Stille wird bald kein stiller Raum mehr sein. Mit diesen Anweisungen, alle religiösen Feiern und Rituale sowie Betende und Meditierende zu beherbergen, "wird dort immer was los sein", befürchtet der Vertreter der KHG, Hochschulpater Thomas Ferencik. "Wer dann Stille sucht, wird sie dort nicht finden", gibt er zu bedenken. Grundsätzlich vermisse auch er, dass die Uni die Hochschulgemeinden bislang nicht als Gesprächspartner einbezogen habe. Wer die Verantwortung und die Aufsicht für den Raum der Stille künftig habe, sei auch noch nicht geklärt.