Der koptische Bischof Anba Damian ist auf dem ehemaligen Bundeswehrkasernengelände in Borgentreich an seiner schwarzen Amtstracht und dem langen grauen Bart schon von weitem zu erkennen. Bei seiner Ankunft scharen sich sogleich Flüchtlinge allen Alters um ihn: Sie möchten wissen, wie es weitergeht oder erbitten einen Segen des Bischofs. Der 60-jährige Geistliche hört sich die Sorgen an, muntert sie mit kleinen Scherzen in arabischer und englischer Sprache auf.
Die koptische Kirche in Deutschland, die auf dem weitläufigen früheren Kasernenareal seit 1993 eine ökumenische Stätte der Begegnung unterhält, hat das Gelände dem Land Nordrhein-Westfalen als zentrale Unterbringungseinrichtung für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt. Betrieben wird die Flüchtlingsunterkunft von den Maltesern. "Wir sehen das als unsere christliche Aufgabe", erzählt Bischof Damian, "hier können wir das christliche Gebot des Kümmern um den Nächsten konkret umsetzen."
Damian, dessen Dienstsitz ein Kloster im nahe gelegenen Höxter ist, ist mehrere Tage in der Woche auf dem Gelände. "Wenn Menschen erfahren, dass ich arabisch spreche, kommen sie auf mich zu", erklärt der aus Ägypten stammende Geistliche. Jeden Samstag bietet er einen vielsprachigen Gottesdienst in Koptisch, Arabisch, Englisch und Deutsch an. Derzeit wird das "Kesselhaus" der früheren Desenberg-Kaserne zu einer "Kirche für alle Konfessionen" umgebaut. Im Dezember soll das Gebäude "winterfest" sein.
Gerade hat Damian ein kleines Mädchen aus Syrien entdeckt, das sich an ihren Vater klammert. Er versucht die dreijährige Rodan aufzuheitern. Der Vater Badom erzählt von Gräueltaten der islamistischen Terrorgruppe IS in seinem Land. Die Terroristen machten nicht einmal vor Kindern Halt, klagt er. Auf eine Grundschule in der Nachbarschaft hätten die Terroristen Granaten gefeuert, erzählt Badom. Viele Kinder seien blutend gestorben. Er sei froh, mit seiner Familie jetzt hier zu sein. Allerdings wisse er nicht, wie es von hier aus weitergehe.
Berichte wie die des syrischen Vaters hören auch die beiden Diakonie-Mitarbeiterinnen in der Einrichtung täglich. Kirche und Diakonie engagieren sich in der seit einem Jahr bestehenden Flüchtlingsunterbringung. Im Auftrag der Diakonie Paderborn-Höxter bietet Marija Benakovic für die ankommenden Flüchtlinge eine Verfahrensberatung an. Ihre Kollegin Dorothea Lindner ist für Beschwerden der Flüchtlinge gegenüber der Einrichtung zuständig.
Spezielle Beschäftigungsangebote für Flüchtlinge
Bei den Beratungen geht es oft um die Suche nach Familienmitgliedern. "Viele Familien werden auf der Flucht auseinandergerissen", berichtet Benakovic. Derzeit beschäftigt sie der Fall eines Vaters aus Afghanistan, der bei der Flucht in der Türkei von seinem 14-jährigen Sohn getrennt wurde. Viele zur Flucht entschlossene Familien schicken zudem ihre Kinder alleine auf den Weg Richtung Europa, weil sie die hohen Summen der Schlepper nicht bezahlen können.
Die ehemaligen Bundeswehrbaracken in Borgentreich wurden 2014 für die Flüchtlinge instand gesetzt. Zuvor hatte Bischof Damian als Vorleistung rund 900.000 Euro Spenden für erste Erschließungsarbeiten gesammelt. Inzwischen gibt es auf der 13 Hektar großen Anlage eine Sporthalle, einen Jugendclub, Kinderbetreuung sowie ein Haus für Frauen und eine Krankenstation. Für religiösen Feiern stehen ein christlicher Andachtsraum sowie ein muslimischer Gebetsraum zur Verfügung.
"Je freundlicher die Menschen hier empfangen werden, desto bereitwilliger werden sie sich in Deutschland integrieren", sagt der Betreuungsleiter der Malteser, Lutz Köller. Für Jungendliche gebe es etwa spezielle Beschäftigungsangebote. Da die Flüchtlinge zunächst weder arbeiten dürfen, noch an Eingliederungsmaßnahmen teilnehmen können, seien sie praktisch zum Nichtstun verurteilt, erklärt Köller. "Wir versuchen, dagegenzusteuern."
Bilanz fällt insgesamt positiv aus
Ein weiteres Problem ist die große Fluktuation. Die Flüchtlinge, die unter anderem aus Syrien, Irak, Afghanistan, Indien, Albanien und Georgien kommen, bleiben in der Regel ein bis zwei Wochen in Borgentreich. Dann werden sie in Unterkünfte in den Kommunen in NRW gebracht. Ursprünglich war das Areal für 500 Flüchtlinge vorgesehen, doch meistens leben dort 600 Menschen zusammen. Täglich kommen Busse von den Erstaufnahmestellen mit weiteren Flüchtlingen.
Seit einem Jahr werden nun Flüchtlinge in Borgentreich aufgenommen. Köllers Bilanz fällt insgesamt positiv aus. Es habe bisher keine Unruhen unter den Flüchtlingen oder rassistisch motivierte Übergriffe gegeben. "Im Gegenteil: Die Hilfs- und Spendenbereitschaft der Menschen ist überwältigend." So musste die Spendenannahmestelle wegen Überfüllung zwischenzeitlich geschlossen werden.