"Als immer mehr Flüchtlinge kamen war da so eine Aufbruchsstimmung. Die Welt kommt zu uns, da passiert etwas in der Welt. Viele wollten dann helfen, wollten mitmachen", beschreibt Dekan Wolfgang Rüter-Ebel die Stimmung als immer mehr Flüchtlingen in Villingen ankamen. "Das begann so etwa im Spätsommer 2014, als die Nachricht kam, dass in der alten Kaserne Flüchtlinge einquartiert werden sollen. Die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Villingen hat daraufhin für Herbst ein Treffen organisiert", skizziert Rüter-Ebel die Anfänge des "Engagement Erbsenlachen".
Der Name leitet sich vom Straßennamen ab, in der die Blocks stehen. "Der Saal, in dem die Versammlung stattfand, platzte aus allen Nähten, so voll war es", berichtet er stolz. Sein Talent für die Organisation brachte Rüter-Ebel aus seiner Zeit in der Friedensbewegung mit, so war eine basisdemokratische Organisation und Strukturierung der Hilfe ein naheliegendes Konzept. Zunächst gebe es da die große Gruppe an freiwilligen Helfern und Ehrenamtlichen. "Diese teilen sich dann in kleinere Gruppen auf, je nachdem, wo sie helfen wollen.
Die Gruppen wählen einen Sprecher, der sich mit den anderen Gruppensprechern abspricht", erklärt Rüter-Ebel die Ebenen des Systems. Übergeordnet stünde dann der Koordinationskreis, der Informationen sammelt und Abläufe organisiert, so der Dekan. "Und eben diese Gruppen organisieren Sprachkurse, Kulturkurse, gehen mit den Flüchtlingen auf die Ämter, viele Vereine integrieren die Flüchtlinge in ihr Sportangebot", überblickt Rüter-Ebel das vielfältige Angebot. Auch seien zu diesem Zeitpunkt das Café International und das "Tea & Talk" entstanden, das die Möglichkeit bietet, mit Flüchtlingen in Kontakt zu kommen und sich zu engagieren.
"Im Sommer 2015, als sich die Zahl der Flüchtlinge immer weiter erhöhte, wurden auch mehr Unterkünfte eingerichtet, circa vier bis fünf. Da haben wir uns in "Netzwerk Asyl Villingen" umbenannt, und darauf geachtet, dass sich die Unterstützung und die Hilfe nicht zu sehr zerstreut", so Rüter-Ebel. Im selben Sommer wurden auch Stellen eingerichtet, von der Stadt wurde eine Koordinator-Stelle geschaffen. "In der selben Zeit wurde auch die Homepage erstellt, eine Spende", weist der Dekan auf die damalige Neuerung hin. "Die Homepage ist das wichtigste Instrument zur Organisation. Der äußerst nützliche Kalender, der immer mit aktuellen Veranstaltungen gefüllt wird, die aktuellsten Informationen für Helfer und auch die Flüchtlinge, für Paten und Interessierte, sind dort zu finden", beschreibt er.
Die Gruppe der Helfer sei bunt gemischt, so Rüter-Ebel. Es fänden sich Rentner, Jugendliche, Menschen aus der Gemeinde, aus den Schulen, aus der Wirtschaft darin. Alle Konfessionen seien unter den Helfern vertreten. "Einige sind auch schon in den 1990er Jahren dabei gewesen, als der Eiserne Vorhang fiel und aus Osteuropa Menschen bei uns ankamen", beschreibt er. Die meisten der Helfer kämen aus der Gemeinde und lebten hier ihre christliche Nächstenliebe: "Für viele war es gar keine Frage, sie wollten helfen. Sei es aus altruistischer Nächstenliebe oder von der Bergpredigt motiviert, nach dem ökumenischen Gedanken hat die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen alle eingeladen, zu helfen".
Die Initiative sei nicht von der evangelischen Kirche gekommen sondern von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen. "Davon gibt es zwei, eine in Villingen, eine in Schwenningen. Hier sind wir schon lange gut und kräftig unterwegs", erklärt Wolfgang Rüter-Ebel. Dabei sei es weniger um ein "Christen helfen Christen" gegangen, schon allein aus dem Grund, dass unter den Flüchtlingen kaum Christen seien. Es käme zwar ganz selten zu Konversionen, also Übertritten in die christliche Gemeinde, aber der missionarische Gedanke spiele eigentlich kaum eine Rolle, es gehe vielmehr ums Helfen so Rüter-Ebel.
