Herr Lünenbürger-Reidenbach, das Motto der sechsten Fastenwoche von "7 Wochen Ohne" ist: "Ich gönn Dir das" (Lk 15, 25-32). Was verbinden viele Menschen mit dem Wort "gönnen"?
Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach: Zuallererst wollen viele Menschen sich selber etwas gönnen. Der Ausspruch "Ich gönn Dir das!" ist zwar verbreitet, allerding eher im negativen Sinn von "Das gönne ich Dir!". Das positive Gönnen ist exakt das Gegenwort zum Neid: Man erkennt jemandem neidlos etwas an oder gesteht ihm etwas zu, das für einen selbst auch schön wäre. Das taucht bei uns im allgemeinen Sprachgebrauch allerdings verhältnismäßig selten auf.
Warum hat anderen etwas zu gönnen keine Lobby?
Lünenbürger-Reidenbach: Wenn Menschen Zeiten als hart empfinden und das Gefühl haben, alles für sich selber erkämpfen zu müssen, ist der Neid verbreiteter als das Gönnen. Dabei ist unwichtig, ob diese Zeit tatsächlich hart ist. Ausschlaggebend ist die gefühlte Stabilität, die vom Alter und von der finanziellen Situation eines Menschen abhängen kann. In Zeiten von Stagnation auf hohem Niveau können Menschen anderen eher etwas zugestehen. Die erste Hälfte der 1970er Jahre vor dem Ölpreisschock war zum Beispiel in der BRD sehr optimistisch geprägt und verlief verhältnismäßig ruhig. Die Menschen begannen, ein Umweltbewusstsein und ein Gefühl für Nachhaltigkeit zu entwickeln. Das Empfinden, das nicht alles für mich allein sein muss, spielte eine große Rolle und prägte eine ganze Generation. In unserer heutigen Zeit können Menschen anderen neidlos gut etwas zugestehen, wenn sie beispielsweise aus dem Berufsleben ausgestiegen und zur Ruhe gekommen sind und sich und anderen nichts mehr beweisen müssen. Menschen mittleren Alters hingegen geraten vermutlich öfter in Neidsituationen, etwa, wenn sie feststellen müssen, dass ihre Geschwister beim elterlichen Erbe bevorzugt wurden. Ich bin sehr lutherisch und glaube, dass der Neid der Teufel ist, um mal ein altertümliches Wort zu verwenden. In einer zerbrechenden Gesellschaft wie der unsrigen, die dazu unglaublich infantil ist, werden solche teuflischen Gefühle jedoch gern als normal betrachtet.
"Viele Christen haben eine gewisse Grundtoleranz in sich"
Fällt es gläubigen Menschen leichter zu gönnen?
Lünenbürger-Reidenbach: Ja. Ich glaube, dass viele evangelische Christen eine gewisse Grundtoleranz in sich haben. Sie verfallen wohl, wenn sie aus dem Glaubenszusammenhang kommen, weniger dem Neid und können Zuwendung zuallererst als ein Geschenk betrachten. Jedoch konfrontiert sie ihr Glaube immer wieder mit der Zumutung, anderen neidlos etwas zuzugestehen, was sie eigentlich auch gern haben wollen.
Wie ist das in der Werbebranche: Lässt sich mit dem Neidgefühl ein Produkt besser verkaufen als mit dem positiven Gefühl, anderen etwas zu gönnen?
Lünenbürger-Reidenbach: Werbung wird, wenn sie Menschen ansprechen soll, immer versuchen, mit starken Emotionen zu arbeiten. Wenn man dieses Gegensatzpaar "Ich gönne jemandem etwas" und "ich bin neidisch" betrachtet, dann leuchtet jedem sofort ein, welches davon die stärkere Emotion ist: nämlich der Neid. Negative Emotionen wie Zorn und Neid sind tendenziell stärker als positive Emotionen, auch weil sie vergleichbarer sind. Dabei ist die konkrete Situation gar nicht so wichtig. Aus der Kommunikationssicht betrachtet ist es richtig, in der Werbung Menschen über negative Gefühle erreichen zu wohlen, weil sich mehr Menschen über gleiche Sachen ärgern als freuen können. So lassen sich mehr Menschen auf einmal erreichen.
"Mit Verwöhnen lässt sich gut werben"
Neid verkauft sich also besser?
Lünenbürger-Reidenbach: Ein Produkt lässt sich mittels Neidgefühlen nicht besser verkaufen als mit dem positiven Gönnen. Nur lassen sich mit dem negativen Gefühl Neid leichter sehr viel mehr Menschen erreichen, um ein Produkt effektiver zu verkaufen. Letztlich ist alles aber eine Frage von Kreativität. Um mit Neid ein Produkt zu verkaufen, muss ich nicht kreativ sein. Das funktioniert von allein. Um jedoch mit positiven Emotionen etwas zu verkaufen, muss ich deutlich mehr Arbeit aufwenden. Da wir aber in der Kommunikationsbranche grundsätzlich ein großes Kreativitätsproblem haben, finde ich es nicht überraschend, dass in der Werbung eher mit negativen Neidgefühlen gearbeitet wird, da jedem Werber eher allgemeingültige Neidsituationen einfallen. Mache ich mir aber die Arbeit zu fragen, was gönnst Du jemand anderem im positiven Sinne, dann werde ich bei zehn Leuten zehn unterschiedliche Antworten erhalten. Bei der Frage, worauf sie bei anderen neidisch sind, erhalte ich vermutlich von zehn Leuten zwei unterschiedliche Antworten. Die Suche nach der Antwort, was Menschen anderen gönnen, ist sehr viel herausfordernder und schwieriger. Schließlich müsste ein Beispiel gefunden werden, das Millionen von Menschen gleichzeitig anspricht.
