Altar mit dekoriert in Regenbogen-Farben
epd-bild /Thomas Lohnes
Ein Interview mit Lol: christlich, gläubig, non-binär.
Gender – Ein Buch mit sieben Siegeln
Für diesen Blogbeitrag habe ich ein Interview mit Lol aus Mainz geführt. Lol ist christlich, gläubig und non-binär. Nicht für alle christlichen Kreise passt das gut zusammen.

Ich kenne Lol von gemeinsamen ökumenischen Regenbogengottesdiensten in Mainz. Daher duzen wir uns.

Kerstin: Kannst du dich kurz vorstellen und erzählen, was du beruflich machst?

Lol: Ich heiße Lol. Das ist der Name, den mir wichtige Menschen in meinem Leben gegeben haben und den ich benutze, weil der, der mir bei meiner Geburt gegeben wurde, kratzt und nicht richtig passt, wie der selbstgestrickte Wollpullover einer wohlmeinenden Großmutter, den man mit Danken hinten im Schrank verschwinden lässt. Ich bin Ende zwanzig, nicht-Binär, bisexuell und Gemeindereferent. In meiner Gemeinde heißt das, dass ich in denselben Aufgabenfeldern wie ein Pastor arbeite, aber (noch) nicht ordiniert bin. 

Kerstin: Was bedeutet für dich dein Glaube?

Lol: Mein Glaube bestimmt mein ganzes Leben, viel mehr, als die Menschen um mich herum wahrscheinlich mitbekommen. Ich bin in einem christlichen Kontext, aber nicht im christlichen Glauben aufgewachsen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich Gott: begegnet bin, war ich sogar der Überzeugung, dass Religion eher schadet als nutzt und abgeschafft werden sollte. Mit dem Moment, in dem ich wusste, dass Gott: real ist hat, sich für mich alles geändert. Vieles zum Guten, aber nicht nur. Meine Identität und meine Sexualität wurden plötzlich zu einem Problem, die sie vorher nie, oder zumindest nicht bewusst, gewesen waren. Im ersten Jahr meines Christseins lernte ich, dass ich geliebt und angenommen bin. Das ich einen Sinn habe. Dass ich geschaffen wurde, so wie ich bin. Paradoxerweise lernte ich gleichzeitig, dass Menschen wie ich falsch sind. Sünde. Damals nahm ich dieses Paradox und was es mit mir gemacht hat noch nicht so wahr. Heute frage ich mich, welche Schwierigkeiten mir erspart geblieben wären, wenn die Christen, mit denen ich damals zu tun hatte, anders über Menschen wie mich gesprochen hätten. Durch einen Gemeindewechsel und besonders den Kontakt zu dem dortigen Pastor wurde die sehr enge Theologie des ersten Jahres geöffnet und ich fand heraus, dass das mit Gott:, Bibel und Glauben nicht so einfach und so klar ist. Das Resultat dieser Erkenntnis war das Theologiestudium. Was ist dieser Glaube, in den ich da eigentlich eher zufällig hineingestolpert bin? Was ist diese unglaublich diverse Gruppe an Menschen, die sich alle Christen nennen? Wer ist dieser Gott:, der so nahbar ist und doch so viel mehr als ich verstehe? Das sind die Fragen, die mich damals wie heute umtreiben. Über Umwege und Zwischenschritte bin ich jetzt im Gemeindedienst angelangt. Dort, wo ich eigentlich schon lange weiß, dass ich hingehöre, aber immer das Gefühl hatte, dass es noch nicht Zeit ist. Wäre ich früher dort angelangt, wenn ich nicht mit so viel Angst und Unverständnis konfrontiert wäre wegen dem, was ich bin? Vielleicht. Vielleicht musste ich mich erst selbst festigen. Meinen Glauben, meine Überzeugungen, meine Beziehung zu Gott:. Denn das ist, was mein Leben bestimmt, mein Glaube an Gott:. Der Grund warum ich denke, wie ich denke, warum ich stehe, wo ich stehe und warum ich bin, wie ich bin.

Blog Kerstin Söderblom kennt Lol aus Regenbogengottesdiensten in Mainz.
 

Kerstin: Was bedeutet es für dich, nicht-binär zu sein?