Auch viele Sozialarbeiter hätten sich gemeldet und sich um die offenen Stellen beworben. "Und es dauerte nicht lang, da haben wir auch die Erfolge gesehen. Es gab eine hohe Sinnhaftigkeit, die die Leute motiviert hat, auch bei Problemen weiter am Ball zu bleiben", so Rüter-Ebel. Und als sich 2014 in Villingen eine Pegida-Gruppe gründete, organisierte das "Engagement Erbsenlachen" Gegendemonstrationen. Auch die Zusammenarbeit mit den Behörden sei vorbildlich, jeder ziehe am selben Strang, sagt der Dekan. Das Landratsamt habe sich sehr kooperativ gezeigt, "man hat gemerkt, dass man sich gegenseitig braucht, die offizielle Seite und das Ehrenamt", sagt Rüter-Ebel. Probleme seien transparent gemacht worden, man sei sehr vertrauensvoll miteinander umgegangen. "Die Stadt und der Kreis sind ausgesprochen positiv gegenüber der Flüchtlingsarbeit eingestellt, auch die Industrie- und Handelskammer hat sich klar positioniert."
Engagierte werden als Helfer geschult
Im Ehrenamt helfe jeder da, wo er sich am besten einbringen könne. So zum Beispiel in der Fahrradwerkstatt, in der Flüchtlinge zusammen mit Ehrenamtlichen Fahrräder, die gespendet wurden, auf Vordermann bringen, reparieren und die dann wieder gegen ein kleines Entgelt an Asylbewerber weitergegeben werden. Damit werden dann wieder Werkzeuge und dergleichen finanziert. "Die Flüchtlinge übernehmen Verantwortung", erklärt Rüter-Ebel einen zusätzlichen Nutzen der Fahrradwerkstatt. Auch das Sportangebot habe einen zusätzlichen Nutzen neben der sportlichen Betätigung. "Langeweile ist niemals gut, außerdem fördert der Sport auch Teamarbeit und das Kennenlernen", führt er aus.
In ihrem Ehrenamt werden die Helfer aber nicht alleine gelassen. "Es wird gecoacht, die Gruppen tauschen sich untereinander aus. Es gibt Veranstaltungen für die Helfer, das Angebot reicht von sachlich-rechtlichen Belangen wie dem Ausländerrecht bis zu Informationsveranstaltungen über die Herkunftsländer der Flüchtlinge.
Finanziert werden die Aktionen aus Spenden. "Der Koordinator wird ja von der Stadt bezahlt, der Rest läuft über Spenden, oder die Helfer zahlen die benötigten Utensilien und dergleichen selbst. Es herrscht kaum ein Geldfluss, es geht immer wieder Geld auf dem Spendenkonto ein, aber gleichzeitig wird auch kaum Geld benötigt, das hält sich die Waage", umreißt der Dekan die finanzielle Situation des "Netzwerk Asyl".
Mit der Zeit werden andere Dinge wichtige
"Momentan befinden wir uns in einer Umbruchphase", beschreibt Wolfgang Rüter-Ebel den aktuellen Status: "Es findet ein Paradigmenwechsel statt. War es am Anfang noch eine Willkommenskultur und akute Nothilfe, sind jetzt andere Dinge wichtig geworden. Es ist nun ein langer Atem nötig, man muss nachhaltig in Kontakt bleiben, Wohnungs- und Arbeitssuche haben jetzt oberste Priorität. Hier muss noch einiges getan werden".
Es fehle vor allem an günstigem Wohnraum, der soziale Wohnungsbau sei in Villingen etwas vernachlässigt worden, so Rüter-Ebel. Die Flüchtlingssituation habe diese Diskussion nochmals angeschoben, das Problem sei aber schon davor existent gewesen. Die Industrie- und Handelskammer habe sich klar positioniert: Mit Hinblick auf den demografischen Wandel wolle sie die Flüchtlinge so schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt integrieren, die Flüchtlingsarbeit bereite die Asylsuchenden ein Stück weit darauf vor. Und so sind die freiwilligen Helfer, die Ehrenamtlichen und Hauptamtlich immer noch kräftig dabei um auch nach dem herzlichen Willkommen auch weiterhin Flüchtlingen zu helfen. Auch, wenn sich teilweise die Probleme und Betätigungsfelder etwas verschoben haben.