Die Griechische Evangelische Kirche ist – misst man sie am Datum ihrer staatlichen Anerkennung – eine erst junge Kirche …
Jahrelang haben wir griechischen Protestanten den griechischen Staat beschuldigt, dass er uns als Kirche nicht anerkennt. Doch als ich im Jahr 2002 Moderator der Griechisch-Evangelischen Kirche wurde, habe ich festgestellt, dass die Kirche eine offizielle Anerkennung nie beantragt hatte. Im Jahr 2004 haben wir im Zuge von Planungen zu einem neuen Religionsgesetz solch einen Antrag auf Anerkennung beim zuständigen Ministerium für Bildung und religiöse Angelegenheiten eingereicht. Es war ein langer Weg. Aber im Jahr 2014 hat das griechische Parlament dann ein neues Religionsgesetz beschlossen und seit April 2015 ist die Griechische Evangelische Kirche offiziell als Religionsgemeinschaft anerkannt.
Was hat sich seit der Anerkennung für die Kirche und ihre Gemeinden verändert?
Meletiadis: Die staatliche Anerkennung ist sehr wichtig für uns. Jetzt können die Gemeinden beispielsweise auf ihren Namen Bankkonten eröffnen oder Grundbesitz eintragen lassen. Das war vorher nicht möglich. Da mussten solche Dinge – mit all den Risiken, die das für alle Beteiligten birgt – über private Personen abgewickelt werden. Wir dürfen jetzt auch Radio- oder Fernsehprogramme ausstrahlen, uns an europäischen Programmen beteiligen usw. Unsere Stimme wird in der griechischen Gesellschaft anders wahrgenommen. Vor kurzem ist unsere Kirche zum ersten Mal in ihrer eigentlich 168-jährigen Geschichte vom griechischen Präsidenten zu Gesprächen hinsichtlich ihrer Rolle in der griechischen Gesellschaft eingeladen worden.
Griechenland leidet seit Jahren unter einer schweren wirtschaftlichen Krise. Wie bringt sich die Griechisch-Evangelische Kirche diakonisch in Griechenland ein?
Meletiadis: Unsere Kirche hat schon immer versucht, den Schwächsten in der griechischen Gesellschaft zu helfen. Das waren anfangs vor allem Migranten aus Albanien und anderen Balkanstaaten aber auch Flüchtlinge aus der arabischen Welt. Unsere Gemeinden haben Suppenküchen organisiert, Lebensmittel und Kleidung verteilt, sie haben Orte geschaffen, an denen sich diese Menschen duschen und ihre Wäsche waschen konnten. Viele unserer Gemeindemitglieder haben selbst Migrationserfahrung. Sie oder ihre Eltern und Großeltern sind als politische Flüchtlinge aus der Türkei nach Griechenland gekommen.
Als Griechenland dann immer tiefer in die Krise rutschte, haben viele Migranten das Land verlassen. Sie fanden keine Arbeit mehr, konnten selbst mit unserer Hilfe nicht mehr überleben. Zugleich haben auch immer mehr Griechen unsere diakonischen Angebote wahrgenommen.
Die Wirtschaftskrise ist nicht überwunden, wird derzeit aber von der sogenannten Flüchtlingskrise überlagert, die auch besonders Griechenland trifft. Wie erleben Sie diese Krise?
Meletiadis: Die Situation der Flüchtlinge überwältigt uns alle. Unsere Gemeinden helfen, wo sie können. Das bekannteste Beispiel ist sicher Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze. Wir erleben den Schmerz, die Verzweiflung und die Traumata der Menschen dort. Die Bedingungen im Camp sind unvorstellbar.
Stellen Sie sich vor, in diesem Schlamm, in dieser Kälte werden Babys geboren und müssen mit kaltem Wasser gewaschen werden. Was wir dort sehen und erleben, zerstört unsere Hoffnung auf ein an christlichen Werten orientiertem Europa.
Wie können die Gemeinden einer so kleinen Kirche etwas in einem Camp wie Idomeni bewirken?
Meletiadis: Als Kirche kann uns das Schicksal dieser Menschen nicht egal sein. Im Sommer 2015 erreichte der Ansturm der vor Krieg und Terror fliehenden Menschen Europa mit aller Wucht. Doch auch schon in den Monaten zuvor waren hunderte Flüchtlinge in Idomeni gestrandet, versuchten dort die damals noch geschlossene Grenze nach Mazedonien zu überqueren. Seit Februar 2015, also seit mehr als einem Jahr, helfen unsere Gemeinden in Idomeni. Als im Sommer 2015 die Zahl der Flüchtlinge in Idomeni sprunghaft anstieg, die UNHCR ein Camp einrichtete und viele andere NGOs in Idomeni begannen, Hilfe zu leisten, haben wir uns mit ihnen vernetzt.