Lol: Nicht-Binär zu sein bedeutet für mich eigentlich einfach nur, dass ich weder eine Frau noch ein Mann bin. Allerdings hat es weitreichende Auswirkungen, nicht nur in der Art, wie ich bin und wahrgenommen werden will, sondern auch in der Art, wie ich die Welt wahrnehme. Außerhalb von etwas, das wahrscheinlich die Sozialisation von Menschen beeinflusst, hat Geschlecht keinerlei Bedeutung für mich. Ich weiß, dass es existiert und für viele eine große Rolle spielt, aber ich kann das nur intellektuell nachvollziehen. Pronomen sind für mich weniger ein Problem als das bei Anderen der Fall ist, daher benutze ich sie ziemlich wechselhaft. Aber wenn mir ein spezifisches Geschlecht explizit zugeschrieben wird, dann fühle ich mich wieder wie in dem kratzigen Wollpullover. Ich fühle mich dann ungesehen und einsam. Es braucht Kraft, mich jedes Mal daran zu erinnern, dass ich gemeint bin, wenn mich jemand als Frau anspricht. Es ist jedes Mal ein Gefühl des Unwohlseins, als wäre etwas verrutscht. Wie wenn jemand meinen Namen falsch ausspricht, nur dass ich Angst haben muss angegriffen zu werden, wenn ich die Aussprache korrigiere. Es ist wie, wenn ich Sand im Mund hätte, der immer knirscht beim Sprechen oder Kauen. Ich bin damit aufgewachsen und habe mich daran gewöhnt, habe es überhaupt nicht in Frage gestellt, bis dann mal jemand gesagt hat: Spuck doch den Sand aus. Und seit ich weiß, dass man gar nicht immer mit Sand im Mund leben muss, ist es umso anstrengender, wenn jemand (meistens unabsichtlich) versucht mir wieder welchen einzuflößen. 

Kerstin: Welche Erfahrungen hast du als queere Person in christlichen Kontexten gemacht?

Lol: Die Erfahrung, die ich am häufigsten mache, ist, dass Menschen einfach nicht oder falsch informiert sind, was Queerness angeht. Für Viele ist Queerness = Homosexualität. Andere Sexualitäten oder das ganze Feld von transgeschlechtlichen Identitäten sind einfach nicht im Bewusstsein. Es gibt Diskriminierung und Queerfeindlichkeit im christlichen Kontext, das ist gar keine Frage. Das bedeutet für mich immer Angst, und Anspannung, wenn ich auf Christen treffe, die ich nicht einschätzen kann. Trotzdem werde ich oft positiv überrascht von Menschen, die zuhören und von Menschen, die von selber Fragen stellen oder sich an die Art, wie ich über mich spreche, anpassen. Mein Eindruck ist, dass die meisten Christen wenige Probleme haben meine (nicht-)geschlechtliche Identität zu akzeptieren. Diejenige Gruppe, die am wenigsten Probleme hatte mich mit meinem neuen Namen anzusprechen oder einfach das „-in“ an Worten wegzulassen, war im Großen und Ganzen meine Gemeinde. Weniger als irgendwo anders musste ich mich hier rechtfertigen. Größere Probleme und Diskussionen gibt es, wenn es um Sexualität geht, aber auch hier erlebe ich immer positive Überraschungen, sei es in Annahme, aber auch damit, dass Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, eine konservativere Einstellung zu dem Thema haben, trotzdem respektvoll mit mir umgehen und das Thema nicht unsere gesamte Interaktion bestimmt. 

Kerstin: Was wünscht du dir für die Zukunft von Kirche und Gesellschaft?

Lol: Ich möchte keine Meinungen ändern. Das ist immer das erste, was ich Menschen sage, die mit queer-kritischen Meinungen auf mich zukommen. Diese Meinungen kommen nicht von irgendwo her, sondern häufig aus der Sozialisation der Menschen. Oft aus Unwissenheit, manchmal aus Angst oder Unverständnis. Die wenigsten Christen, mit denen ich bisher Kontakt hatte, haben ihre Meinungen, weil sie queeren Menschen das Leben schwer machen wollen. Oft stecken andere Dinge dahinter. Oft haben sie noch nie offen mit einer betroffenen Person über das Thema sprechen können. Oft kennen sie nur einzelne Schockbilder und wissen gar nicht, wie unser Erleben ist und dass wir auch nur Menschen sind, wie alle anderen auch. 

Ich möchte einen respektvollen Dialog eröffnen. Ich möchte Verständnis schaffen, indem ich von meinen Erfahrungen erzähle. Darum bin ich froh um jeden, der sich traut, Fragen zu stellen, der zuhört und respektvoll mit mir umgeht. Ich bin so schon immer gewesen, erkläre ich den Menschen, die mich fragen. Ich habe versucht, mich anzupassen, aber es hat nicht funktioniert. In einer Welt, die von Vierecken und Kreisen ausgeht, bin ich Herzförmig geschaffen. Ich erzähle dann von meiner Angst, von meiner Einsamkeit, von dem Gefühl, immer falsch zu sein. Ich erzähle von der Annahme, die ich bei Gott: gefunden habe. Ich möchte sicher sein, erkläre ich ihnen. Ich möchte ein Leben leben, in dem ich authentisch ich sein kann, so wie du auch. Ich möchte Gemeinden, in die Menschen wie ich kommen können, ohne Angst haben zu müssen.

