Khen von der Philippinen, Sina aus Afghanistan, Deborah aus Deutschland und Hassan aus Ghana
Foto: evangelisch.de/Anne Kampf
Khen von der Philippinen, Sina aus Afghanistan, Deborah aus Deutschland und Hassan aus Ghana feiern zusammen.
Interkulturelle Weihnachten: "Hier sind meine Schwestern und Brüder"
Eine Weihnachtsfeier FÜR Flüchtlinge anzubieten, käme der Dietrich Bonhoeffer-Gemeinde in Frankfurt nicht in den Sinn. Wenn schon, dann feiern die evangelischen Christen MIT Flüchtlingen und Migranten - auf Augenhöhe. Das Frankfurter Modell einer "interkulturellen Weihnachtsfeier" könnte Vorbild für andere Kirchengemeinden sein.

Freitagabend, 19 Uhr. Das Gemeindezentrum in der Frankfurter Nordweststadt füllt sich schnell. Familien mit Kindern kommen durch die Tür, dann die interkulturelle Frauengruppe aus der Nordweststadt, viele tragen Tabletts mit Selbstgebackenem zum Buffet. Eine Gruppe junger Männer war schon früh da, sie haben beim Kochen geholfen und die Kerzen angezündet, jetzt überwachen sie die Töpfe auf dem Herd, in denen Gemüse, Reis und Hühnchen dampfen. Nach und nach kommen Mitglieder der Interkulturellen Werkstatt herein: junge Menschen aus England, den Philippinen, Ghana, Nigeria, Aghanistan, Trinidad - und Deutschland. Am Kindertisch fangen sechs kleine Mädchen an zu spielen, sie sprechen dabei mindestens Spanisch, Deutsch, Englisch und Malaiisch.

Zuletzt nimmt eine syrische Großfamilie Platz, Vater und Mutter mit einer Handvoll erwachsener Söhne, einer Tochter und dem Schwiegersohn. Bis auf einen sind sie neu in Frankfurt, Pfarrer Ulrich Schaffert eilt sofort an ihren Tisch: "Deutsch? English?" Nein, Arabisch, zum Glück kann einer der Söhne übersetzen. Eine syrische Frau aus der interkulturellen Frauengruppe, die schon länger in Frankfurt lebt, kommt auch gleich auf die Familie zu und begrüßt sie in ihrer Sprache, das tut gut! 

"Ich lächle zurück", sagt Natasha entschlossen

Dann heißt Schaffert alle Gäste willkommen - auf Deutsch, aber ganz langsam. "Weihnachten hat zu tun mit Gastfreundschaft", erklärt der Pfarrer, "mit Licht, mit Freude, mit Frieden, Salam." Er will nicht viel reden, schließlich ist das Essen fertig, alles sei halal, sagt Schaffert an die Muslime gewandt. "Außer das hier", ruft eine Frau vom Kirchenvorstand dazwischen und hält eine weiße Schüssel in die Luft. Dann greifen auch schon alle zu - bis auf den weißhaarigen syrischen Vater, der still und ohne Teller neben seiner Frau sitzen bleibt und offenbar versucht einzuordnen, was hier eigentlich gerade passiert.

Einer seiner Söhne, der von seinem Namen nur die Anfangsbuchstaben Y.Y. preisgeben will, ist schon seit ein paar Monaten in Deutschland und spricht erstaunlich fließend Deutsch. Genervt erzählt er von Behörden und Formularen, "immer Papiere", sagt der junge Mann mit großen Augen, "ich gehe zu einer Behörde und schon brauche ich Papier". Y.Y. wundert sich darüber, dass in Deutschland alles so langsam geht, in seiner Unterkunft gebe es übrigens kein freies Internet, erzählt er kopfschüttelnd. In Syrien hat der junge Mann Buchhaltung studiert, dann kam der Krieg und er musste zur Armee, zwei Jahre blieb er, dann reichte es ihm. "Dieser Krieg ist nicht mein Krieg", sagt Y.Y.. "Manchmal möchte man weinen. Wir wollen vergessen, aber wir können nicht vergessen." Der ganzen Familie ist anzumerken, dass sie noch nicht wirklich angekommen ist in Deutschland. Dieser Abend soll ein bisschen helfen.

