Das Schicksal von Flüchtlingen im Mittelmeer hat am Freitag den evangelischen Kirchentag in Berlin beherrscht. Am Berliner Hauptbahnhof hielten Hunderte von Kirchentagsbesuchern eine Schweigeminute ab.
Foto: epd-bild/Ralf Maro
Das Schicksal von Flüchtlingen im Mittelmeer hat am Freitag den evangelischen Kirchentag in Berlin beherrscht. Am Berliner Hauptbahnhof hielten Hunderte von Kirchentagsbesuchern eine Schweigeminute ab.
Miteinander reden statt übereinander: Der Kirchentag und Geflüchtete
Egal ob gestandener Ostpreuße, iranischer Sänger oder Mutter aus Somalia: Beim Kirchentag sprechen verschiedene Menschen über ihre Fluchtgeschichten. Das Ziel ist, miteinander zu reden und einander zuzuhören.
27.05.2017
epd
Nora Frerichmann

"Home, home, home", singen Hunderte Menschen vor dem Hauptbahnhof in Berlin leise. Heimat, zu Hause, das bedeutet für jeden hier etwas anderes. Wenn Farzam Feiz singt, denkt er an seine Heimat im Iran, aber auch an sein neues Zuhause in Kassel. Der 35-Jährige ist vor rund einem Jahr über die Türkei und die Balkanroute nach Deutschland gekommen. Jetzt steht er mit Hunderten anderen Besuchern auf dem evangelischen Kirchentag in Berlin bei einer Schweigeminute für die Menschen, die auf der Flucht über das Mittelmeer ihr Leben verloren haben.

Der Sänger ist dankbar, dass ihm dieses Schicksal erspart geblieben ist. In der iranischen Hauptstadt Teheran, seiner Heimat, konnte er nicht bleiben. Er schrieb Protestsongs, engagierte sich politisch, landete im Gefängnis, wurde gefoltert. "Im Iran konnte ich nicht arbeiten, nicht leben", sagt Feiz. Viele Menschen teilen sein Schicksal. Mindestens 65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Mehr als 10.000 sind in den vergangenen drei Jahren auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer ertrunken.

Dagegen protestiert auf dem Kirchentag ein Bündnis aus verschiedenen Organisationen, darunter die Berliner Stadtmission, die Seenotrettungsorganisation Sea Watch, ProAsyl und die Diakonie. Schirmherrin Gesine Schwan (SPD) kritisierte die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung mit deutlichen Worten. Den Tod Tausender Menschen auf dem Mittelmeer in Kauf zu nehmen, sei unverantwortlich. "Was Politik macht, ist die Abschottung Europas", sagte Schwan: "Sie kann nicht gelingen!"

Egal ob Ostpreußen oder Irak: Geflüchtete gibt's von überall

Auch an vielen anderen Orten auf dem Kirchentag ist die die Flucht ein präsentes Thema. Auf dem Messegelände regt eine Ausstellung zum Nachdenken an. Berndt Biewendt vom Evangelischen Dekanat Bergstraße im hessischen Heppenheim zeigt im City Cube Schicksale geflüchteter Menschen aus seiner Gemeinde. "Flucht ist ja kein neues Phänomen, es ist im Grunde so alt wie die Menschheit", sagt der Journalist.

Deshalb hat er Menschen mit den verschiedensten Fluchtgründen porträtiert. Die Somalierin Hawa, die vor Vergewaltigung und Todesdrohungen nach Deutschland flüchtete. Zina, Maher und Meryana, die als Christen wegen ihres Glaubens aus dem Irak flohen. Dazwischen der 76-jährige Reinhard, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg aus Königsberg nach Westdeutschland durchschlug. Erfahrungen der Angst und der Ablehnung verbinden den gestandenen Ostpreußen mit der somalischen Mutter genauso wie das Heimweh und die Freude, eine neue, sichere Heimat gefunden zu haben.

Bei dem Planspiel "Wir schaffen das - aber wie?" von Planpolitik schlüpfen die Kirchentagsbesucher währenddessen selbst in die Rollen geflüchteter Menschen. Als Mitglieder eines Migrationsvereins, eines Heimatvereins, der Freiwilligen Feuerwehr oder als Elternvertreter einer Schule diskutieren sie, wie Integration in der fiktiven Kleinstadt Heesenbeeck gelingen könnte.

Dabei fällt auf, was auch auf gesellschaftlicher Ebene zum Thema Flucht häufig kritisiert wird: Es wird meist über geflüchtete Menschen geredet statt mit ihnen. Sogar im Rollenspiel zeigt sich das. So sitzen Christel und Martin, die den Part des Migrationsvereins übernommen haben, die ganze Zeit mit am Tisch, werden aber kaum mit in die Diskussion einbezogen. "Das Gefühl übergangen zu werden, obwohl man aus seiner Situation heraus doch am meisten beitragen könnte, ist unangenehm", sagt die 67-jährige.

Der Kirchentag versucht, das zu ändern. Schließlich steht der Dialog thematisch im Mittelpunkt. "Wir werden miteinander reden, einander zuhören", sagte Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au schon bei der Vorstellung des Programms im März. Ein Schwerpunkt liegt deshalb auch auf den Austausch persönlicher Geschichten, das Kennenlernen einzelner Menschen, etwa beim Erfahrungsaustausch "Meine Migration", Gottesdiensten mit Flüchtlingen oder Einladungen zum gemeinsamen Essen wie beim Mittagstisch der Migrationskirchen.

Auch der Abschluss des Kirchentags wird noch einmal ganz im Zeichen der Flucht stehen. Die Kollekte des Festgottesdienstes in Wittenberg kommt zwei Hilfsorganisationen zugute, die im Mittelmeer Flüchtlinge aus Seenot retten. Das Geld geht an SOS Méditerranée und Mediterranean Hope.

Feiz reist von Berlin allerdings nicht zum Festgottesdienst weiter, sondern zu einer Station des Kirchentags auf dem Weg in Leipzig. Dort tritt der Iraner bei einem interkulturellen Straßenfest auf. Er ist froh, dass er seine Lieder hier singen kann - ohne Angst.