Die Kritiker der Freihandelsabkommen TTIP und CETA fürchten aus gutem Grund, dass eine Liberalisierung des Handels und der Abbau von Einfuhrbeschränkungen und Zöllen keineswegs das verheißene Wirtschaftswachstum mit sich bringen, sondern vielmehr einen schleichenden Abbau von Umweltstandards und Arbeitnehmerrechten zur Folge haben würden - und eine Gefahr für Verbraucher- und Datenschutz und die Demokratie insgesamt bedeuten.
Was die meisten Menschen hierzulande aber nicht wissen, ist, dass die EU auch mit 78 afrikanischen, karibischen und pazifischen Ländern (kurz: AKP-Staaten) schon seit 2002 über Freihandelsabkommen verhandelt, die ihrerseits für die Menschen in den Ländern des Südens erhebliche soziale und wirtschaftliche Gefahren und Nachteile bedeuten würden. Die von der EU angestrebten "Economic Partnership Agreements" (EPAs) zielen auf eine gegenseitige Marktöffnung, bei der nahezu alle Zoll- und Handelshemmnisse zwischen der EU und den APK-Staaten fallen sollen.
Aber: "Die Volkswirtschaften dort sind der Konkurrenz aus der EU nicht gewachsen", ist Roland Süß, Attac-Mitorganisator der "Stop EPA"-Tour überzeugt. Yvonne Takang, Generalsekretärin der kamerunischen Nichtregierungsorganisation ACDIC (Bürgervereinigung zur Verteidigung von Kollektivinteressen) ist eine der westafrikanischen Referentinnen der Tour. Sie sagt: "Durch die Abkommen werden langfristig noch mehr Importe aus der EU heimische Produkte von unseren Märkten verdrängen. In Kleinindustrie und Landwirtschaft werden dadurch Existenzen bedroht. Die Zollausfälle werden zudem große Löcher in die Haushalte unserer Staaten reißen". Schon jetzt, so bestätigt Roland Süß, können etwa afrikanische Kleinbauern mit Billigimporten von Hähnchenteilen aus der EU nicht mithalten.
Aber es geht bei EPA nicht nur um den Wegfall von Importzöllen und Handelshemmnissen. Denn in einem zweiten Schritt sollen spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten von EPA verpflichtend weitere Verhandlungen folgen. Genau wie bei TTIP sollen die Märkte auch für Dienstleistungen und private Investitionen im Bereich der Daseinsvorsorge geöffnet werden. Auch hier wäre die wirtschafts- und finanzstarke EU im Vorteil gegenüber den armen AKP-Staaten.
Ende der Handelsvorteile für arme Länder
Bislang galt für diese AKP-Staaten Zoll- und Abgabenfreiheit bei der Einfuhr ihrer Produkte in die EU, während sie ihrerseits Zölle zum Schutz ihrer Märkte erheben durften. Diese Handelsvorteile, die den AKP-Staaten nicht zuletzt aufgrund ihrer Vergangenheit als ehemalige Kolonien eingeräumt wurden, sollen nun nach insgesamt 13 Jahren kontroverser Verhandlungen möglichst schnell durch die EPA-Abkommen beendet werden.
Die EU-Befürworter der geplanten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen argumentieren, die bisherige Praxis stehe nicht im Einklang mit den Prinzipien des freien Welthandels, wie sie die Welthandelsorganisation (WTO) vorschreibt. Ein Argument, das bei Francisco Mari, Referent für Agrarhandel und Fischerei bei Brot für die Welt auf Kopfschütteln stößt. Schließlich habe doch sogar die USA (mit dem African Growth and Opportunity Act (AGOA)) ihren Markt ohne Gegenleistung für Waren aus Ghana und Kenia geöffnet - ohne dass die WTO eingeschritten sei. Die EPA-Befürworter allerdings betonen, eine gegenseitige Marktöffnung und WTO-konforme Verträge würden den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten helfen, ihre Wettbewerbsfähigkeit im Hinblick auf regionalen und internationalen Handel zu verbessern und die Integration der AKP-Staaten in die Weltwirtschaft unterstützen.
Francisco Mari und seine Mitstreiter dagegen glauben nicht an die heilsamen Kräfte des liberalen Weltmarktes. Mari hält EPA "für ein politisches Fiasko". Er sieht den Schutz der lokalen Märkte in den AKP-Ländern dringend geboten: Weder die im Aufbau befindliche Industrie noch die überwiegend kleinbäuerliche Landwirtschaft in den AKP-Staaten seien einer Konkurrenz aus der EU gewachsen.
Roland Süß verweist mit Blick auf die Wirtschaftsgeschichte darauf, dass die heutigen Industrieländer wie zum Beispiel die USA nicht durch Freihandel groß geworden sind, sondern indem sie ihre Märkte lange Zeit mit hohen Schutzzöllen abgrenzten. Die lagen in der Zeit von 1820 bis zum Zweiten Weltkrieg zwischen 35 und 50 Prozent und sanken erst ab 1950, als die US-Wirtschaft so stark war, dass sie die Konkurrenz kaum noch fürchten musste. Doch die AKP-Staaten sollen laut EPA weitestgehend ohne Schutzzölle auskommen, obwohl sie sich nur so gegen die Übermacht der EU-Wirtschaft behaupten könnten. Nötig wären internationale Abkommen, die den Entwicklungsländern erlauben, ihre Produkte (weiterhin) zollfrei zu exportieren.
EPA als zukünftige Fluchtursache
Wilfried Bommert, Sprecher des Berliner Instituts für Welternährung, stellt einen Zusammenhang zwischen Migration und den geplanten Abkommen her. "EPA könnte das Flüchtlingspotenzial in Afrika massiv erhöhen", gibt der Experte für Welternährung zu bedenken. Er befürchtet weiter wachsende Migrationsbewegungen "wenn das Freihandelsabkommen ratifiziert wird, das keine Rücksicht auf die heimischen Strukturen und Existenzen nimmt. Märkte haben keine Moral, kein Gewissen und tragen auch keine politische Verantwortung für Menschen und deren Existenzen", sagt er. EPA sei in einer Zeit verhandelt worden, als das Flüchtlingselend noch nicht so offensichtlich war. Heute sei klar, dass es zu einer weiteren Fluchtursache werden würde. "Das muss die Bundesregierung vermeiden und mit den Erkenntnissen des Jahres 2015 gegen diese Abkommen stimmen", so seine Forderung.
Das allerdings ist bislang kaum zu erwarten. Denn die Bundesregierung wollte EPA noch nicht einmal im Parlament zum Thema machen. Erst auf Drängen der Opposition wird das Abkommen am 16. Oktober im Bundestag diskutiert.
"Noch ist nicht aller Tage Abend", so Francisco Mari, der von der positiven Resonanz auf die Öffentlichkeitskampagne der EPA-Gegner ermutigt ist. Auch in den Ländern des Südens wächst der Widerstand. So hat Nigeria als einer der wichtigsten Verhandlungspartner bisher seine Unterschrift verweigert. Zwar haben etliche AKP-Staaten auf massiven Druck der EU hin das Abkommen zum ersten Oktober letzten Jahres unterzeichnet – rechtskräftig ist es bislang aber noch nirgendwo.