Die Syrer sind Muslime, haben aber "kein Problem mit der Religion", versichert Y.Y., an einer christlichen Weihnachtsfeier könnten sie ohne Probleme teilnehmen. Genauso geht es Natasha, die auch Muslima ist, Malaiin mit deutscher Mutter. Sie ist nicht geflohen, sondern zur Familie ihrer Mutter übergesiedelt. "In Malaysia leben alle friedlich zusammen", erzählt Natasha, während eine ihrer drei Töchter an den Tisch kommt und ein Stück Wurst von Mamas Teller klaut. Ein strenger Blick gelingt der jungen Frau nur mit Mühe. Es geht ihr so gut an diesem Abend im Bonhoeffer-Gemeindehaus: "Ich bin positiv überrascht, weil sich so viele Leute dafür öffnen", sagt Natasha und meint das völlig ungezwungene Miteinander der verschiedensten Menschen. Draußen werde sie manchmal blöd angeguckt, "dann lächle ich zurück", sagt Natasha entschlossen. "Es herrscht zu viel Hass in dieser Welt."

Davon kann auch Sina ein Lied singen, ein junger Afghane in bunter, modischer Kleidung. Tatsächlich singt er mit drei anderen aus der Interkulturellen Werkstatt ein "trauriges afghanisches Lied" vor, aber dabei müssen die vier immer wieder lachen. Alles geht durcheinander im Kopf: Die Heimat, die Fluchtgeschichte, die neuen Freunde, der schöne Abend, die Worte des Pfarrers... Sina steht gern auf der Bühne, bringt sich in Pose, sobald jemand mit Fotoapparat erscheint, lächelt er. Aber als er seine Geschichte erzählt, wird sein Blick wieder ernst. Sina ist im Iran aufgewachsen, er wollte zu seiner Schwester fliehen, die in Norwegen lebt. Seine Reise führte ihn nicht nur einmal, sondern zweimal durch ganz Europa: über die Türkei, Griechenland, Italien und Deutschland nach Norwegen, von dort zurück nach Italien, dann Kirchenasyl in Deutschland, jetzt ist er geduldet. Sina ist sauer, weil er warten muss, weil es nicht vorwärts geht. "Wo ist meine Wohnung? Wo ist meine Schuld?", fragt er verzweifelt. Die Geduld ist ihm längst ausgegangen.

"Wir haben unsere Schätze mitgebracht und geteilt"

Der fröhliche Adventsabend im Bonhoeffer-Gemeindehaus bringt zumindest Ablenkung, und Sina genießt die Gemeinschaft. Einige Gäste singen Lieder vor: Die Philippina Khen stimmt "Your Song" von Elton John an, begleitet von ihrem Partner Chris aus England am Klavier. Hassan aus Ghana singt ein Lied, das afrikanisch klingt, die Mädchen präsentieren klatschend und tanzend "Frohe Weihnacht, merry Christmas". Ein deutsches Gedicht mit dem Titel "Migrantin" wird vorgetragen und ins Arabische übersetzt, und auch Vilma aus Trinidad singt ein Lied in ihrer Sprache. "Viele haben was mitgebracht", freut sich Theaterpädagogin Christa Hengbach, sie ist erste Vorsitzende der Interkulturellen Werkstatt und Ehefrau von Pfarrer Schaffert. "Wir wollen uns auf Augenhöhe begegnen", fasst sie die Idee der Weihnachtsfeier zusammen.

Dann verteilt Hengsbach grüne Zettel und stimmt mit den Gästen Weihnachtslieder an. "Zusammen singen, das ist wunderbar!", schwärmt die engagierte Frau und versucht, einem der jungen Syrer die Texte beizubringen. "Feliz Navidad" wird angestimmt, dann ein Lied aus Afrika und auch einige traditionelle auf Deutsch. Bei "Oh Tannenbaum" kann der syrische Familienvater irgendwann zumindest das Wort "Tannenbaum" mitsingen, bei "Stille Nacht" vergräbt seine Frau ihr Gesicht in den Händen - jemand sagt, das Lied gebe es auch in der arabischen Welt. Auch Sina wird wieder nachdenklich: "Ich mag das Weihnachtsfest gerne, es ist für mich ein ganz besonderer Abend", sinniert er. "Hier sind meine Schwestern und Brüder."

Zum Schluss erzählt Ulrich Schaffert von den drei Weisen aus dem Morgenland, die Jesus ihre Schätze bringen. "Für mich war dieser Abend so, dass wir unsere Schätze mitgebracht und geteilt haben", sagt der Pfarrer, "das Essen, die Lieder....". Es war eben nicht eine Feier von der Gemeinde für Flüchtlinge, sondern ein gemeinsames Fest mit allen. In der Frankfurter Nordweststadt funktioniert das gut, denn die bestehenden Kontakte aus der Interkulturellen Werkstatt und der Frauengruppe helfen, mit den neu Angekommenen ins Gespräch zu kommen. Ulrich Schafferts Segenswunsch am Ende handelt davon, "dass alle Menschen in Frieden leben, dass wir füreinander da sind und einander die Hände reichen". Manche wollen gar nicht gehen, sondern lieber noch einander "Jingle Bells" beibringen.