Lols Statement:

Beim ökumenischen Regenbogengottesdienst zum CSD-Wochenende in Mainz am 26. Juli 2024 im Alten Postlager hat Lol ein persönliches Statement geteilt:

Ich bin non-binär, und weil sich manche vielleicht nicht vorstellen können, wie und was genau das ist, nehme ich euch jetzt mal ein bisschen in meine Gedanken und meinen Alltag mit hinein.

„Gender ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln“, sagte ich neulich zu einem Mitglied meiner Gemeinde und outete mich damit. Nicht zum ersten und sicherlich nicht zum letzten Mal.

Manchmal hab ich das Gefühl mein ganzes Leben ist ein einziges Outing. Ich bin Lol (und wie heißt du wirklich? Ähhhh… Lol…). Ich bin Gemeindereferent (Du meinst Gemeindereferentin? Nein, Nein, ich weiß schon, was ich gesagt habe.) Ich bin freikirchlicher Christ. (Was?! Du?! Ja, ich.)

Ach so… Wusste ich gar nicht, dass es solche wie dich gibt… Ja, ich auch nicht. Danke dafür. Gott…

Aber eigentlich, im Ernst, danke dafür, Gott. Danke, dass ich bin, wer ich bin, auch wenn es nicht immer einfach ist. 

Man ist keine Frau, nur weil man kein Mann ist.“, sagte meine Mitbewohnerin eines Tages zu mir und da fiel der Groschen, den ich bisher nur vermutet hatte. Der bisher nur ein vages, unangenehmes Gefühl war. Und ja, natürlich ist Frau nicht definiert dadurch, dass sie kein er ist. Und Mann ist nicht definiert dadurch, dass er keine sie ist. Aber was dann? Woran hängts? Wie definiert man Gender? 

Und was um aller Welt bin ich in alldem?

Nach Pronomen fragen, gendern, Frauenquote. Wichtig ja, bin ich dafür, sicher, intellektuell gesehen, gesamtgesellschaftlich und so.

Aber für mich? Ein Alptraum. Er, sie, es, xier? Sternchen, ...in und Unterstrich. 
„Frauengruppe, nur für Frauen, komm du doch auch vorbei, das is‘n safe space.“ 
Du musst ja hier auch keinen Aufstand machen. Bloß keine Wellen schlagen. Bloß niemandem zu Last fallen mit deiner Eigentümlichkeit, sagt meine innere Stimme zu mir. Wo sie das nur gelernt hat? 

Ist doch egal, als was sie dich lesen. Du weißt ja, dass das nicht du bist. Ist doch nicht schlimm, ist doch egal. Ist doch nur ein Lable. „Komm’se her, junge Frau!“ Ungesehen, unverstanden. Nadelstich um Nadelstich, aber bloß beschwer dich nicht. Ist ja nicht so schlimm. Ist ja nicht so gemeint. Woher sollen sie’s denn wissen? Ist ja dein Problem, nicht ihr’s.

Frauenarzt, Frauengruppe. Frauenmannschaft, Frauenkleider, Girl´s Night und „du als Frau müsstest doch eigentlich…“Ist ja schön, dass hier auch mal ne Frau dabei ist!“

HIER IST KEINE FRAU! Noch ein Outing. Mein ganzes Leben ist ein Outing.

Kein Frau. Keine Mann. Nichts? Beides? Alles? Irgendwo und nirgendwo. Definier dich! Kategorisier dich! Rock oder Hose? „Ich weiß ja gar nicht, wo ich dich einsortieren kann. Das ist mir irgendwie unangenehm.“ Nie genug und immer zu viel und … Gott!

Galater 3:28 
Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau, denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.

Aufatmen. 
Geschaffen, Geliebt, Angenommen. Christ. Gotteskind. Mensch. Darauf kommt es an. 

Gender bleibt mein Buch mit sieben Siegeln.
Kommentare bleiben Kommentare. 
Noch ein Outing bleibt noch ein Outing.
Ich bleibe ich.
Gott bleibt Gott.
Ich bin Mensch.
Danke dafür, Gott.