Pfingstsonntag 2016 im Gottesdienst der Ichthys-Gemeinde in Frankfurt-Nied. Lobpreis der Gemeinde und Spiel der Band.
Foto: Lilith Becker
Pfingstsonntag 2016 im Gottesdienst der Ichthys-Gemeinde in Frankfurt-Nied. Lobpreis der Gemeinde und Spiel der Band.
"Heiliger Geist, wir heißen dich willkommen!"
Die Ichthys Gemeinde in Frankfurt-Nied gehört zu Foursquare Deutschland. Einem freikirchlichen Verband, der seine Ausrichtung als pfingstlich-charismatisch bezeichnet. Eine Reportage aus dem Gottesdienst in unserer Serie "Was glaubt ihr? evangelisch.de besucht Freikirchen".

Vier Bands und neun Prediger hat die Ichthys Gemeinde in Frankfurt-Nied. Am Pfingstsonntag predigt der leitende Pastor Heinrich Gerster. Seine Frau Nicole tritt nach dem ersten Lied der Band auf die Bühne und begrüßt als Gottesdienstleiterin dieses Tages die Gemeinde: "Heiliger Geist, wir heißen dich willkommen an diesem Morgen. Erfülle diesen Raum", sagt sie mit warmer Stimme.

Enni kommt hinzu, eine junge Frau, die über den gemeinsamen "B.A.S.E."-Gottesdienst berichtet, den die Jugend der Ichthys-Gemeinde mit 400 anderen Jugendlichen in Frankfurt gefeiert hat. Von der linken Seite des Raumes kommen zustimmende Laute, "Yeah!" - dort hat sich die Jugend zusammengesetzt. Kinder- und Jugendliche zwischen null und zwölf Jahren haben neben dem Hauptgottesdienst ihr eigenes Programm, "ungefähr 60 Kinder", sagt Heinrich Gerster, kämen an den Sonntagen. Den Gottesdienst der Erwachsenen besuchen an diesem Sonntag cirka 230 Menschen jeden Alters - eine typische Gemeindegröße für Sonntage.

Freier Raum, um sich zu entfalten

Schon seit ungefähr 20 Jahren hat der Verein der Ichthys Gemeinde die Räume des alten Sägewerks im Stadtteil Frankfurt-Nied angemietet. Auf 1.500 Quadratmetern finden die fünf Gruppen der Kinder Platz, gibt es einen Bistrobereich, den großzügigen Gemeindesaal sowie Büros. Eine persische Foursquare-Gemeinde feiert zudem Sonntagnachmittags ihren Gottesdienst hier. Das Budget der Ichthys Gemeinde speist sich aus den Spenden der cirka 200 Mitglieder - nochmals um die 100 bis 200 Menschen kommen als erweiterter Freundekreis hinzu.

Heinrich Gerster hat eine halbe Stelle als leitender Pastor der Gemeinde. Zusätzlich arbeitet er als Architekt und Immobilienberater. Er und seine Frau haben sich dem Leben in der Gemeinde verschrieben. In der Nacht zuvor haben die beiden noch gemeinsam die Bibelstellen des heutigen Gottesdienstes auf einen USB-Stick kopiert. Zwei Männer bedienen das Mischpult an diesem Tag und blenden Liedtexte, ein Video und Bibelstellen ein. Ein Gesangbuch braucht keiner, die Hände sind frei zum Tanzen, Beten, Hochhalten - oder einfach, um sie in den Schoß zu legen.

Der Gottesdienst der Ichthys Gemeinde bietet freien Raum sich zu entfalten und sich dabei geborgen zu fühlen. "Diskretion ist uns wichtig", sagt Nicole Gerster. Zu Beginn des Gottesdienstes hat sie angekündigt, dass die Gruppengebete heute in der linken hinteren Ecke des Saals stattfinden, statt in der rechten Ecke. "Dort ist mehr Platz und so hört nicht jeder, der neben dran steht und nicht beteiligt ist, was Euch auf dem Herzen liegt."

"Wir durchleben zur Zeit einen Generationenwechsel", sagt Heinrich Gerster. Und zwar in dem Sinne, dass die Jugend mehr mit der älteren Generation gemeinsam mitbestimmen solle. Ausdruck findet dies im erweiterten Gemeinderat, der aus drei Ehepaaren, der Pastoralreferentin, dem Kinder- und Jugendreferenten sowie seit einiger Zeit aus drei jungen Erwachsenen besteht. Die Gemeinde sei in einer Experimentierphase, der Vorschlag, die Gebete intimer zu gestalten, war ein Wunsch der Jugendlichen. Auch Maltische soll es ab dem kommenden Gottesdienst geben, die im vorderen Bereich nahe der Bühne stehen sollen. So kann neben dem Tanzen, das eher spärlich genutzt wird, neben dem Schunkeln und Beten, das viele machen, demnächst auch noch gemalt werden.

Die Gemeindemitglieder sollen so ihre Sinne noch breiter auf die Begegnung mit dem heiligen Geist und mit Gott einstellen können. "Wir können Gott über alle fünf Sinne erfahren", sagt Heinrich Gerster in seiner Predigt. "Ihr könnt prophetisch malen, auch wenn ihr findet, dass ihr keine Begabung zum Malen habt", sagt er, um der Gemeinde das neue Format zu erklären. Der Gottesdienst besteht aus Lobpreis, aus vielen Gruppengebeten, aus Menschen, die sich umarmen, sich gegenseitig das Abendmahl reichen und Worte jenseits von starren Riten zueinander sprechen. "Sein Blut ist für dich vergossen, weil du sein Menschenkind bist, das er über alles liebt", sagt der Mann zu mir, mit dem ich das Abendmahl einnehme. An drei Stellen im Raum liegen Fladenbrote auf Tellern und kleine Becher in Fingerhutgröße, mit rotem Traubensaft gefüllt, stehen daneben bereit.

