Singkreis der Evangelisch-altreformierten Kirche Niedersachsen in Nordhorn.
Foto: Sonja Poppe
Singkreis der Evangelisch-altreformierten Kirche Niedersachsen in Nordhorn.
Ein Chor aus vielen Stimmen
Eine Kirche, die klingt: Auf das gepredigte und gesungene Wort Gottes kommt es in der Evangelisch-altreformierte Kirche in Niedersachsen an. Sie ist die kleinste unter den drei konfessionellen Freikirchen in Deutschland. Sonja Poppe war für die Serie "Was glaubt ihr? evangelisch.de besucht Freikirchen" in einem Gottesdienst in Nordhorn.

Zwei Kilometer bis Holland. Warmer Frühlingswind weht über die Grenze, hier ganz im Westen Deutschlands. Die Grafschaft Bentheim, plattes Land, Kernland des evangelischen Glaubens in reformierter Version. Wie ein Zelt wirkt die kleine altreformierte Kirche von Nordhorn. An der Spitze ragt ein Betonkreuz aus dem Dach in den blauen Himmel.

Glocken läuten nicht. Dafür tönt bereits Gesang aus der Kirche. Der Singkreis der altreformierten Gemeinde probt gut gelaunt vor dem Gottesdienst. Einige Gemeindeglieder hören aufmerksam zu, andere studieren die aktuellen Infoblätter, während sich die Kirche langsam füllt. Man begrüßt sich leise, jeder kennt jeden.

Evangelisch-altreformierte Kirche in Niedersachsen, Nordhorn.

Der Kirchenraum wirkt schlicht. Vor einer holzvertäfelten Wand stehen ein Taufbecken und ein einfacher hölzerner Altar. Darauf die aufgeschlagene Bibel, Abendmahlsgeschirr und ein grünes Blumengesteck. An der Wand dahinter ein einfaches Kreuz aus Milchglas. Links davon eine große niedrige Kanzel. In der Evangelisch-altreformierten Kirche spielt das Wort eine große Rolle, das ist klar. Drei runde Oberlichter erhellen den Altarraum.

Inzwischen ist die Kirche gut gefüllt, der Singkreis hat seine Probe beendet. Der Küster stellt ein Wasserglas auf der Kanzel bereit. Ein paar Jugendliche huschen noch schnell auf die Empore im linken hinteren Teil der Kirche. Dort oben befindet sich auch eine hübsche kleine Orgel. Durch das bunte Betonmosaikfenster über dem Eingang fällt morgendliches Licht hinein. Die Menschen kommen langsam zur Ruhe.

Stolz auf die Tradition des Psalmengesangs

10 Uhr. "Herr öffne mir die Herzenstür" stimmt der Singkreis zur Eröffnung an. Anschließend begrüßt Pastor Lothar Heetderks die Gemeinde – er trägt Anzug, keinen Talar. Das ist so üblich bei den Altreformierten. Überhaupt sei die altreformierte Kirche keine pastoren- sondern eine gemeindezentrierte Kirche: Alle wirken gleichberechtigt und selbstständig am Gelingen des großen Ganzen mit.

Die Gemeinde erhebt sich zu einem stillen Gebet. Dann setzt die Orgel ein und die ganze Gemeinde stimmt laut und kräftig Psalm 100 an – aus vollem Herzen. Allen scheinen Text und Melodie vertraut zu sein. Es ist deutlich zu spüren: Musik ist den Menschen hier sehr wichtig. Kein Wunder, denn in der (alt)reformierten Tradition spielte der Psalmengesang schon immer eine ganz besondere Rolle.

Der Reformator Johannes Calvin (1509-1564), Kirchenvater der Reformierten, hat sich einst sehr intensiv mit den Psalmen beschäftigt. Er hielt die Texte für von Gott gegebene Worte. Nur diese Lieder, nicht der profane Gesang, den die Menschen ansonsten so liebten, seien geeignet, Gott zu loben und die Menschen auf besondere Weise zu Gebet und Andacht zu führen, betonte Calvin. Lange wurden in altreformierten Gemeinden daher ausschließlich Psalmen gesungen. Man sieht und hört den Menschen an, dass sie stolz sind auf diese Tradition.