Um Menschen zu erreichen, muss ich Leute dazu bringen, etwas Bestimmtes zu tun. Wir nennen das in der Kommunikationsbranche "Call-to-Action". Wir müssen unterscheiden zwischen "Ich bin damit zufrieden, dass es jemand anderem gut geht" und "Ich tue jemandem etwas Gutes". Gönnen ist ein passives Gefühl. Ich bin mit etwas zufrieden. Dafür muss man nichts aktiv machen. Ich gönne beispielsweise meiner Schwester, dass meine Eltern ihr etwas Bestimmtes schenken und nicht mir. Oder: Ich gönne meiner Kollegin, dass sie befördert wurde, ohne neidisch darüber zu sein, dass ich es ja auch hätte sein können. Aktiv muss ich hingegen werden, wenn ich jemandem selbst etwas Gutes tun möchte. Dann sind wir aber nicht mehr beim Gönnen, sondern beim Verwöhnen. Denken Sie nur an die Schokoladen-Werbung: "Merci, dass es dich gibt". Das Wort "Verwöhnen" kennt man in der Werbung beispielsweise vom Kaffee-Verwöhnaroma von Jacobs Krönung. Hier ist der Call-to-Action: Kaufe es nicht für dich, sondern für jemanden anderen. Damit lässt sich gut werben.
Fallen Ihnen weitere Beispiele aus der Werbung ein?
Lünenbürger-Reidenbach: Der Trend geht seit längerem dahin, etwas "Gutes zu tun". Ein bekanntes Beispiel ist die seit vielen Jahren laufende Kampagne der Körperpflege-Marke Dove. Erschreckend wenig Mädchen und Frauen finden, dass sie gut aussehen. Die Werbung vermittelt: Es ist ok, wie Du aussiehst. Frauen und Mädchen sollen in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden, sich hübsch zu fühlen. Oder es gab vor Jahren einmal eine Kampagne für die Diätmarke "Du darfst". Da ging es darum, sich und seinen Körper selbst zu akzeptieren. Ein Produktname wie "Du darfst" ermuntert, sich selbst etwas zu gönnen und suggeriert zugleich, dass die Marke dies einem selbst gönnt. Jede Werbung rund um Luxus-Artikel wie Autos, Schmuck, Kleidung oder Urlausfahrten suggeriert einem, dass die Marke selbst es einem gönnt. Allerdings ist da der Call-to-Action: Kauf es Dir, gönn es Dir selbst!
Es gibt ja den Spruch im Volksmund: Man muss gönnen können. Gerät der Spruch langsam in Vergessenheit? Ist unsere Gesellschaft zu raffgierig?
Lünenbürger-Reidenbach: Ich bin mir sicher, dass meine Kinder das Wort gönnen kennen. Das ist tatsächlich aber ein sehr erwachsenes Gefühl. In einer immer infantileren Gesellschaft, in der wir leben, finde ich es nicht überraschend, dass ein erwachsenes Gefühl nicht so eine große Rolle spielt. Das ist so wie eine stille Liebe, die deutlich in der Wahrnehmung zurücktritt hinter ein wildes Verliebt sein. Während das eine sehr erwachsen ist, ist das andere eher pubertierend.
"Gönnen ist passive Zufriedenheit"
Wie müsste eine Werbekampagne aussehen, um Menschen für das "Ich gönn Dir das" zu gewinnen?
Lünenbürger-Reidenbach: Gönnen ist eine passive Zufriedenheit. Ich kann mir vorstellen, dass man mit dem Gönnen werben kann, wenn der Call-to-Action heißt: raffe nicht, sondern sei zufrieden mit dem was du hast. Denken Sie nur an die Vorsorge-Werbung im Finanz- und Versicherungsbereich. Sie können zum Beispiel eine Lebensversicherung damit bewerben zu sagen: "das ist alles für mich" oder sie werben damit: "das ist alles für die nächste Generation". Das aktive Moment ist hierbei, Sorge für andere zu tragen, in diesem Fall für die Hinterbliebenen. Diese Werbung spricht das Gefühl an: "Ich finde es schön, dass es Dir gut geht".
Zufriedenheit ist aber zugleich eine zweischneidige Emotion. Sie macht auch träge. Beispielsweise will ich keine zufriedenen Mitarbeiter im eigentlichen Sinne. Die sollen hungrig sein, die sollen was wollen. So ein zurückgelehntes "Ach, das ist jetzt schön für den oder die" ohne, dass sich daraus etwas ergibt, ist zumindest in einem Wirtschaftsbetrieb nicht erstrebenswert. Wenn ich auf das Motto der sechsten Fastenwoche "Ich gönn dir das" (Lk 15, 25-32) von "Sieben Wochen Ohne" blicke, würde ich versuchen, eine Woche lang Neid zu vermeiden, um Fülle zu erfahren. Ein Leben in Fülle, das ist aber ein antikapitalistisches Prinzip und der Propaganda des Kapitalismus, damit auch der beruflichen Kommunikation in der Werbung, diametral entgegengesetzt.