Anna-Nicole Heinrich betrachtet Hütte von Flüchtlingen am Strand in Griechenland
EKD/Michael McKee
EKD-Synoden Präses Anna-Nicole Heinrich betrachtet eine Hütte von Flüchtlingen am Strand in Griechenland. Sie macht sich vor Ort ein Bild von der Lage der Flüchtlinge.
Flüchtlinge in Griechenland
Präses Heinrich: Not wird unsichtbar gemacht
Nach Gesprächen auf Kos und in Athen ist die Synoden-Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) besorgt über den Umgang mit Geflüchteten in EU-Aufnahmeeinrichtungen. evangelisch.de-Redakteurin Katrin von Bechtolsheim hat mit Präses Anna-Nicole Heinrich über ihre Eindrücke von der Reise gesprochen.

evangelisch.de: Was war Sinn und Zweck dieser Reise und wer hat teilgenommen?

Anna-Nicole Heinrich: Mit der Reise an die EU-Außengrenze nach Kos und Athen wollte sich das Präsidium der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) über die Situation von Geflüchteten informieren. Anlass der Reise waren nicht zuletzt aktuelle Berichte über schwerste Menschenrechtsverletzungen in der Ägäis. Als Christ:innen ist es unsere Aufgabe, Menschlichkeit und das Wissen darum, dass alle Menschen vor Gott gleich sind, immer wieder an erste Stelle zu setzen und davon auch nicht abzurücken.

Gleichzeitig sollten wir den Blick vor der Realität nicht verschließen. Als Präsidium war es unser Anspruch, mit allen Akteur:innen in den Austausch  zu kommen. Im Mittelpunkt der Reise standen Gespräche mit der griechischen Asylbehörde, der Leitung der geschlossenen Flüchtlingsunterbringung CCAC sowie mit Hilfsorganisationen und -initiativen. Die Delegation hat aber natürlich auch Menschen mit eigener Fluchterfahrung getroffen. Nach einem Transfer nach Athen fanden am Mittwoch Gespräche mit der deutschen Botschaft in Athen statt. 

EKD-Präses Heinrich in Griechenland.

Was waren Ihre Eindrücke?

Heinrich: Es war klar zu sehen, dass die aktuelle Abschottungs- und Abschreckungspolitik an der EU-Außengrenze in Griechenland zunehmend zu einer Beeinträchtigung der Menschenrechte von Geflüchteten führt. Die Missstände sind mit Händen zu greifen. Insbesondere die Situation in dem von der Europäischen Union errichteten geschlossenen Unterbringungseinrichtung für Geflüchtete CCAC (Closed Controlled Access Center) auf Kos, bereiten uns Sorge.

Ärztliches Personal fehlt

Die Lage der Geflüchteten ist maßgeblich von einer Verantwortungsdiffusion geprägt, die letztlich fatale Folgen hat. Jeder blickt aus der eigenen Perspektive auf seinen Bereich, aber kaum einer auf das Wohl der Geflüchteten. Wie sonst ist es zu erklären, dass es in einem für 2500 Menschen errichteten Camp bei brütender Hitze nicht einmal Sonnensegel gibt, geschweige denn ärztliches Personal für die eigens errichtete Krankenstation.

Was hat Sie bewegt, was nehmen Sie mit?

Heinrich: Hart fand ich auf Kos das Nebeneinander von touristischer Hauptsaison und menschlichem Leid. Das ist für mich ein Ausdruck dessen, was insgesamt in Europa der Fall ist: Die Not der Geflüchteten wird systematisch unsichtbar gemacht und technokratisch wegorganisiert. Dort wo sie augenscheinlich ist, schauen wir als Gesellschaft nicht konsequent hin. Als alarmierend habe ich auch die Waldbrandsituation in Griechenland empfunden. Sie bedroht nicht nur die heimische Bevölkerung, sondern stellt auch die Geflüchteten in den Lagern und den umliegenden Wäldern eine immense Gefahr dar.

Urlauber spazieren sorglos am Strand von Griechenland, wo Kleidungsstücke von Flüchtlingen liegen geblieben sind.

Menschenleben werden aufs Spiel gesetzt

Bei unserem Besuch im geschlossenen Aufnahmelager CCAC konnte man den Brand auf Kos, der dann Gott sei Dank bald gelöscht werden konnte, mit bloßen Auge sehen. Nicht auszudenken, was bei einer anderen Windrichtung und -stärke hätte passieren können. Schon im vergangenen Jahr sind 18 Geflüchtete in einem Wald in der Grenzregion zur Türkei durch ein Feuer getötet worden. Wer davor die Augen verschließt setzt Menschenleben aufs Spiel.

Was empfehlen Sie einem Politiker, der in der Asylpolitik etwas entscheidet, zu tun, zu überdenken?

Heinrich: Wir sind keine Politikberater. Wir schauen auf die Situation der Geflüchteten aus unserem christlichen Selbstverständnis heraus. Jesus hat sich für Menschen in Not eingesetzt, er war selbst Flüchtling. Sich in die Situation der geflüchteten Menschen hineinzuversetzen, hilft sicherlich dabei gute Entscheidungen zu treffen.
 
Gibt es etwas, dass nun neu auf Ihrer Agenda steht?

Heinrich: Wir werden das, was wir gesehen und gehört haben auf der Synodentagung im November beim Schwerpunktthema "Migration, Flucht und Menschenrechte" alle gemeinsam beraten und Schlüsse daraus ziehen. Ein zentraler Aspekt der synodalen Befassung wird ganz sicher auch die Situation an der EU-Außengrenzen sein. Dazu gehört natürlich auch, die vielen Menschen und Initiativen bestmöglich zu unterstützen, die sich seit vielen Jahren für die Verbesserung der Situation der Geflüchteten einsetzen.

Für mich war es zum Beispiel beeindruckend zu sehen, wie unverzichtbar die juristische Unterstützung ist, die Menschen von der Organisation "Equal Rights Beyond Borders" erhalten. Ohne die kostenlose Hilfe der Anwält:innen sind die Asylsuchenden den Entscheidungsprozessen der Behörden vollkommen ausgeliefert. 

Im November wird die Synode der EKD über das Schwerpunktthema "Migration, Flucht und Menschenrechte" beraten. Ein zentraler Aspekt der synodalen Befassung wird die zunehmende Normalisierung von Gewalt und Rechtlosigkeit an den EU-Außengrenzen sein.