Einmal im Monat feiert die Gemeinde Abendmahl. Einmal im Quartal kommen auch alle Kinder aus den Gruppen zum Abendmahl dazu. Die Kinder sind einmal pro Monat auch in den ersten 20 bis 25 Minuten im Gottesdienst dabei und die Kinder- und Jugendgruppenleiter überlegen sich das Programm für dieses gemeinsame "Start-up", wie es heißt. Generationenübergeifend ist der Gottesdienst aber auch an anderen Sonntagen. Die Ichthys Gemeinde besteht aus Mitgliedern, die nicht am Ort ansässig sind; einige fahren bis zu 50 Kilometer.

Lobpreis in der Ichthys Gemeinde in Frankfurt-Nied am 15. Mai 2016, Pfingstsonntagsgottesdienst.

Getauft wird an diesem Tag zwar nicht, doch wenn getauft wird, dann sind es Jugendliche und Erwachsene, die sich selbst dazu entschließen. Kinder werden in der Gemeinde gesegnet. Nach biblischem Vorbild wird durch Untertauchen getauft. Heinrich Gersters Predigt zu Pfingsten handelt passend vom unsichtbaren Gott und vom heiligen Geist, der die "Menschen an Pfingsten - wie in der  Apostelgeschichte beschrieben - wie betrunken machte". "Wie kann ich von einem unsichtbaren Gott erzählen, wie an ihn glauben, wenn ihn noch niemand physisch gesehen hat, wenn nie jemand seine Stimme gehört hat?", fragt Heinrich Gerster die Gemeinde. 1. Johannes 4,12-13 ist eine seiner Antworten: "Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen."

Eingeblendet ist nun Matthäus 28,18-20. Glauben sei nicht nur mit dem Verstand zu begreifen, sondern vor allem mit dem Gefühl. "Traut Euch voranzugehen mit eurem Glauben", sagt Heinrich Gerster seiner Gemeinde. "Aus und in euch fließt der Heilige Geist, fließt lebensspendendes Wasser." Den Menschen anzubieten, für sie zu beten, sei besser als jeder Versuch jemanden argumentativ vom Glauben zu überzeugen. "Früher habe ich das auf Partys versucht", erzählt Gerster seiner Gemeinde. "Heute bin ich stiller. Ich höre zu und finde heraus, was mein Gegenüber bewegt - dann biete ich ein Gebet an", denn die persönliche Begegnung mit Gott könne doch viel mehr als Worte es jemals vermögen.

Auch die Ichthys Gemeinde hat dem Missions-Auftrag der Foursquare-Bewegung entsprochen und in den 30 Jahren ihres Bestehens weitere Gemeinden gegründet. Beispielsweise die enChristo-Gemeinde in Mainz und den Treffpunkt Leben Gemeinde für Frankfurt. Im Moment stehe aber die Erneuerung innerhalb der eigenen Gemeinde an, sagen Heinrich und Nicole Gerster. Unterstützt wird der Verein der Gemeinde dabei auch von ihrem Verband Foursquare Deutschland. Doch die Eigenständigkeit und eigene Gestaltungshoheit sei für die Ortsgemeinden mit das Wichtigste, um auf die Bedürfnisse der Menschen innerhalb der Gemeinde eingehen zu können.

"Wie kann ich meinen Glauben in den Alltag mitnehmen?"

Auch diakonisch betätigt sich Ichthys: mit einem Secondhand-Laden, wo Kleider für bis zu fünf Euro verkauft werden, mit integriertem Café sowie einer "Suppenküche" jeweils donnerstags, wo Bedürftige ein warmes Mittagessen bekommen können.

Sechs volle Stellen, auf mehrere Köpfe verteilt, kann sich die Gemeinde von ihrem monatlichen Budget leisten. Wer wieviel spendet, wisse nur der Buchhalter, sagen Heinrich und Nicole Gerster. Der Gemeinde-Gottesdienst ist so groß und anonym, dass jeder kommen kann, ohne sich beobachtet zu fühlen. Gleichzeitig ist er so intim, dass Bedürfnisse nach körperlichem Erleben des heiligen Geistes einen geschützten Rahmen haben. Die gesamte Zeit des Gottesdienstes stehen oder sitzen die Menschen, manche gehen mit ihren Kindern raus oder kommen wieder hinein - doch störend ist es nicht. Sowohl Predigt als auch Lobpreis sind über Boxen verstärkt.

"Es geht darum, dass du für dich persönlich das erleben kannst, was in der Bibel steht", sagt Nicole Gerster. Manche Gemeindemitglieder treffen sich neben den Gottesdiensten in Hauskreisen zur Bibelarbeit - oder auch manche, in Freundschaft verbunden, zum Mountainbiken oder in anderen Interessengruppen. Denn der Glaube solle ja nicht nur sonntags gelebt werden. "Wie kann ich meinen Glauben in den Alltag mitnehmen? Das zu versuchen, darum geht es uns."