Renate Künast setzte einfach mal auf Ironie. "Sie wollen mir einen Hass-Kommentar schicken? Sich mal so richtig auskotzen?", schrieb sie Mitte Januar auf ihrer Facebook-Seite. "Dann gebe ich Ihnen hier ein paar Hinweise, die Ihnen das Schreiben und mir das Lesen erleichtern." Zu verschiedenen Aspekten sammelte die Grünen-Bundestagsabgeordnete in ihrem "Hass-Tool" Tipps. "Sparen Sie nicht an Ausrufezeichen", riet sie zum Beispiel augenzwinkernd. Und zum Inhalt: "Hauen Sie einen raus. Seien Sie kreativ."
Sie habe viel Freude an der Aktion gehabt, sagt Künast im Rückblick. Sie habe viele positive Rückmeldungen auf ihr "Hass-Tool" bekommen. "Es hat sich gelohnt, das verbale Florett zu nutzen." Auf das Niveau der Menschen, die ihr Hasskommentare senden, wolle sie sich nicht begeben: "In der Kneipe werden Sie rausgeschmissen, wenn Sie solche Beleidigungen äußern. Ich halte mich an diese analogen Kriterien."
"Das ist Dreck. Der gehört in die Mülltonne"
Künast ist eine Ausnahme: Kreativ und ironisch gehen bislang nur sehr wenige Politiker mit dem Hass im Netz um. Zwar habe es schon immer Hetze in politischen Debatten gegeben, aber das Problem sei in den vergangenen Monaten größer geworden, sagen Experten. "Immer mehr Menschen schreiben Hasskommentare", hat der Blogger und Politikberater Martin Fuchs beobachtet. "Hinzu kommt, dass auch immer mehr Hassbotschaften von Bots kommen, also von Computerprogrammen, die diese Botschaften automatisch posten."
Im Fadenkreuz stehen vor allem Politiker, die sich für Flüchtlinge einsetzen. "Die meisten Hasskommentare kommen eindeutig von rechten politischen Aktivisten", erläutert Caja Thimm, Medienwissenschaftlerin an der Universität Bonn. Hintergrund sei die "Pegida"-Bewegung, deren Anhänger sich über soziale Medien vernetzt hätten. Wenn ein Unterstützer Hass poste, könne er sich darauf verlassen, dass ihm andere aus der Szene beipflichten: "Menschen, die sich vielleicht noch sorgen, ob sie so einfach Hass posten können, bekommen dadurch emotionale Unterstützung. Es gibt ein eigenes Netzwerk für rechtspopulistisches Gedankengut."
Weil es zudem kaum Gegenrede gebe, seien die Hemmungen gefallen. "Der geballte Hass gegen Flüchtlinge ist eine neue Dimension der Hetze im Internet: Alle Dämme scheinen gebrochen", sagt Thimm.
Die betroffenen Politiker gehen damit ganz unterschiedlich um. Bei besonders schlimmen Fällen stellen einige Strafanzeige. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt wies vergangenen September auf die Hetze hin, sie las Hasskommentare in einem Onlinevideo vor. "Das ist Dreck. Der gehört in die Mülltonne", sagte sie in dem Film. Auch in dem Format "Disslike" auf YouTube haben mittlerweile einige Politiker heftige Botschaften vorgelesen und kommentiert.
Einen anderen Weg ging kürzlich CDU-Generalsekretär Peter Tauber: Er schimpfte zurück. "Sie sind ein Arschloch", schrieb er einem pöbelnden Nutzer Anfang Januar auf seiner Facebook-Seite, ergänzt mit einem Smiley. Damit stieß er auf große Resonanz. Tauber moderiere die Kommentare seit Jahren sehr sachlich, sagt Berater Fuchs. Die "Arschloch"-Antwort sei ein "Weckruf" gewesen: "Ich finde gut, dass er damit eine Debatte über Hass im Netz ausgelöst hat." Prinzipiell sollten Politiker auf Dauer aber verbal abrüsten, empfiehlt Berater Fuchs. Sonst machten sie sich nur angreifbar.
"Es gibt kein Patentrezept, wie Politiker mit Hasskommentaren umgehen können", sagt Forscherin Thimm. Martin Fuchs betont, es sei wichtig, eine Netiquette mit klaren Regeln für die Debatte auf der jeweiligen Seite zu formulieren. Außerdem sei es unerlässlich, die Kommentare zu moderieren.
"Man braucht noch nicht einmal eine Briefmarke"
Ein anderes Mittel kann die Counterspeech sein, die Gegenrede. Diese gilt als der Königsweg: Wenn jemand Hass postet, könnte ihm die Community widersprechen. Bislang kommt das in Deutschland aber eher selten vor. Die Netzwerke selbst stärken diesen Weg. Facebook kündigte kürzlich die Gründung einer "Initiative für Zivilcourage Online" an. Dabei sollen auch Instrumente entwickelt werden, mit denen sich Nutzer als Gegenredner engagieren können.
Caja Thimm plädiert dafür, dass politische Akteure nicht nur individuell auf Anfeindungen reagieren. "Ich würde mir überparteiliche Reaktionen wünschen: Wenn Politiker von Hasskommentaren berichten, dann könnten sich politische Akteure aller Parteien solidarisieren und deutlich machen, dass solche Botschaften in der Demokratie nicht akzeptiert werden."
Denn schließlich ist es in den sozialen Netzwerken nicht zuletzt einfach wie nie zuvor, mit Hass Aufmerksamkeit zu erzielen. "Man kann sich nachts um zwei Uhr nach mehreren Dosen Bier mal eben verbal erleichtern", beklagt Künast. "Dafür braucht man noch nicht einmal eine Briefmarke. Früher war der Weg zum Briefkasten eine Hemmschwelle - diese gibt es jetzt leider nicht mehr."