Inzwischen jedoch singt die Gemeinde mit gleicher Freude auch Lieder aus dem Evangelischen Gesangbuch. Nach einem Gebet um Stärkung der Gemeinde und der Lesung aus dem Epheserbrief erklingt ein kräftiges "Nun singe Lob, du Christenheit".

Die Evangelisch-altreformierte Gemeinde in Nordhorn singt Psalm 100.

"Christus ist das Haupt und das Ziel aller Bemühungen"

Heute steht ein Wechsel bei den Mitgliedern des Kirchenrates an. Die Lesung (Epheser 4,1-16) und die Predigt gehen passend dazu auf die Beteiligung einzelner Glieder und Amtsträger in der Gemeinde ein. Pastor Heetderks steht bereits auf der Kanzel und hebt zur Predigt an, als es oben auf der Empore unruhig wird. Er hat vergessen, dass heute der monatliche Jugendgottesdienst stattfindet. Nachdem die Jugendältesten ihn darauf aufmerksam gemacht haben, verlassen sie mit den Jugendlichen zusammen die Kirche. Sie werden nun im Keller des Gemeindehauses, der  zu einer Art Jugendtreff ausgebaut wurde, den "Gottesdienst mal anders" feiern.

Lothar Heetderks ist Pastor in der EAK in Nordhorn.

Pastor Heetderks sammelt sich kurz und setzt neu an: "Oft klagen christliche Gemeinden über rückläufige Mitgliedszahlen und mangelnde Beteiligung der Gemeindeglieder", stellt er fest. Gerade auch für Amtsträger könne es aber sehr entlastend sein, nicht alles so pessimistisch zu sehen. Der Kirchenrat sei schließlich lediglich dazu berufen, die vielen zur Verfügung stehenden Stimmen in der Gemeinde zu einem Chor werden zu lassen, in dem sie selbst mitsingen. Einem Chor, in dem alle gemeinsam einen guten Ton und jeder Gehör findet. Einem Chor, der von Jesus Christus dirigiert wird. Der über den Herrn singt und die christliche Botschaft in der Kirche und in der Welt hör- und spürbar macht. "Wir müssen nicht alles richten, denn Christus ist das Haupt und das Ziel aller Bemühungen. Aber wir können dazu beitragen, dass etwas wächst", schließt Pastor Lothar Heetderks seine eindringliche Predigt. "Ich lobe dich von ganzer Seelen / […] // Du, Gott, hast dir aus vielen Zungen / der Völker eine Kirch gemacht, /darin dein Lob dir wird gesungen", singt die Gemeinde wie zur Bekräftigung und der eigenen Freude am Gemeindegesang mit fester Stimme.

Es folgt die unaufgeregte Verabschiedung der beiden ausscheidenden Kirchenratsmitglieder und die Einführung ihrer Nachfolger. Pastor Heetderks betont deren Rolle als Vertrauenspersonen, die einen engen Kontakt zu allen Gemeindegliedern pflegen. Denn zu den Aufgaben der Ältesten in der altreformierten Kirche gehören auch regelmäßige Hausbesuche in den Familien. Gerahmt wird auch der Amtsträgerwechsel vom kräftigen Gemeindegesang – mal begleitet von der Orgel, mal im Wechsel mit dem Singkreis. Organist Gerrit Kortmann hat dabei keinen leichten Job, denn er unterstützt zugleich den Chor und eilt zwischen dem vorne stehenden Singkreis und der Orgel auf der Empore hin und her.

Nach dem Segen stehen die Menschen in Kirche und Gemeindehaus noch eine ganze Weile in Gruppen zusammen und unterhalten sich. Dann gehen sie hinaus in den sonnigen Apriltag. Am Nachmittag werden einige von Ihnen zum zweiten Gottesdienst des Tages noch einmal in ihre Kirche zurückkehren – und weitersingen.