Die evangelische Theologin Margot Käßmann hat nach einem Besuch in der japanischen Region Fukushima die Folgeschäden als bedrückend bezeichnet. "Die nukleare Verseuchung ist nicht zu sehen, nicht zu riechen, nur der Geigerzähler schlägt kontinuierlich an", sagte Käßmann in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Als Reformationsbotschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hatte Käßmann in der vergangenen Woche bei einem Japan-Besuch auch den Großraum Fukushima bereist.
Am 11. März 2011 hatte ein Tsunami an der Ostküste Japans zu einer Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi geführt. Dabei wurden große Mengen radioaktiver Stoffe freigesetzt, die Luft, Wasser, Böden und Nahrungsmittel verseuchten. Rund 150.000 Einwohner mussten das Gebiet vorübergehend oder dauerhaft verlassen. Die langfristigen Auswirkungen der Katastrophe sind noch nicht abzuschätzen.
In der 350.000 Einwohner zählenden Stadt Iwaki, 45 Kilometer vom havarierten AKW entfernt, habe sie die Angst der Mütter um ihre Kinder erlebt, berichtete die ehemalige hannoversche Landesbischöfin. Nach der Reaktorkatastrophe hätten die Kinder ein Jahr lang nicht draußen spielen dürfen. Das habe sie verändert. "Sie sind ängstlich, die Motorik ist nicht voll ausgebildet, die Stimmen leise." Da der Großraum Fukushima nicht als verseuchte Region anerkannt und behandelt werde, könnten es sich viele Familien nicht leisten, von dort wegzugehen.
Die Frauen hätten deshalb damit begonnen, selbst die Strahlung in Luft und Boden zu messen. Die Regierung habe zum Beispiel einen Strand zum Schwimmen wiedereröffnet, jedoch den Kindern nicht das Buddeln im Sand untersagt. Ab zehn Zentimeter Tiefe sei die Strahlung aber erheblich. "Die Messungen der zivilen Gruppen bringen zumindest Fakten", sagte Käßmann. Wind und Regen hätten die Strahlung längst über die unmittelbar betroffene Region weitergetragen. Aus dem Reaktor trete noch immer Kühlwasser in den Pazifik aus - erhöhte Radioaktivität werde bis zur mehr als 8.000 Kilometer entfernten kalifornischen Küste gemessen.
Das Sperrgebiet selbst, das Käßmann von außen per Auto besichtigte, sei mit Zäunen gesichert gewesen. Links davon befänden sich riesige Lagerungen von verstrahltem Schutt und verstrahlter Erde unter Plastikplanen. "Während wir durch herrliches Frühlingswetter fuhren, fing der Geigerzähler im Auto an, auf Hochtouren anzuschlagen", berichtete sie: "Wüsste man nichts von der Strahlung, würde man hier Urlaub machen wollen." Doch die Häuser standen leer, die Gärten blühten, Parkplätze wucherten zu, es hing noch Wäsche auf mancher Leine. "Es war absolut gespenstisch."
Helfen würde den Menschen vor Ort wohl nur eines, bilanzierte Käßmann: "Unbedingte Aufklärung und Transparenz, damit wieder Vertrauen wachsen kann. Die geschädigten Menschen brauchen Hilfe und Konzepte, ob es in einer nuklearversuchten Gegend überhaupt eine Zukunft für sie geben kann - und wenn ja wie."