Insgesamt besuchen verschiedene Leute unserer Gemeinden das Camp drei- bis viermal in der Woche. Anfangs haben wir je 1000 Sandwiches und Wasserflaschen verteilt, dazu Kleidung sowie Hygiene- und Babyartikel. Nun, wo die Grenzen entlang der Balkanroute geschlossen sind, hat sich die ohnehin angespannte Lage dramatisch verändert. Wenn unsere Gemeinden jetzt nach Idomeni fahren, verteilen sie nicht mehr 1000 sondern 6000 Mahlzeiten pro Besuch. Seit einigen Wochen haben wir unsere Hilfen zudem auch auf drei so genannte Hot Spots, offizielle staatliche Flüchtlingscamps, ausgedehnt.
"Wie könnten wir unberührt bleiben von dem Drama, was sich hier abspielt?"
Nach Jahren einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise in Griechenland sollte man meinen, dass die Menschen keine Ressourcen mehr haben, sich um andere zu kümmern. Wie bewältigen sie diese beiden Krisen?
Meletiadis: Die Menschen hier teilen das, was sie haben mit den Flüchtlingen. Ein alter Mann aus unserer Gemeinde in Mylotopos hat 4000 Kilogramm Holz gespendet, die wir nach Idomeni gebracht haben für Lagerfeuer. Es gibt Frauen, die sich treffen, um warme Schals, Mützen und Handschuhe für die Kinder im Camp zu stricken. Ein Ingenieur aus unserer Gemeinde in Serres hat im Camp in Idomeni einen Stützpunkt eingerichtet, an dem Flüchtlinge kostenlosen Zugang zum Internet haben, kostenlos telefonieren und die Batterien ihrer Handys aufladen können. Viele unserer Gemeindemitglieder helfen, Mahlzeiten zuzubereiten, die Transporte zu organisieren und die Hilfsgüter zu verteilen. Inzwischen haben Gemeindemitglieder damit begonnen, Flüchtlinge mit zu sich nach Hause zu nehmen.
Wie könnten wir unberührt bleiben von dem Drama, was sich hier abspielt? Aber es ist noch viel mehr: Das Beispiel, das Jesus Christus uns gegeben hat, treibt uns an. Wichtig für uns ist dabei auch die Hilfe durch das Gustav-Adolf-Werk. Jeder Einsatz in Idomeni kostet uns trotz des unglaublichen Engagements unserer Gemeindemitglieder um die 1500 Euro. Ohne die finanzielle Unterstützung des GAW könnten wir das alles nicht mehr leisten. Wir danken dem GAW und allen Spenderinnen und Spendern in Deutschland für ihre Solidarität!
Wie funktioniert die ökumenische Zusammenarbeit in einer solchen Situation?
Meletiadis: Zunächst: Wir sind bei unserer Flüchtlingsarbeit mit den anderen helfenden NGOs – egal ob kirchlich oder nicht – sehr gut vernetzt. Wir sprechen uns ab und arbeiten zusammen. Zu den ökumenischen Beziehungen: Es gibt sie in Griechenland offiziell nicht, zumindest nicht zur orthodoxen Mehrheitskirche. Doch auf Gemeindeebene ist das etwas anderes. Es gibt orthodoxe und evangelische Gemeinden, die diakonisch durchaus zusammenarbeiten. Schon vor der Flüchtlingskrise. Ich will ein Beispiel nennen: Die orthodoxe Gemeinde in Volos betreibt eine sehr gute Suppenküche, die täglich mehr als 2.000 bedürftige Menschen versorgt. Die evangelische Gemeinde in Volos beteiligt sich. Sie liefert derzeit jeden Monat 500 Kilogramm frisches Obst an diese Küche. Ein weiteres Beispiel guter ökumenischer Zusammenarbeit ist die griechische Bibelgesellschaft, in der Orthodoxe, Katholiken und Evangelische im Geiste gegenseitiger Anerkennung und Akzeptanz zusammenarbeiten.
Das Gustav-Adolf-Werk unterstützt die Flüchtlingsarbeit der Griechischen Evangelischen Kirche und leitet Spenden gerne weiter:
KD-Bank – LKG Sachsen, IBAN: DE42 3506 0190 0000 4499 11, BIC: GENO DE D1 DKD, Kennwort: Flüchtlingsarbeit Griechenland